1996

Januar 1996

„Wir für Alsterdorf“ – im Bereich AlsterDorf gründet sich eine Mitarbeiter*innen-Initiative
Drei Mitarbeiter*innen aus der Behindertenhilfe im Bereich AlsterDorf teilen dem Vorstand Wolfgang Kraft mit, dass sie initiativ werden wollen, um konstruktiv an der Entwicklung der Stiftung teilzunehmen. Herr Kraft schickt ein positives Antwortschreiben und begrüßt diese Initiative an der Basis. Er bietet den Initiatoren regelhafte Begleitung durch Frank Rückoldt (zuständig für das Thema Innovation und Qualität) an. In der Alten Küche wird eine Ideenwerkstatt eingerichtet, bei der jeder mitmachen kann. Der Kreis trifft sich zweimal in der Woche. Die Initiative produzierte drei Ausgaben des wfa-kurier. Sie stellte Ende des Jahres 1996 ihre Arbeit ein.

(vgl. Horstmann, Detlef / u. a. 1996, Schreiben betreffs InitiativgrĂĽndung vom 22.01.1996 und Antwortschreiben von Wolfgang Kraft vom 31.01.1996, ArESA Hist. Slg. 61, Hamburg)

wfa-kurier Nr. 1 vom 6. März 1996

wfa-kurier Nr. 2 vom 4. April 1996

wfa-kurier Nr. 3 vom 17. Mai 1996

wfa – Einladung zum Vortrag von Klaus von LĂĽpke, Einladung zum Vortrag von Ingeborg Leuthäuser, Einladung zum Vortrag von Stefan Dose und Vorstellung der Projektidee Internet-Präsenz der ESA.

Februar 1996

Erweiterung der Tagesförderung
Michael Wunder berichtet im Umbruch über den Ausbau des Alsterdorfer Förderbereichs in den vergangenen Monaten im Rahmen der Sanierung der Stiftung. Seit vier Monaten ist er Bereichsleiter für den Bereich Fördern und Therapie.

Er schildert den unter groĂźem Zeitdruck realisierten Ausbau der Tagesförderung. FĂĽr insgesamt 470 Bewohner*innen auf 325 Förderplätzen gibt es nun ein tagesstrukturierendes Förderprogramm. Ziel ist u. a. die Entlastungswirkung fĂĽr die Wohngruppen. Damit kommt die Stiftung einer seit drei Jahren bestehenden Forderung der Hamburger Sozialbehörde nach.

(vgl. Scharenberg, Wolfram [WS] 1996, Aus dem Boden gestampft. Die Tagesförderung ist ausgebaut. Interview mit dem neuen Leiter Dr. Michael Wunder, in: ESA [Hg.], Umbruch, Mitarbeiter-Zeitschrift der Ev. Stiftung Alsterdorf, Nr. 2/Februar 1996, ArESA, Hamburg, S. 4 f.)

Interview mit Dr. Michael Wunder

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April 1996

Care- bzw. Casemanagement versus umsorgende Anstaltskultur
Michael Wunder stellt das Konzept „Casemanagement/ Caremanagement“ vor. Der Hintergrund hierfür ist die engere Verknüpfung von Wohnassistenzleistungen und tagesstrukturierenden Förderprogrammen in der Zusammenarbeit zwischen dem Wohnbereich AlsterDorf und dem Bereich Fördern und Therapie.

„Über die individuelle Inanspruchnahme gegebenenfalls auch Modifikation der verschiedenen Dienstleistungen für einen Bewohner der Evangelischen Stiftung Alsterdorf entscheidet jeweils ein case/care management-Gremium, das analog zur Erziehungskonferenz des Jugendhilferechts gebildet wird. Ziel dieses Gremiums ist die Erarbeitung eines jeweils individuellen Hilfeplans im Sinne des neugefaßten § 93 BSHG, wodurch auch sichergestellt ist, daß die Wünsche des Betroffenen im Mittelpunkt stehen und ihnen weitgehend entsprochen wird.“

(s. Wunder, Michael 1996, Arbeitspapier für die 3. Klausur AlsterDorf-Fördern/Therapie am 12.04.1996, ArESA DV 1618 Bd. 1, Hamburg)

Ulrich Koch wird Sanierungsbeauftragter fĂĽr die Bereiche der Behindertenhilfe
Ein Vorstands-Info gibt bekannt, dass ab dem 15. Mai Ulrich Koch, der derzeitige Leiter des Landesamtes fĂĽr Rehabilitation in Hamburg, zeitlich befristet fĂĽr ein Jahr Sanierungsbeauftragter fĂĽr die Bereiche der Behindertenhilfe in der ESA wird.
Am 2. April 1996 zieht Wolfgang Kraft eine erste Zwischenbilanz:

  • Die Behindertenhilfe ist und bleibt das KernstĂĽck der inhaltlichen Sanierung. Hier werden die finanziellen Auswirkungen als RĂĽckschritt erlebt.
  • Viele Mitarbeitende sind am Ende ihrer Kräfte und die Qualität der Arbeit in den Wohngruppen leidet. Die Krise ist längst nicht bewältigt.
  • Auf Zukunftsfragen ist die Stiftung nicht genĂĽgend vorbereitet, wie zum Beispiel:
    • RĂĽckläufige Kostensätze zu erwarten fĂĽr das Jahr 1997
    • Auswirkungen der zweiten Stufe der Pflegeversicherung
    • Konkurrenzfähigkeit der Angebote
  • Es muss sich konzeptionell etwas ändern angesichts der Entwicklungen, da es keine Einsparmöglichkeiten mehr gibt. Inhaltliche Standards mĂĽssen gesichert werden und gleichzeitig ist fĂĽr die Entlastung von Mitarbeiter*innen zu sorgen.
  • Der Vorstand wird diese Veränderungen kurzfristig einleiten.

(vgl. alsterdorf aktuell. Vorstands-Info Nr. 1/1996, 02.04.1996, ArESA Publikationen, Hamburg)

Mai 1996

Das neue Konzept „Tagesförderung ESA“ geht an das Landesamt für Rehabilitation
Damit bildet das o. g. Eckpunkte-Papier die neue Grundlage fĂĽr die inhaltliche Ausgestaltung des Leistungsgeschehens in der Tagesförderung der ESA. Das Antwortschreiben des Landesamtes beinhaltet aber auch den Hinweis, dass aus Sicht der Behörde Menschen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, keinen weiteren Leistungsanspruch auf die MaĂźnahme „Tagesförderung“ haben.

(vgl. Schreiben der BAGS an die ESA vom 17.05.1996 und Eckpunkte Konzept Tagesförderung ESA, April 1996, ArESA DV 1618 Bd. 3)

Juni 1996

Das Ende eines Symbols – die Schlagbäume an der Pforte werden entfernt
Im Juni werden die Schlagbäume an der Pforte im Auftrag des Vorstandes abmontiert und nicht ersetzt. Allerdings werden sie eingelagert. Bereits in den letzten Monaten sind sie nicht mehr benutzt worden. Der Umbau des Pfortenhauses [gemeint ist das Pfortenhaus am Kopf des 2021 abgerissenen Gebäudes „Wichernhaus“, in dem sich bis 2003 die Vorstandsräume befanden, vis-à-vis zur Schranke] machte die Schranken unnötig.

(vgl. alsterdorf aktuell Nr. 15/11.06.1996, ArESA Publikationen, Hamburg)

Juli 1996

Kann Alsterdorf überleben? – Ansichten des behördlichen Sanierungsbeauftragten
Nach zwei Monaten in seiner Funktion als behördlicher Sanierungsbeauftragter für die Behindertenhilfe der ESA äußert sich Ulrich Koch zur Situation der Stiftung:

  • Massive Eingriffe seien nötig zur Existenzsicherung von Alsterdorf.
  • Angesichts der Wettbewerbslage auf dem sozialen Markt habe eine GroĂźeinrichtung wie die ESA nur die Wahl zwischen Auflösung und totaler Reform.
  • Die RenovierungsbedĂĽrftigkeit der ESA sei hoch, aber es gibt nicht die eine Strategie zur Veränderung.
  • In allen Bereichen der Stiftung sei eine beeindruckend hohe Fachlichkeit zu finden und personelle Kapazitäten.
  • Der Schwachpunkt sei, dass diese Kapazitäten nichts voneinander wissen und sich nicht miteinander verbinden, sondern isoliert arbeiten.

(vgl. Scharenberg, Wolfram [WS] 1996, In Vorgärten hineintreten. Sanierungsbeauftragter Ulrich Koch über Beobachtungen und Ideen, in: ESA [Hg.], Umbruch, Mitarbeiter-Zeitschrift der Ev. Stiftung Alsterdorf, Nr.7/8 1996, ArESA, Hamburg S. 8)

Verantwortung durch Beteiligung – ein persönlicher Eindruck vom Klausurtag HamburgStadt
Der Bereich HamburgStadt hält mit ca. 60 Mitarbeiter*innen einen Klausurtag ab. Die Themen sind:

  1. Qualitätssteigerung bei gleichzeitigen Einsparungen in Millionenhöhe und
  2. die Offenlegung der Schulden.

Die zunächst entmutigende Wirkung der Themen entwickelt sich in positive Energie:

„Im Austausch mit anderen Mitarbeitern haben wir erfahren, wieviel Eigeninitiative es bereits gibt: Gastwohnen, Planung von Mutter-Kind-Wohngruppen, verstärkte Aufnahme psychisch behinderter Menschen, Stadtteilcafé, Übergangswohnformen zum betreuten Wohnen […]. Der Grundgedanke war immer wieder Öffnung nach außen, wo können wir uns gegenseitig unterstützen […]?

Es war ein Anfang, unkonventionell hinzusehen: wo stehen wir, wo wollen wir hin? Durch die Beteiligung an der Planung wird uns das Stück Verantwortung gegeben, das wir in unserer täglichen Arbeit wirklich haben […]. Es waren ein Interesse und eine Kraft an der Arbeit spürbar, die sonst untergehen.“

(s. Schulz, Gwen [WG Rothestraße] 1996, Verantwortung durch Beteiligung. Persönlicher Eindruck vom Klausurtag HamburgStadt, in: ebd., S. 10)

Rembert Vaerst wird Alsterdorfs neuer kaufmännischer Leiter
Mit Rembert Vaerst kommt ein erfahrener Manager aus der Industrie (Philips) in die ESA, der in seinem Selbstverständnis als Controller mit langjähriger Führungserfahrung den wirtschaftlichen und strukturellen Sanierungsprozess der ESA mit Einführung des Controllings in Non-Profit-Organisationen (NPO) und die professionelle Arbeit mit dezentralen Budgets in den Teilbereichen maßgeblich prägen wird. Rembert Vaerst sieht seine Aufgabe nicht in erster Linie in der Sanierung selbst, sondern vor allem darin, dass er für die Weiterentwicklung der Dezentralisierung das richtige Instrumentarium aus seinem Erfahrungswissen beisteuert, wobei er die diakonische als besondere Dimension der Planungskultur mitträgt.

(vgl. Scharenberg, Wolfram [WS] 1996, Zahlen nicht um der Zahlen Willen. Dr. Rembert Vaerst ist Alsterdorfs neuer kaufmännischer Leiter, in: ebd., S. 5)

Interview mit Dr. Rembert Vaerst

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August 1996

Einsparvorgaben für die Behindertenhilfe im laufenden Geschäftsjahr
Auszug aus dem Protokoll der Leitungsklausur:

„Herr Maas informiert über den Beschluß des Führungskreises, ein ausgeglichenes Stiftungsergebnis zu erzielen. Dieser Beschluß hat zur Folge, daß DM 3 Mio. noch in 1996 innerhalb der Stiftung erbracht werden müssen, davon DM 2 Mio. aus der Behindertenhilfe.

Der Führungskreis B hat sich darauf verständigt, daß dieser Beitrag anteilig von den Bereichen auf der Grundlage der Pflegesatzerträge lt. Budgetansatz zu erbringen ist.

Für AlsterDorf [gemeint ist der neu strukturierte Wohnbereich auf dem Zentralgelände] ergibt sich ein Anteil von ca. 930 TDM […].

Herr Koch stellt dar, daß m. E. ein mögliches weiteres Feld das der internen Ressourcenverteilung zwischen den Bereichen der Behindertenhilfe ist. So ist Grundlage für die Stellenbemessung im Wohnbereich ein bestimmter Schlüssel der BAGS gewesen, der eine bestimmte Anzahl WfB[Werkstatt für Menschen mit Behinderung]-Gänger vorsieht. In der Realität besuchen jedoch nicht so viele Bewohnerinnen die ESA-WfB, sondern ein großer Anteil der Plätze dort wird fremdgenutzt. Verhandlungen über einen Ausgleich hierfür sowie ggf. auch in anderen Bereichen [Fördern und Therapie] könnten zusätzliche Mittel freisetzen.“

(s. Protokoll der Klausur Leitungskreis AlsterDorf am 09.08.1996 im CKH [Carl-Koops-Haus], ArESA DV 1840, Hamburg)

November 1996

Neue Strukturen für die Behindertenhilfe im Geschäftsbereich AlsterDorf
In diesem Monat findet ein Konzepttag mit Herrn Kraft, den Geschäftsbereichsleitungen und rund 200 Mitarbeitenden von AlsterDorf statt. AlsterDorf ist mit mehr als 700 zu betreuenden Menschen der größte Bereich der Alsterdorfer Behindertenhilfe. Es geht um die zukünftige duale Struktur des Geschäftsbereichs und die mögliche Bildung von acht Schwerpunktgruppen, ausgerichtet an unterschiedlichen Formen von Behinderungen. Der Umbruch berichtet:

„Die bisherige Führungsstruktur, so der Vorstand [Wolfgang Kraft], soll darin entflochten werden. Haus- und Gruppenleitungen wird es in diesem Strukturmodell nicht mehr geben.

Dem Geschäftsbereichsleiter direkt unterstellt sind als einzige hierarchische Ebene künftig die Verbundleitungen. Die Wohnverbünde bilden Organisationselemente, die jeweils die Bewohnerinnen und Bewohner von ca. drei bis fünf Wohngruppen umfassen […].

Der Fortbestand von Wohngruppen soll […] weiterhin möglich sein. Sie unterstehen allerdings künftig nicht mehr einem Wohngruppenleiter, sondern direkt der Leitung des jeweiligen Verbundes […].

Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verbünde zur Seite gestellt sollen künftig Qualitätsbeauftragte die Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner vertreten. Jeder Bewohner wird einen Qualitätsbeauftragten als Ansprechpartner haben. Er soll in ständiger Diskussion mit den zuständigen Verbundmitarbeitern über ein adäquates Leistungsangebot für die jeweiligen Bewohner wachen. […]

Auch die Qualitätsmanager unterstehen künftig der Geschäftsbereichsleitung.

Kontroversen brachte die Diskussion über die Schwerpunktbildung innerhalb des Bewohnerklientels. Generell warnte die Arbeitsgruppe vor der Gefahr einer Homogenisierung von Wohneinheiten. Das Prinzip der Normalisierung sei nicht mehr einzuhalten, wenn sich die Zuordnung von Menschen mit Behinderungen zu einer Gruppe lediglich nach deren äußeren Merkmalen richte.“

(s. Scharenberg, Wolfram [WS] 1996, Es geht um Qualität. Konzepttag zur neuen Struktur für die Behindertenhilfe im Geschäftsbereich AlsterDorf, in: ESA [Hg.], Umbruch. Mitarbeiter-Zeitschrift der Ev. Stiftung Alsterdorf, Nr. 11/1996, ArESA, Hamburg, S. 4)

Stellenausschreibungen für Verbundleitungen und Qualitätsbeauftragte im Geschäftsbereich AlsterDorf
Die Qualitätsoffensive, die der Geschäftsbereich AlsterDorf ab dem 1. Januar 1997 startet, beinhaltet drei Kernaussagen:

  1. Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit der Bewohner*innen
  2. Gemeinsame Verantwortlichkeit für die Lebensqualität der Bewohner*innen durch Co-Verantwortlichkeit zwischen Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen
  3. Gemeinsame Verantwortung aller Mitarbeiter*innen für die Qualität der Arbeit

Es folgt eine Stellenausschreibung für ca. 25 Stellen Verbundleitungen und ca. 20 Stellen für Qualitätsbeauftragte, verbunden mit einer jeweiligen Funktionsbeschreibung. Beide Positionen sollen zunächst befristet für einen Zeitraum von zwei Jahren besetzt werden.

(vgl. alsterdorf aktuell Nr. 8/20.11.1996, ArESA Publikationen, Hamburg)