1988

Januar 1988

Heimleiterklausurtagung zur Neustrukturierung des Behindertenbereichs
Wie im Dezember 1987 verabredet, findet am 7. Januar 1988 eine Heimleiterklausurtagung zur Neustrukturierung des Behindertenbereichs statt. In Anwesenheit aller Heimleitungen (Heime 1 bis 8), der Förderbereichsleitung, der Leitung Verwaltung der Heimbereiche und des Vorstands Pastor Rudi Mondry werden konzeptionelle, strukturelle und organisatorische Fragestellungen zur Vorstrukturierung der beabsichtigten Regionalisierung der Behindertenhilfe bearbeitet. Die fachliche Positionierung zu den Begriffen Normalisierung, Regionalisierung und Dezentralisierung wird gemeinsam bearbeitet.

„Im Mittelpunkt der Diskussion standen Überlegungen zu den Wahlmöglichkeiten und Willensentscheidungen geistig behinderter Menschen [Menschen mit geistiger Behinderung]. Zu berücksichtigen ist, daß wir alle behinderten Menschen [Menschen mit Behinderung] nach unseren Erkenntnissen motivieren, daß aber eine qualitative Veränderung in der Behindertenhilfe stattgefunden hat, die die Förderung der Selbständigkeit und die Identitätsfindung in den Mittelpunkt stellt. Grundsatz der Regionalisierung: Das Hilfsangebot wird dort gemacht, wo die Menschen leben.“

(s. Protokoll. Heimleiterklausurtagung vom 07.01.1988, ArESA DV 606, Hamburg)

Ein neuer Name für die „Anstalt“
Die Mitarbeitervertretung (MAV) fordert in einem Schreiben die Namensänderung der Alsterdorfer Anstalten:

„Wir meinen, daß es nun wirklich an der Zeit ist, Alsterdorf in ‚Stiftung Alsterdorf‘ oder ‚Ev. Stiftung Alsterdorf‘ umzubenennen.“

(s. Schreiben der MAV an den Vorsitzenden des Stiftungsrates vom 25.01.1988, ArESA DV 1905 II, Hamburg)

Sie sieht darin einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg, den Bewohnerinnen und Bewohnern ein Leben nach dem Normalisierungsprinzip zu verschaffen und den alten Anstaltscharakter und das Anstaltsgetto aufzulösen.

Februar 1988

Eine neue Außenwohngruppe in Bramfeld
Die Menschen, die bisher im Haus Carlsruh untergebracht waren und dort unerträgliche Lebensbedingungen zu ertragen hatten, ziehen nun in eine Außenwohngruppe, in ein ansehnliches großes Wohnhaus in einer guten Wohngegend. Der Wohngruppenleiter blickt mir Zuversicht darauf, unter den neuen Bedingungen die therapeutischen Ansätze erweitern zu können.

(vgl. UE [Verfasserkürzel] 1988, WG Carlsruh zog nach Bramfeld, in: Alsterdorfer Anstalten [Hg.], Umbruch. Mitarbeiter-Zeitschrift der Alsterdorfer Anstalten Nr. 2/Februar 1988, ArESA, Hamburg, Titelseite)

Ulrich Heine, Vorstand für den Behindertenbereich, beendet krankheitsbedingt seine Tätigkeit
In einem gesonderten Mitteilungsblatt DER VORSTAND INFORMIERT geben Stiftungsrat und Vorstand bekannt, dass Herr Heine, langjähriges Vorstandsmitglied und verantwortlich für den Behindertenbereich, seit knapp einem Jahr schwer erkrankt ist und voraussichtlich zum 1. Juli 1988 aus seiner Mitarbeit in den Alsterdorfer Anstalten ausscheiden wird. Die Vertretung des Behindertenbereichs im Vorstand wird bis zur endgültigen Entscheidung im Stiftungsrat weiterhin Pastor Rudi Mondry übertragen.

(vgl. Der Vorstand informiert. Schreiben vom 08.02.1988, ArESA Publikationen, Hamburg)

März 1988

Die Alsterdorfer Anstalten innovativ – Erweiterung des internationalen Klassifizierungssystems von Krankheiten (ICD)
Hans-Joachim Funke vom Medizinischen Dienst der Alsterdorfer Anstalten beantragt am 8. März 1988, ein Projekt durchführen zu dürfen. Es geht darum, in das bereits bestehende internationale Klassifizierungssystem von Krankheiten nach amerikanischem Vorbild Menschen mit Mehrfachbehinderung zu integrieren. Diese Erweiterung hat das Ziel, sowohl Störungen als auch die bestehenden Kompetenzen bei den mehrfachbehinderten Menschen differenziert zu dokumentieren.

„Es gilt nun, dieses Klassifizierungssystem auf bundesdeutsche Verhältnisse zu übertragen bzw. seine Anwendungsmöglichkeit zunächst bei einem ausgesuchten Behindertenkreis der Alsterdorfer Anstalten zu überprüfen.“

(s. Funke, Hans-Joachim 1988, Schreiben an den Vorstand der Stiftung 08.03.1988, ArESA DV 265, Hamburg)

Notiz: Das Schreiben enthält den handschriftlichen Vermerk: „Antrag ist vom Vorstand bereits genehmigt M.“

Vorstand berichtet über das Gespräch mit Senator Ehlers (BAJS)
Pastor RudiMondry berichtet:

„Herr Senator Ehlers brachte zum Ausdruck, daß sein bisheriges Bild von Alsterdorf (von vor 8 Jahren) mit seiner jetzigen Wahrnehmung nicht mehr übereinstimmt. […] Der Senator erwartet von den Alsterdorfer Anstalten, daß sie sich an der Lösung der Finanzmisere beteiligen. Konkret: Pflegesatzsteigerungen sind nicht in Höhe der Personalkostensteigerungen zu erwarten; dies bedeutet real einen Rückgang (um 2,5 Mio.?). Einsparungsvorstellungen des Senators beziehen sich auf Vakanzen, Kürzung von Sachmitteln, Vertagung von Abschreibungen. [Zu erwarten ist, daß dieses 3 Jahre lang greifen muß.] […] Zwischen Vorstand und Herrn Ehlers wurde ein jährliches Treffen vereinbart.“

(s. Protokoll. 81. Heimleiter-Konferenz vom 10.03.1988, ArESA DV 606, Hamburg)

April 1988

Die Zukunft der Schlumper Malwerkstatt
Mit einem Schreiben zur aktuellen Lage der Schlumper Kreativ-Werkstatt wenden sich am 27. April 1988 Heimleitungen und weitere Mitarbeitende in verantwortlicher Funktion an den Vorstand:

„Mit Sorge und Betroffenheit sehen wir, daß es Ihnen seit Monaten nicht gelingt, die Arbeit der Malgruppe ‚Die Schlumper‘ in angemessenem Rahmen finanziell und organisatorisch abzusichern. […] Wir appellieren an Sie, die Malgruppe […] unbürokratisch und umfassend abzusichern. […] Verhindern Sie bitte, daß Alsterdorf in der Fachwelt auf Unverständnis stößt und ins Gerede kommt.“

(s. Schreiben von Mitarbeitenden an den Vorstand der Stiftung vom 27.04.1988, ArESA Hist. Slg. 60, Hamburg)

Juni 1988

Konzept zur Regionalisierung
Pastor Rudi Mondry legt das „Konzept zur Regionalisierung der Behindertenhilfe“ in der unmittelbar zuvor umbenannten „Evangelischen Stiftung Alsterdorf“ vor. Dieses Konzept basiert auf drei Grundgedanken:

„1. Das Angebot […] soll sich an den normalen Wohnregionen in Hamburg und in Schleswig-Holstein orientieren und auf die dort bestehenden Bedürfnisse hin weiterentwickelt werden.

2. Die Leistungen […] sollen den Bedürfnissen der Betroffenen angemessen sein und darum entsprechend differenziert angeboten werden.

3. Die Kooperation mit weiteren Leistungsträgern der Behindertenhilfe ist dabei zu beachten.“

(s. Mondry, Rudi 1988, Konzept zur Regionalisierung der Behindertenhilfe in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, 6/1988, ArESA BwB 20, Hamburg, S. 3)

Es werden folgende Wohnregionen definiert bzw. gebildet:

  • Region Hamburg-West: 374 Plätze / Leitung: Dühsler und Kern
  • Region Hamburg-Nord: 386 Plätze / Leitung: Baresch und Schlüter
  • Region Hamburg-Ost: 385 Plätze / Leitung: Maas und Schmid
  • Region Schleswig-Holstein: 109 Plätze / Leitung: Giese

(ebd. S. 7)

Der Förderbereich wird nicht regionalisiert. Die Alsterdorfer Werkstätten erfüllen weiterhin ihren schon seit drei Jahren bestehenden Versorgungsauftrag für Stadtteile in der Hamburger Nordregion. (ebd. S. 10)

Juli 1988

Zehn Jahre Erwachsenenbildung für Bewohnerinnen und Bewohner
Die Erwachsenenbildung der Alsterdorfer Anstalten feiert ihr zehnjähriges Jubiläum. Das Angebot dieses Bereiches, das Anke Maibauer als Leitung und ihr Team sukzessive erweitert haben, erfreut sich großer Nachfrage.

„Die ersten Kursangebote 1978 vermittelten Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen. Ein Jahr später startete die einjährige Ausbildung zum ‚Alsterdorfer Helfer‘, eine berufliche Fortbildung. Sie vermittelt den Teilnehmern Fähigkeiten, damit sie im Rahmen ihrer WfB [Werkstatt für Menschen mit Behinderung]-Tätigkeit auf Wohngruppen, Krankenstationen oder im Altenpflegebereich qualifizierter mitarbeiten und auch ihr eigenes Leben selbständiger gestalten können. Trotz aller positiven Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren bleiben zwei große Wermutstropfen: unzureichende Räumlichkeiten sowie eine ellenlange Warteliste. […] Unsere Angebote sind so beliebt, daß wir die Nachfrage nicht abdecken können.“

(s. AF [Verfasserkürzel] 1988, Ein Meilenstein für mehr Selbständigkeit. Vor 10 Jahren wurde die Erwachsenenbildung gegründet, in: Alsterdorfer Anstalten [Hg.], Umbruch. Mitarbeiter-Zeitschrift der Alsterdorfer Anstalten Nr. 7 und 8 / Juli und August 1988, ArESA, Hamburg, S. 6)

Interview mit Carsten Feddern

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September 1988

Wie geht es mit der Heilerzieher-Helfer-Ausbildung weiter?
Die Heilerzieher-Helfer-Ausbildung wird von Brigitte McManama, Fortbildungsreferentin der Alsterdorfer Anstalten, und Herrn Schiemann, Mitarbeiter der Zentralen Planung, geleitet. Sie steht perspektivisch auf unsicheren Füßen. Soll eine staatliche Anerkennung vorangetrieben werden oder ist eine Integration in die bestehende Heilerzieherschule ratsam? Ein Ausschuss, der von Pastor Rudi Mondry eingesetzt wurde, sprach sich für den Erhalt der drei Ausbildungsstätten aus: Kinderpflege, Heilerzieher und Heilerzieher-Helfer. Pastor Rudi Mondry sah jedoch einige Aspekte bezüglich dieses Themas vernachlässigt:

  • Wie sollte man mit dem Fortbildungsbedarf, der bei der Gesamtheit der bereits qualifizierten Mitarbeitenden besteht, zukünftig umgehen?
  • Warum soll die Heilerzieherschule nicht neben ihren Ausbildungskursen Kurse zur Nachqualifizierung von Mitarbeitenden anbieten? Das würde bedeuteten, dass die Heilerzieher-Helfer-Schule frei wäre für neue Aufgaben im Fortbildungsbereich.

(vgl. AF [Verfasserkürzel] 1988, Der nächste Kurs steht auf wackligen Füßen. Wie geht es mit der Heilerzieher-Helfer-Ausbildung weiter? In: Alsterdorfer Anstalten [Hg.], Umbruch. Mitarbeiter-Zeitschrift der Alsterdorfer Anstalten, Nr. 9/September 1988, ArESA, Hamburg, S. 9)

Gemeinwesenorientierte Arbeit als Kern der Reformstrategie
„Das Prinzip der Gemeinwesenarbeit im Prozeß einer sich normalisierenden Arbeit mit geistig und mehrfach behinderten Menschen“. Mit diesem Titel legt Helga Treeß, Mitarbeiterin im Bereich Zentrale Planung, ihre Ausarbeitung vor:

„Normalisierung der Beziehungen zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen, die Akzeptanz der Bevölkerung bezüglich neuer Wohnstätten und Serviceangebote für behinderte Menschen wird sich nicht automatisch einstellen und ergibt sich schon gar nicht aus der bloßen Neustruktur der Anstalt. Die neue Struktur ist aber eine Voraussetzung dafür, daß in den jeweiligen Gemeinwesen daran gearbeitet werden kann.
Die vorliegende Arbeit stellt in ihrem Kern ein Konzept vor, das die interne Reformstrategie durch eine externe ergänzen soll. Dabei ist ein Schwerpunkt auf die strukturelle Einbindung gemeinwesenorientierten Vorgehens gelegt.“

(s. Treeß, Helga 1988, Das Prinzip der Gemeinwesenarbeit im Prozess einer sich normalisierenden Arbeit mit geistig und mehrfach behinderten Menschen, 11/1988, ArESA DV 374, Hamburg, S. 2 f.)

Interview mit Helga Treeß

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„Schwer normal und mehrfach behindert“ – Gemeinwesenarbeit in der Behindertenhilfe ist notwendig, um Großeinrichtungen für die Betreuung geistig und mehrfach behinderter Menschen zu überwinden. von Helga Treeß, 1995 erschienen in: Sozial Extra, monatlich erscheinende Zeitschrift im Extra Verlag, Wiesbaden, Ausgabe 05 / 1995, Seite 2-4

„Leben im Übergang“ – Wie Wohnangebote für Bürgerinnen und Bürger mit einer geistigen Behinderung bedarfsgerecht entwickelt werden (könnten) – Szenen aus der Arbeit einer Wohnstätte. Von Elisabeth Graf-Frank 1995 erschienen in: Sozial Extra, monatlich erscheinende Zeitschrift im Extra Verlag, Wiesbaden, Ausgabe 05 / 1995, Seite 7-9

„Unverständliches verstehen lernen“ –  Gemeinwesen – und Netzwerkarbeit in einem Hamburger Stadtteil: Eine Gruppe von behinderten Menschen lernt sein zukünftiges Viertel kennen. Oder wie nicht behinderte Menschen Behinderte verstehen lernen können. Von Birgit Schulz, 1995 erschienen in: Sozial Extra, monatlich erscheinende Zeitschrift im Extra Verlag, Wiesbaden, Ausgabe 05 / 1995, Seite 10-11

„Abschlussbericht Regionalisierungsprojekt Schnelsen (BIP), Laufzeit 1/86 – 12/87“ ohne Angaben zum Verfasser / Verfasserin