1982

Februar 1982

Offener Brief des Kollegenkreises – Kritik an den WachsĂ€len
Unter den Mitarbeitenden der Alsterdorfer Anstalten gibt es eine Anzahl von Personen, den sogenannten Kollegenkreis, der sichtbar gegen die ZustĂ€nde besonders in den WachsĂ€len opponiert. Er wirft den LeitungskrĂ€ften, die fĂŒr den Personaleinsatz verantwortlich sind, vor, nichts oder nur wenig gegen die ZustĂ€nde in den WachsĂ€len zu tun, trotz jahrelanger Diskussion und Alternativen, die im Frauenbereich entwickelt und bereits umgesetzt wurden.

(vgl. Wolschke, Bernd, i. A. des Kollegenkreises 1982, Offener Brief an Vorstand und Anstaltsleitung und die Mitarbeitenden der Abt. 55 der Alsterdorfer Anstalten vom 14.02.1982, ArESA Hist. Slg. 60, Hamburg)

Forderung – Umwidmung des Verwaltungsneubaus Tabea in Wohnraum fĂŒr Menschen mit Behinderung
Zwei Mitglieder der Anstaltsleitung fordern in einem Brief den Vorstand, Pastor Schmidt, auf, eine schnelle Entscheidung darĂŒber zu treffen, ob der Verwaltungsneubau Tabea nicht vollstĂ€ndig oder zum Teil umgeplant werden kann als Wohnraum fĂŒr Menschen mit Behinderungen, z. B. durch Ringtausch. Ihre BegrĂŒndung lautet folgendermaßen:

„Dabei kommen wir zu dem klaren Ergebnis, daß die Interessen unserer Behinderten Vorrang vor den Interessen der Verwaltung und deren Anspruch auf bessere Arbeitsbedingungen haben mĂŒssen.“

(s. Schreiben B. Zemella und J. Czerwionka an den Vorstand, 19.02.1982, ArESA DV 1954, Hamburg)

Der Finanzvorstand im Kreuzfeuer – Zweckentfremdung und Verwendung zweckgebundener Mittel
Die Erziehungs- und Pflegedienstleitungen (EPL) ĂŒben in einem Brief heftige Kritik an dem damaligen Finanzvorstand Jochim Wittern und an seinem Umgang mit den Finanzen:

„Mit dem Schreiben vom 07.12.81 ĂŒbersandten Sie uns einen Status der zweckgebundenen Spenden per 30.10.81 in Höhe von rd. DM 70.000– mit der Bitte um VorschlĂ€ge, wofĂŒr die Spenden – sofern dies nicht ohnehin schon bereits genau vorgeschrieben war – verwendet werden sollen.“

Notiz: Wie sich herausstellte, wurden die Gelder aufgrund der Finanzenge fĂŒr andere Zwecke ausgegeben.

„Sollte der [
] in der Anstaltsleitung dargestellte Sachverhalt zutreffen, daß die zweckgebundenen Spenden nicht mehr existent sind, dann halten wir dies fĂŒr einen Skandal und sprechen Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Finanzvorstand zu diesem Punkt unsere ausdrĂŒckliche Mißbilligung aus [
]. Nachdem bereits in der Öffentlichkeit – siehe dazu den Beitrag in der ‚Umschau am Abend‘ vom 23.2.82 – massive Zweifel an der Qualifikation der Leitung der Alsterdorfer Anstalten, insbesondere beim Finanzgebaren, geĂ€ußert worden sind, halten wir es geradezu fĂŒr selbstmörderisch, wenn in dem hochsensiblen Bereich der Spenden so verfahren wird, wie Sie es offensichtlich glauben vertreten zu können.“

(s. Brief der EPL an den Vorstand der AA vom 25.02.1982, ArESA DV 1954, Hamburg)

„Der Spartipp des Jahres: Zwangsjacken statt Personal“ – Protest der Alsterdorfer Anstalten gegen KĂŒrzungen
Mit dieser Überschrift berichtet das Hamburger Abendblatt und mit ihm die BILD-Zeitung und die Hamburger Morgenpost am 24. Februar 1982 von einem Protestzug von Mitarbeitenden und Menschen mit Behinderung, der sich vom AnstaltsgelĂ€nde zum Sitz der Sozialbehörde in der Hamburger Straße bewegte, um gegen PlĂ€ne zur KĂŒrzung der PflegesĂ€tze in der Eingliederungshilfe zu protestieren.

(vgl. Alsterdorf in der Presse, Auszugskopie aus dem Hamburger Abendblatt vom 24.02.1982 und der Bild-Zeitung vom 24.02.1982, ArESA, Hist. Slg. 60, Hamburg)

Flugblatt der Demonstration

MĂ€rz 1982

RĂŒcktritt des Direktors und Vorstandsvorsitzenden Pastor Hans-Georg Schmidt
Am 6. MĂ€rz 1982 tritt Pastor Schmidt offiziell zurĂŒck, nachdem er vom Stiftungsrat informiert worden ist, dass es eine Sondersitzung beim Bischof geben soll mit dem Finanz- und Bauausschuss und dem Stiftungsrat, aber ohne den Vorstand.Mit einem Schreiben an den Stiftungsratsvorsitzenden kĂŒndigt er seinen Dienstvertrag vom November 1976. Auf vier Seiten formuliert Pastor Schmidt seine BeweggrĂŒnde fĂŒr diesen Schritt:

  1. Misstrauen des Stiftungsrates in seine FĂŒhrungskraft und Zweifel daran, ob er der Ă€ußeren Situation und der innerbetrieblichen Situation gewachsen ist.
  2. Die Verzögerungstaktik der Behörde in Bezug auf die Genehmigung der PflegesĂ€tze. Deren grundsĂ€tzliches Misstrauen gegenĂŒber der Diakonie der Kirche und speziell gegenĂŒber seiner Person und die VerbrĂŒderung bestimmter behördlicher Vertreter mit dem ihm feindlich gesinnten Kollegenkreis Alsterdorf.     
  3. Die UnertrĂ€glichkeit der Unterminierungsversuche durch den Kollegenkreis Alsterdorf und deren AnfĂŒhrer, die seiner Meinung nach im psychologischen Dienst sitzen.
  4. Weitere Gruppierungen in der Stiftung, darunter auch Erziehungs- und Pflegeleitungen, die gegen ihn agitieren um der politischen Propaganda Willen und sich nicht nach den Regeln der christlichen Dienstgemeinschaft richten. Die Agitation ist mittlerweile so groß, dass er keine Befriedung mehr erwarten kann.
  5. Die mangelnde LoyalitÀt der restlichen Gruppen zur diakonischen Aufgabe, die sich in Mitarbeiterversammlungen ausschweigt.

(vgl. Schmidt, Hans-Georg 1982, Brief an den Stiftungsratsvorsitzenden der Alsterdorfer Anstalten, Herrn Dr. W. Imhoff, vom 06.03.1982, ArESA DV 1954, Hamburg)

April 1982

Propst Kohlwage – Nachfolger von Pastor Schmidt?
Propst Kohlwage ĂŒbernimmt in Form einer besonderen Beauftragung das Amt des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Pastor Schmidt in ehrenamtlicher Funktion. Propst Kohlwage wie auch der Stiftungsrat lassen es vorerst offen, ob sich daraus eine dauerhafte Besetzung ergibt.

(vgl. Heine, Ulrich 1983, Der Vorstand informiert, in: Vorstand der Alsterdorfer Anstalten [Hg.], Umbruch. Mitarbeiter-Zeitschrift der Alsterdorfer Anstalten, Nr. 2/Februar 1983, ArESA Publikationen, Hamburg, S. 2)

Juni 1982

Die BAJS (Sozialbehörde) kritisiert in einem Gutachten die unhaltbaren ZustÀnde in den Alsterdorfer Anstalten
Im von der Behörde fĂŒr Arbeit, Jugend und Soziales (BAJS) der Freien und Hansestadt Hamburg in Auftrag gegebenen Gutachten ĂŒber „WohnstĂ€tten fĂŒr behinderte Menschen – Anstalten, Heime, Wohnungen, Wohngemeinschaften“ wird festgestellt:

„Die weitgehend isolierte Lage (hohe Mauern, BeschrĂ€nkungen der Verzahnung zur Außenwelt) der Alsterdorfer Anstalten verhindert die notwendigen Kontakte und sozialen Beziehungen der Behinderten zu Nichtbehinderten – verstanden als wechselseitiger Prozeß im konkreten Alltag – und zur Umwelt allgemein – verstanden als Teilhabe – mit dem Ziel der Integration der Bewohner in die Gesellschaft
.Die hohe Anzahl der Bewohner in den Alsterdorfer Anstalten lĂ€ĂŸt – bei gleichzeitigem Mangel an FachkrĂ€ften und in vielen FĂ€llen unzureichender Ausbildung des Hilfspersonals – wenig Spielraum fĂŒr individuelle Betreuung, eigene Vorstellungen, eigene Erfahrungen und eigene WillensĂ€ußerungen der Behinderten. Sie steht damit dem Prinzip der Lern- und EntwicklungsfĂ€higkeit der Behinderten und den Regionalisierungs- und DezentralisierungsbemĂŒhungen im Wohnbereich entgegen â€Šâ€œ

„Der Zusammenhang der Lebensbereiche Wohnen, Arbeit und Freizeit steht fĂŒr die meisten Behinderten in den Alsterdorfer Anstalten in krassem Gegensatz zum Normalisierungsprinzip, das neben der rĂ€umlichen Trennung der oben beschriebenen Lebensbereiche die AnknĂŒpfung von verschiedenen sozialen Beziehungen anstrebt.“

(s. Runde, Peter Prof./u. a. 1982, WohnstĂ€tten fĂŒr behinderte Menschen – Anstalten, Heime, Wohnungen, Wohngemeinschaften – in der Freien und Hansestadt Hamburg, Auftraggeber: Behörde fĂŒr Arbeit, Jugend und Soziales, ArESA Hist.

Dr. Bodo SchĂŒmann (2020) „Alsterdorfer Anstalten / Ev.Stiftung Alsterdorf – aus der Sicht eines kritischen Beobachters

November 1982

Schwierige wirtschaftliche Lage der Alsterdorfer Anstalten dauert an
Der Finanzvorstand legt dar, dass auch nach der Beendigung der Pflegesatzverhandlungen in Bezug auf die Heilerziehungs-, Heil- und Pflegeanstalt damit zu rechnen ist, dass die finanziell schwierige Lage unverÀndert bleibt.

„Das Jahr 1981 schloß mit einem Verlust von rd. DM 9,0 Mio. Zusammen mit den Verlusten aus den Vorjahren belief er sich auf ĂŒber DM 20,0 Mio. Wie mehrfach u. a. auch in der Mitarbeiterversammlung angesprochen, sind die wesentlichen GrĂŒnde hierfĂŒr

a) durch PflegesĂ€tze bzw. Leistungsentgelte nicht gedeckte Kosten des laufenden Betriebs, wie z. B. Personalkosten, Sachkosten der Fachschulen etc.

b) durch PflegesĂ€tze oder andere öffentliche Finanzmittel nicht gedeckte Investitionskosten, vor allem fĂŒr GebĂ€ude, z. B. fĂŒr den Krankenhausneubau, die Eigenkapitalanteile fĂŒr die Sonderschule und das 216-Betten-Haus.

c) Zinsen fĂŒr erneute Kreditaufnahmen zur Finanzierung der Verluste.“  

(s. Schreiben Jochim Wittern vom 11. Nov. 1982, ArESA DV 1954, Hamburg)

Interview mit Jochim Wittern

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