11 / 1982 – Interview mit Jochim Wittern

Teilnehmende

Jochim Wittern

Nico Kutzner

Hans-Walter Schmuhl

Reinhard Schulz

Transkription

Kutzner: Guten Tag, ich bin Nico Kutzner von 17motion. Ich begrüße Sie hier im Filmstudio von 17motion.

Wittern: Ganz herzlichen Dank, dass ich heute hier sein darf. Mein Name ist Jochim Wittern und ich bin am 1. Februar 1980 zunächst als Leiter der Finanzabteilung nach Alsterdorf gekommen, bin dann zehn Jahre dageblieben und im Mai 1991 offiziell ausgeschieden. Danach war ich zeitweise freiberuflich tätig und hinterher Geschäftsführer der ENDO-Klinik.  

Schulz: Vielen Dank. Mein Name ist Reinhard Schulz. Ich leite das Dokumentationsprojekt „Entwicklung der Eingliederungshilfe in der Stiftung in den letzten vier Jahrzehnten“ und freue mich, dass Sie hier sind.

Schmuhl: Mein Name ist Hans-Walter Schmuhl. Ich bin Historiker und schreibe zusammen mit der Kollegin Ulrike Winkler an einer Geschichte der Evangelischen Stiftung Alsterdorf von den Anfängen bis an die Gegenwart heran.

Kutzner: Wie stehen Sie zu der Evangelischen Stiftung Alsterdorf?

Wittern: Das ist ja nun schon einige Jahre her und ich habe keinen Kontakt mehr zu Alsterdorf. Selbst die Umwandlung des Marktplatzes in offizielle Straßen, das habe ich alles nicht mehr mitgekriegt, und die Stiftung hat auch bisher keinen Wert auf einen Kontakt zu mir gelegt. Also insofern habe ich, außer einer emotionalen Verbindung, zur Stiftung keinen Kontakt mehr.

Schmuhl: Sie haben vorhin schon erwähnt, dass Sie 1980 in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf angefangen haben. Mich würde ganz kurz Ihr beruflicher Werdegang interessieren, was Sie bis dahin gemacht haben und wie es dazu gekommen ist, dass Sie nach Alsterdorf gewechselt sind.

Wittern: Also ich habe Maschinenbau und Betriebswirtschaft studiert und war zunächst bei der Firma Pfaff in Kaiserslautern tätig. Und als es da große Veränderungen gab, auch in der Inhaberschaft, habe ich mich entschlossen wegzugehen und bin dann nach Hamburg zur Firma Aristo gegangen, die damals führend in der Herstellung von Rechenschiebern war. Rechenschieber, das war aber zu dem Zeitpunkt damals noch eine sehr reduzierte Sache. Zu der Zeit, als ich dort anfing, 1973, da war von Taschenrechnern noch gar keine Rede. Und deswegen war das damals ein sehr aussichtsreiches, gutes Unternehmen, zumal es sich auch mit der Automatisierung von Zeichenmaschinen beschäftigte, und insofern kam das meiner beruflichen Ausbildung sehr nahe. Dort war ich zunächst als Finanzmann tätig und hinterher wurde ich Geschäftsführer für den gesamten Bereich „Rechenschieber, Zeichengeräte et cetera“, habe dann den Kontakt nach Japan hergestellt und dann umgestellt auf Taschenrechner.

Schmuhl: Ja.

Wittern: Als Aristo an Rotring verkauft wurde, bin ich da auch ausgeschieden und dann kam die Deutsche Bank auf mich zu – meine Spezialität war eigentlich immer schon Umstrukturierung von Unternehmen, das hatte ich bei Pfaff gemacht, das habe ich dann mit Aristo gemacht, und Schließung von Fabriken und Umstellung der Produktion und solche Dinge – und sagte mir: Sagen Sie, wir haben hier einen Problemkandidaten. Könnte das von Interesse für Sie sein? Und ich sagte: Na, was ist es denn? – Das sind die Alsterdorfer Anstalten. − Dazu habe ich ja überhaupt keinen Kontakt! – Ja, gehen Sie mal hin und gucken Sie sich das an! Das ist vielleicht gut. – Dann hatte ich ein erstes Gespräch mit Herrn Heine, dem damaligen Personalvorstand, und hinterher auch mit Pastor Schmidt, und dann fand ich, es könnte doch im Sinne der Restrukturierung und der Sanierung eine interessante Aufgabe sein. So, und dann habe ich das übernommen und bin zunächst als Finanzfachmann wieder eingestiegen. Und nach einer Weile bin ich dann in den Vorstand gekommen und so weiter.

Schulz: Sie waren dann Finanzvorstand. Hatten Sie Vorgänger? Gab es …

Wittern: Nein, nein.

Schulz: … in der damaligen Anstalt schon Vorgänger als Finanzvorstand?

Wittern: Nein, gab es nicht.

Schulz: Sie waren der erste Finanzvorstand?

Wittern: Ich war der erste Finanzvorstand.

Schmuhl: Wann war das? Wann sind Sie in den Vorstand aufgerückt?

Wittern: Oh, ich glaube, 1985/86. Ganz genau weiß ich das nicht mehr, muss ich gestehen. Und ich habe auch keine Unterlagen, wo ich das nachgucken könnte.

Schmuhl: Sollte sich ermitteln lassen.

Kutzner: Wie haben Sie die Anstalten damals erlebt, als Sie angefangen haben?

Wittern: Eine nicht ganz einfache Frage. Wie habe ich sie erlebt? Also, was ich festgestellt habe, war, dass die Bewohner alle sehr, beinahe kaserniert untergebracht waren und wenig Kontakt nach außen bestand. Ich habe eine paar wenige Behinderte gehabt, die mich dann auch häufig besucht haben, die ich besucht habe und so, aber ansonsten war es ganz schwierig, dahin Kontakt zu bekommen. Und ich habe dann dadurch, dass ich hinterher auch zuständig für die Krankenhäuser, das Werner Otto Institut, die Behindertenwerkstatt wurde, natürlich Bereiche gehabt, die mich voll beschäftigt haben, muss ich gestehen. Es war eine schöne Aufgabe, muss ich sagen, und ich habe mich auch sehr eingebracht. Das ging so weit, dass, als Herr Heine dann krank wurde, ich auch noch den Personalbereich übernahm, und da kriegte ich hinterher einen Kollaps und bin zusammengebrochen.

Schmuhl: Als Sie kamen, war noch Pastor Schmidt …

Wittern: Ja natürlich, genau.

Schmuhl: … Vorsitzender des Vorstandes. Wie haben Sie seinen Leitungsstil erlebt? Wie waren überhaupt die Leitungsstrukturen zu dieser Zeit?

Wittern: Ja, das war für mich eigentlich immer ein Problem. Ich kannte es aus meiner unternehmerischen Arbeit in der Industrie so: Man setzt sich in der Leitung zusammen, spricht über das Konzept, das man hat, über die Idee und so weiter, und dann, hinterher, wird daraus ein Maßnahmenpaket. Und so etwas gab es für Alsterdorf überhaupt nicht. Also keiner konnte mir sagen, in welche Richtung sich das entwickeln sollte. Und insofern war für mich der Behindertenbereich eine Ausnahmesituation. Bei den Krankenhäusern war das relativ klar. Beim Werner Otto Institut, das auch damals auf der Kippe stand, war auch klar, was zu tun war, bei der Behindertenwerkstatt war auch klar, was da zu tun war. Und die haben sich eigentlich in der Zeit auch sehr ordentlich entwickelt.

Schmuhl: Mmh.

Wittern: Aber der Behindertenbereich war immer etwas schwierig. Das wurde erst dann, nachdem Pastor Schmidt … nun muss man dazu sagen, es gab mit der Arbeitnehmervertretung erhebliche Probleme und da war vor allen Dingen die Nicaragua-Gruppe, die war sehr aggressiv …

Schmuhl: Erläutern Sie bitte: Was war die Nicaragua-Gruppe?

Wittern: Die Nicaragua-Gruppe waren Erzieher, die in Südamerika gewesen und die extrem links orientiert waren. Und denen war die Struktur Alsterdorfs, und was da an Arbeit passierte, vollkommen zuwider. Und wenn Mitarbeiterversammlungen stattfanden – so ist mir das passiert −, ist man mit Tomaten beworfen worden. Das war schon eine etwas ungewöhnliche Situation. Und von da kamen dann auch Vorstellungen über die Veränderung der Einrichtung, die in Teilen vernünftig und nachvollziehbar waren, denn dass dieses Kasernierungskonzept kein Zukunftskonzept war, das war unmittelbar einleuchtend. Aber mit welcher Geschwindigkeit und wie das gemacht werden sollte, ohne Rücksicht auf die finanzielle Situation – denn das kostet ja alles ein Schweinegeld –, das war dann so ein Thema!

Schmuhl: Wie ging der Personalvorstand damit um, dass von der Personalbasis in sehr aggressiver Form Veränderungen eingefordert wurden?

Wittern: Das ist einer der Punkte gewesen, mit denen Pastor Schmidt wohl nicht so zurechtkam und was ihn dann letztlich auch veranlasst hat, die Stiftung zu verlassen.

Kutzner: Wie sahen diese Veränderungen aus?

Wittern: Ja, die Veränderungen sahen so aus, dass auch in diesen zum Teil sehr großen Gebäuden, die da entstanden waren, Wohngruppen gebildet wurden und es eigene Zuständigkeiten gab. Das war eigentlich ganz gut. Aber was die – in Anführungszeichen − Nicaragua-Gruppe [gemeint ist der Kollegenkreis] machen wollte, die wollte die − damals noch – Anstalt vollkommen auflösen, wollte in die Stadt umziehen, in Wohngruppen hier, da, dort und so, und es war nicht klar, wie das strukturiert und gesteuert werden sollte – für mich ein großes Problem, muss ich gestehen.

Schmuhl: Da muss ich noch mal einhaken mit Blick auf die Leitungskrise um Pastor Schmidt: Wie haben Sie diese aus Ihrer Perspektive erlebt?

Wittern: Ich selber habe die eigentlich nicht sehr wahrgenommen, denn, ich muss mal so sagen, was ich im Unterschied zur Industrie auch in Alsterdorf vermisst habe, war, dass man wöchentliche Vorstandssitzungen machte, wo man Probleme besprechen konnte. Es gab wenig Kontakt untereinander.

Schmuhl: Ah ja.

Wittern: Und deswegen, sag ich mal, habe ich von der Krise, die Pastor Schmidt da durchgemacht hat, nur sehr distanziert etwas mitbekommen.

Schulz: Gab es am Anfang Ihrer Tätigkeit Ereignisse, die sich bei Ihnen eingebrannt haben, im Sinne von „Das war besonders“?

Wittern: Na ja, besonders war, dass ich, wie gesagt, am 1. Februar angefangen habe, und irgendwann im April habe ich Pastor Schmidt und Herrn Heine gesagt: Wenn wir bis September die wirtschaftliche Situation nicht in den Griff kriegen und keine Verluste mehr machen, dann besteht das Risiko, dass wir Insolvenz anmelden müssen. So, und wir haben das dann doch bis September/Oktober geschafft, dass die Verlustsituation ausgeglichen wurde, aber wir hatten damals kein Eigenkapital mehr. Das war alles weg.

Schmuhl: Okay. Wie haben die Herren auf diese Eröffnung reagiert?

Wittern: Na ja, ich denke, wir haben hinterher gezeigt, dass wir Änderungen vorgenommen und zugelassen haben, sodass das doch wohl angekommen war.

Schmuhl: Wie haben Sie das so schnell hinbekommen? Bis September war eine kurze Zeit.

Wittern: Ja, das war eine kurze Zeit. Es musste Personal eingespart werden, es mussten Maßnahmen ergriffen werden. Da blieb nichts anderes übrig, wodurch ich mich nicht besonders beliebt gemacht habe beim Betriebs- oder beim Personalrat. Das muss man so sehen.

Schmuhl: Das kann man sich vorstellen. –Sie haben dann auch das Interim miterlebt. Bischof Kohlwage war ja Interimsdirektor und dann kam der Probst Mondry.

Wittern: Ja, also das Interim mit Kohlwage war eine sympathische Zeit, muss ich sagen, weil er ein sehr umgänglicher Mensch war. Aber er hat [jetzt] keinen besonderen Einfluss auf die Stiftung oder die Veränderungen genommen.

Schmuhl: Wie kam das eigentlich, dass er dazu berufen wurde?

Wittern: Keine Ahnung.

Schmuhl: Okay.

Wittern: Keine Ahnung, es entzieht sich auch meiner Kenntnis, wie Probst Mondry hinterher gewählt wurde oder wie es kam, dass man sich für ihn entschieden hat. Ich habe da keinen Einblick bekommen.

Schulz: Waren Sie als Finanzvorstand damals auch in einer Zusammenarbeit mit dem Stiftungsrat?

Wittern: Ja, ja, natürlich.

Schulz: Das ist schon passiert.

Wittern: Ja, ja.

Schulz: Sie haben zusammengearbeitet.

Wittern: Das musste ja sein. Ich meine, es fing damit an, dass die Idee, dass eine Einrichtung „Anstalt“ heißt, einfach nicht mehr zeitgemäß war. Die Alsterdorfer Anstalten waren auch keine eigenständige Rechtspersönlichkeit und deswegen kam dann die Idee auf, eine Stiftung daraus zu machen, und dann der Name „Evangelische Stiftung“ und dann kam noch der Name „Alsterdorf“. Und dann stand der Name und so kam es zur Umbenennung. Und das ging natürlich nie ohne den Stiftungsrat.

Schulz: Wann ist das passiert und wer waren die Treiber, dass das so gekommen ist? Waren Sie einer davon?

Wittern: Ich war maßgeblich daran mitbeteiligt.

Schulz: Das muss Mitte der 80er-Jahre gewesen sein?

Wittern: Mitte der 80er, ja, genau. Wann genau die Umbenennung war, weiß ich nicht mehr, aber das war 1985/86, so um die Zeit.

Kutzner: Was hat sich durch die Umbenennung verändert?

Wittern: Zunächst eigentlich nichts. Das war nur eine formelle Umbenennung und, wie gesagt, die Stiftung entwickelte dann eine selbstständige Rechtskörperschaft und das war schon etwas wert, auch innerhalb der evangelischen Kirche war dann hinterher die Stiftung eben eine eigenständige Einrichtung.

Schmuhl: Noch mal zum Verständnis: Wie waren die Rechtsverhältnisse vorher?

Wittern: Ja, schwierig zu sagen: Wie war das mit einer evangelischen Stiftung, die Teil der nordelbischen Kirche war? Ganz schwierig! Weil ich das auch nicht so durchschauen konnte, welcher Einfluss da dann kam. Deswegen war ich sehr daran interessiert, dass daraus eine eigenständige Stiftung wurde.

Schulz: Das heißt, rechtlich war die Stiftung vorher zu Zeiten der Anstalten, wie Sie sagten, kein eigener Rechtskörper? Auch kein Verein?

Wittern: Jedenfalls nicht deutlich erkennbar.

Schulz: Okay. Wie wurde diese Einrichtung rechtlich behandelt? Das ist ja eine Einrichtung gewesen, die damals schon sehr groß war.

Wittern: Ja, wie wurde sie behandelt? Der Direktor war derjenige, der sozusagen dann entschied, was war.

Schulz: Okay. Mmh.

Schmuhl: Sie haben eben sehr anschaulich die finanzielle Schieflage geschildert, als Sie kamen und wie dramatisch das war.

Wittern: Ja.

Schmuhl: Es ist ja dann in den Jahren darauf ein Sanierungskonzept entwickelt worden.

Wittern: Ja, genau, und das ist dann auch umgesetzt worden, und als ich Alsterdorf verlassen habe, war wieder ein Eigenkapital da von damals fast 40 Millionen DM. Also insofern waren wir nicht ganz untätig. Was sich auch sehr positiv entwickelt hat, war der Spendenbereich. Da war übrigens Ihr Namenskollege tätig …

Schulz: … genau, Lothar Schulz …

Wittern: … Lothar Schulz …

Schulz: … etwas älter als ich, genau …

Wittern: … und wir haben sehr daran gearbeitet, unter anderem auch, dass die Behindertenwerkstatt dann auch für die Verwertung der Spendenkleidung verantwortlich wurde. Das ist ein wesentlicher Einnahmebetrag gewesen. Und dann haben wir Spender aktiviert, die dann doch einige Hunderttausend spenden konnten. Das war schon ganz beachtlich.

Schmuhl: Also gab’s eine gezielte Akquise von neuen Spendern?

Wittern: Ja.

Schmuhl: Was waren andere Pfeiler des Sanierungskonzeptes?

Wittern: Zum Beispiel die Senkung der Kosten in bestimmten Bereichen, zum Beispiel Wäscherei und Küche. Da gab’s hinterher ja großen Streit drüber, ob das Konzept der Küche, das wir dann hatten, taugte. Wir sind bundesweit herumgereist und haben uns die anderen Einrichtungen angeguckt und deren Speiseversorgung, und dann haben wir eine neue Küche gebaut, weil die alte einfach abrissfähig war, da war keine Substanz mehr. Die war natürlich für diejenigen, die dieses neue Konzept der Dezentralisierung im Kopf hatten, gar kein Punkt.

Schmuhl: Nur der Neugier halber: Können Sie sich noch erinnern, wo Sie sich überall Küchen angeschaut haben, als Sie auf Rundreise waren?

Wittern: Wir waren in Bielefeld, wir waren in einer ganzen Reihe von anderen großen Behinderteneinrichtungen und haben geguckt, was die für Kücheneinrichtungen hatten.

Schmuhl: Ja, interessant.

Wittern: Das war natürlich, sag ich mal, auch mehr eine Idee von mir, dass man sagte: Genau wie die Wäscherei können die anderen Bereiche sich doch öffnen als Dienstleistungsunternehmen. Die Küche kann fantastisch Zulieferer werden für andere Krankenhäuser. Insofern war das für mich kein großartig riskantes Projekt. Und bei der Wäscherei war das genau das Gleiche. Die konnte man auch nach außen hin öffnen und Kunden einsammeln. Das war gut. Und dann war da noch das Werner-Otto-Institut, auch ein etwas „schwieriges Kind“ in der ersten Zeit. Das haben wir dann auch auf positive Beine stellen können, das war sehr gut. Und in Herrn Werner Otto, der das sehr unterstützt hat, hatten wir auch einen großen Mentor. Das war schon toll!

Schulz: Als Sie gestartet sind in der Stiftung, ging es ja in der Presse um das Thema Schlangengruben der deutschen Psychiatrie – gerade 1979/1980 war ja dieses ZEITmagazin erschienen.

Wittern: Ja.

Schulz: Wie sind Sie als verantwortlicher Mensch für die Finanzen, der da hinkommt und das ja wahrgenommen hat, damit umgegangen, in so einer Institution jetzt Verantwortung zu tragen?

Wittern: Genau gesagt: Das ist mir nicht unter die Haut gegangen, sondern ich habe das als Aufgabe begriffen. Diese habe ich aufgenommen, wahrgenommen und gemacht. Und das doch in einer Weise, muss ich sagen, die schon ganz gut war. Sie fragten: Was war noch passiert? Wir hatten ja außer Gut Stegen noch einen landwirtschaftlichen Betrieb. Den haben wir abgegeben, weil das auch sehr teuer war und viel Geld kostete. Und solche Maßnahmen wurden dann ergriffen, um kostensparend zu werden.

Schmuhl: Also inwieweit konnten in dieser finanziell sehr angespannten Situation eigentlich so grundlegende konzeptionelle Gesichtspunkte mitberücksichtigt werden, wie etwa das Normalisierungsprinzip und Ähnliches?

Wittern: Schwierig. Darüber wurde auch nach meinem Eindruck viel zu wenig geredet. Und man hat sich nie zusammengefunden, um daraus ein verbindliches Konzept zu machen, das auch überzeugend übertragen werden konnte.

Schulz: Was, denken Sie, waren die Gründe dafür? Denn das Thema Normalisierung und Integration in den 1980er-Jahren war ja bundesweit ein großes Thema in der Eingliederungshilfe. Was waren die Gründe dafür aus Ihrer Wahrnehmung, weshalb das in der Stiftung – damals noch Anstalten, dann Stiftung – gar nicht so thematisiert wurde?

Wittern: Ja, also ich muss gestehen, ich habe das auch in den anderen Behinderteneinrichtungen nicht empfunden, dass das dort groß diskutiert und in Konzepte umgesetzt worden wäre. Da war Alsterdorf keine Ausnahme.

Schmuhl: Ich habe als Stichpunkt auf meinem Zettel noch stehen: Generalplanung 1983?

Wittern: Das war eins der Themen der wirtschaftlichen Umstrukturierung.

Schmuhl: Und als Merkposten dann noch: Beauftragung des dänischen Lohfert-Instituts?

Wittern: Das ist insofern ein kleiner Fehler, als das dänische Lohfert-Institut ein deutsches Lohfert-Institut ist …

Schmuhl: … in Dänemark ansässig …

Wittern: Nein, nein, das war hier in Deutschland ansässig, aber der Bruder Lohfert, der hatte in Dänemark eines. Das ist insofern ein Missverständnis.

Schmuhl: Das ist also ein deutsches Institut?

Wittern: Ja. Die saßen hier in Hamburg.

Kutzner: Hat sich die finanzielle Situation über die Jahre noch verbessert?

Wittern: Die Situation hat sich verbessert bis zu dem Zeitpunkt – und da war denn auch Probst Mondry dran –, wo man sagte: Okay, wir öffnen und machen Wohngruppen außerhalb. Da werden 500 Leute engagiert, ohne dass man vorher gewusst hat, wie man das finanziert. Das habe ich ja in einem Papier aufgeschrieben – ich weiß nicht, ob Ihnen das zur Verfügung steht −, alles, was da meiner Meinung nach nicht gut gelaufen ist und wo ich den Vorschlag gemacht habe: Wir haben jetzt so viele Jahre so dramatisch umstrukturiert, nun lasst uns mal eine Pause machen – nun kam dazu, dass ich nun auch gesundheitlich Probleme hatte – und lasst uns dann darüber nachdenken, wie strukturieren wir um und was ist an Maßnahmen erforderlich. Ich wollte nicht unbesehen in ein neues Konzept reingehen, ohne die Auswirkungen zu sehen.

Schulz: In Ihrer Wahrnehmung damals, wenn man das so auf einer Skala von eins bis zehn bewerten soll, wie erfolgreich konnte das Gremium „Vorstand“ in den Konstellationen, die Sie da vorgefunden haben, zu den Herausforderungen, die wir ja gerade schon besprochen haben, [eigentlich arbeiten]? Können Sie das einschätzen? Haben Sie eine Einschätzung dazu?

Wittern: Vier.

Schulz: Vier. Okay.

Wittern: Nicht viel mehr.

Schulz: Hat sich das verändert in den Jahren, in denen Sie da waren?

Wittern: Und man muss natürlich dazu sagen, es kam die Krankheit von Herrn Heine dazu. Die war natürlich für die Stiftung dramatisch. Denn Herr Heine hat eine ganz wichtige Rolle gerade in der Personalführung gehabt und diese auch positiv wahrgenommen. Als er ausfiel, war das schon schwierig.

Schulz: In der Phase wurde auch kein neuer Personalvorstand berufen, glaube ich.

Wittern: Der Personalvorstand, der neue, war ja dann Herr Buschmann.

Schulz: Ah, okay.

Wittern: Die Wahl fiel auf Herrn Buschmann – ich hatte irgendwann Kontakt zu ihm beziehungsweise zu …, wie heißt es noch, fällt mir im Moment nicht ein, war ein Gewerkschaftsunternehmen, das hier für die Bauten zuständig war – und da war er tätig, und ich hatte Kontakt und dachte immer: Wenn wir so einen zum Personalvorstand haben, der dann auf die Nicaragua-Gruppe vielleicht einen guten Einfluss hat, den sollte man nehmen. Und so kam es dann zur Auswahl von Herrn Buschmann.

Schulz: Ah ja. Mmh. Hat sich diese Bewertung im Laufe Ihrer Tätigkeit bis zu Ihrem Ausscheiden denn verändert oder blieb das auf der Skala vier?

Wittern: Nein, es wurde nicht besser.

Schulz: Okay.

Kutzner: Haben Sie auch noch weiter über die Jahre die Evangelische Stiftung Alsterdorf verfolgt?

Wittern: Ja, natürlich, doch, dazu, muss ich gestehen, war mir die Tätigkeit in Alsterdorf eigentlich zu sehr ans Herz gewachsen und ich habe schon immer gehorcht, was tut sich da, wie läuft das da ab, wobei ich nur überrascht war, wie wenig Kontakt Alsterdorf zu mir gesucht hat. Es gab ja dann so eine Phase, wo ich sozusagen der Teufel der Stiftung war, was ich nie nachvollziehen konnte. Weder der Stiftungsrat noch irgendjemand hat mit mir ein Gespräch gesucht. Ich weiß gar nicht, was die Gründe waren, warum man sich so verhalten hat. Na ja.

Schmuhl: Bezieht sich das jetzt schon auf die Zeit nach Ihrem Weggang?

Wittern: Nein, auf die Zeit, wo Buschmann da war.

Schmuhl: Ah ja, okay.

Wittern: Herr Buschmann hat das offensichtlich aktiv betrieben.

Schmuhl: Ach so.

Schulz: Wenn man in die Mitarbeiterzeitschrift schaut, ist da zu lesen, dass es große Kontroversen im Vorstand gab, die auch nicht zu einer Einvernehmlichkeit geführt haben.

Wittern: Das war zum Beispiel die Weiterentwicklung der Stiftung mit der Einstellung von 500 zusätzlichen Mitarbeitenden und so. Da habe ich eine sehr eindeutige Position bezogen und habe gesagt: Nein, nicht mit mir.

Schulz: Mmh. Erinnern Sie sich noch, wer in den Verhandlungen mit den Kostenträgern und Leistungsträgern dafür gesorgt hat, dass Pflegesätze angemessen verhandelt worden sind? War das Ihre Aufgabe?

Wittern: Die Pflegesätze habe ich immer alle verhandelt.

Schulz: Die haben Sie verhandelt?

Wittern: Ja, ja. Sowohl für den Behindertenbereich als auch für die Krankenhäuser. Das habe ich gemacht.

Schulz: Gab es konzeptionelle Anforderungen seitens des Kostenträgers, wohin sich die Angebote der Eingliederungshilfe zum Beispiel zu entwickeln haben? Erinnern Sie sich da an Dinge?

Wittern: Nein, ich erinnere mich nur daran – also, im Krankenhausbereich, da hat man ja den Wettbewerb gehabt, welche Pflegesätze haben die anderen Krankenhäuser ausgehandelt – so, da musste man, um im Geschäft zu bleiben, erstens von der Leistungsseite her gut sein und zweitens musste man vom Pflegesatz her vergleichbar sein. Im Behindertenbereich, muss ich sagen, habe ich keine Vorgaben in Erinnerung, die von der Stadt her gekommen wären.

Schulz: Wenn Sie jetzt auf die Stiftung zurückblicken und sich anschauen, was jetzt der Alsterdorfer Markt symbolisiert, was für Gedanken kommen Ihnen da in den Sinn?

Wittern: Da ich den Markt noch nie gesehen habe …

Schulz: Noch nie gesehen!

Wittern: … noch nie gesehen habe, kann ich dazu eigentlich relativ wenig sagen. Ich finde nur die Idee, so etwas zu machen, die ist faszinierend, muss ich gestehen. Und es ist ja immer auch die Debatte, was ist mit dem riesigen 216-Betten-Haus?

Schulz: Das gibt’s ja nicht mehr.

Wittern: Das weiß ich zum Beispiel auch nicht.

Schulz: Das Carl-Koops-Haus ist abgerissen worden.

Wittern: Ist abgerissen worden, ah ja. Denn die Konzeption für das Haus liegt auch vor meiner Zeit. Ich habe letztlich nur die Fertigstellung miterlebt und mitorganisiert. Aber das Konzept für dieses Haus war vorher da. Aber dass es abgerissen worden ist, weiß ich zum Beispiel nicht.

Schulz: Würden Sie sich über eine Einladung der Stiftung freuen, dass Sie das mal kennenlernen?

Wittern: Warum nicht.

Schulz: Gut.

Schmuhl: Scheint angebracht zu sein.

Wittern: Es gab ja mal vor einigen Jahren einen Kontakt zu mir vonseiten des Vorstandes, und zwar ging es damals darum, dass Alsterdorf wohl ein Interesse hatte, die Krankenhäuser zu veräußern. Und da hatte ich dann jemanden benannt, von dem ich der Meinung war, der könnte da behilflich sein. Und irgendwie ist dann das Gespräch zwischen ihm und dem Vorstand auf die Kosten gekommen und daraufhin hatte er gesagt: Ja, Sie müssen ja bedenken, dass ich für den Preis, den ich dafür kriege, Herrn Wittern was abgeben muss. War eigentlich nie so besprochen, aber na ja, okay, so war’s denn halt. Und das fand der Vorstand nicht so witzig.

Schulz: Okay.

Wittern: Okay. Und daraufhin ist der Kontakt nicht weiter fortgesetzt worden.

Schulz: Wenn Sie heute vor der Frage stehen, sich noch einmal neu entscheiden zu müssen, ob Sie Vorstand in der Stiftung Alsterdorf werden, wie würden Sie das heute entscheiden mit dem Wissen von jetzt und der Erfahrung, die Sie gemacht haben?

Wittern: Schwierig, schwierig. Denn ich muss dazu sagen, damals hier in Hamburg zu bleiben, hing auch damit zusammen, dass meine Frau, die Architektin ist, hier ein Büro aufgemacht hatte und erste größere Aufträge dort abgewickelt hatte. Und ich hatte ein Angebot – auch schon den Vertrag auf dem Tisch –, Geschäftsführer bei einem größeren Wirtschaftsunternehmen zu werden. Das hätte aber bedeutet, ich hätte aus Hamburg weggemusst. Das habe ich dann meiner Frau nicht antun wollen und habe gesagt: Gut, dann bleib ich hier in Hamburg. Und dann kam das Angebot und dann habe ich das angenommen. Ob ich das noch mal machen würde, kann ich nicht sagen. Ich müsste die Verhältnisse sehen, wie es denn heute ist. So spontan würde ich sagen: eher zurückhaltend.

Schulz: Okay.

Kutzner: Vielen Dank.

Wittern: Ja, ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen.

Kutzner: Das war sehr informativ.

Schulz: Ja, gleichfalls vielen Dank. Ich fand das sehr schön, dass Sie bereitstanden für das Interview und dass wir das jetzt auch führen konnten.

Schmuhl: Vielen Dank.