04 / 1985 – Interview mit Uwe Schiemann

Teilnehmende

Uwe Schiemann

Nico Kutzner

Reinhard Schulz

Transkription

Kutzner: Herzlich willkommen hier im Studio zum Interview. Wenn Sie sich bitte vorstellen mögen.

Schiemann: Also mein Name ist Uwe Schiemann, jetzt im Hauptberuf Rentner. Ich arbeite aber noch für einen gemeinnützigen Verein, Deutsches Erholungswerk DEW e.V. der in Deutschland sechs Feriendörfer für kinderreiche Familien betreibt.

Schulz: Mein Name ist Reinhard Schulz. Ich leite das Projekt „Dokumentation der Entwicklung von 40 Jahren Eingliederungshilfe in der Stiftung Alsterdorf“, und freue mich auf das Interview mit Herrn Schiemann.

Kutzner: Wie war das damals, als Sie zur Evangelischen Stiftung Alsterdorf gekommen sind?

Schiemann: Das war eine etwas schwierige Geburt, denn ich habe zu der Zeit in Hamburg in der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Planungsstab von Senator Ehlers gearbeitet. Meine Aufgabe dort war, eine „Wohnstättenuntersuchung“ für die Freie und Hansestadt Hamburg zu erarbeiten, in dem die verschiedensten Wohnformen für Menschen mit Behinderung dargestellt wurden. Dieser Bericht wurde in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg, mit dem Rehabilitationsbereich von Professor Runde erstellt [Runde, /Richter, S. /Schiemann, U. (Hg.) 1982, Wohnstätten für behinderte Menschen. Anstalten, Heime, Wohngemeinschaften in der Freien Hansestadt Hamburg, Bonn] – nicht zu verwechseln mit Bürgermeister Ortwin Runde – und in einem Kapitel kam auch die Evangelische Stiftung Alsterdorf vor, damals noch Alsterdorfer Anstalten.

Im Nachhinein betrachtet war dieses Kapitel von mir ziemlich ungeschminkt [geschrieben] in Bezug auf das Leben der Menschen in der Anstalt. Es liegt auf der Hand, dass das natürlich dazu führte, dass zu den damaligen Unterbringungsformen von Menschen mit geistiger Behinderung in einer Anstalt von vielen Seiten Kritik kam. So war dieser Bericht letztlich die Ursache dafür, dass der Vorstand der damaligen Alsterdorfer Anstalten den Kontakt zu Sozialsenator Ehlers suchte und darum bat, dieses Kapitel – ich will es mal vorsichtig sagen – etwas umzuschreiben. Der Senator hat sich darauf nicht eingelassen und dann wurde festgestellt, dass es sinnvoll wäre, denjenigen, der so einen Bericht schreibt, in die Praxis zu entlassen, um bestimmte Veränderungen im Leben von Menschen mit geistiger Behinderung auch im Rahmen der Alsterdorfer Anstalten voranzubringen.

Ich wurde daraufhin gefragt, ob ich Lust hätte, das zu machen. Da ich immer ein Praktiker war – schon während meines Studiums –, fiel es mir nicht schwer, zuzustimmen, und ich sagte, dass ich gerne in die Dienste der Alsterdorfer Anstalten eintreten würde. Im Rahmen – es gab damals eine Abteilung Zentrale Planung – der Zentralen Planung wurde ich dann eingestellt. Das erste, was ich sagte, war: „Ich kann diesen Job nur dann übernehmen, wenn ich weiß, was in den einzelnen Bereichen, die mit den Menschen mit Behinderung direkt zu tun haben, wirklich läuft.“ Von daher trat ich damals an den Vorstand mit der Bitte heran, ein einjähriges Praktikum machen zu dürfen, um die Stiftung bzw. die Arbeitsweise in den verschiedenen Abteilungen kennenzulernen. Das hat man mir nur eingeschränkt genehmigt und auf ein halbes Jahr reduziert. So durchlief ich ein halbes Jahr lang, manchmal sogar in Frühschicht und Spätschicht, die einzelnen Abteilungen und arbeitete mit, um zu sehen, wie die Praxis derjenigen, die dort arbeiteten, und wie die Praxis der Menschen mit Behinderung, die dort lebten, war.

Schulz: Welche Bilder haben sich Ihnen dort eingeprägt, die Sie immer noch abrufen können?

Schiemann: Mir hat sich vor allen Dingen eingeprägt, dass die Mitarbeiter zu dem Zeitpunkt noch ziemlich konzeptionslos arbeiteten, denn in der Praxis war es so, dass Personalmangel herrschte und man heilfroh war, wenn man die Tage und Wochen einigermaßen so überstand, dass keine größeren Schwierigkeiten auftraten; da kann ich den kleinen Reader „Asyle“ von Erwing Goffmann empfehlen. Wenn man den gelesen hat, dann weiß man, dass ein Anstaltsleben das Schwierigste ist, was man überhaupt erleben kann. Und wenn man noch zusätzlich behindert war, dann war das ein Riesenproblem!

Nach diesem halben Jahr erkannte ich zunächst einmal klar, als ich die Strukturen in der Anstalt durchblickt hatte: In den gesamten Arbeitsfeldern der Behindertenhilfe gab es viele Teile, die nach wie vor zentralistisch gesteuert waren. Es ging um die Großküche, um die Werkstatt für Behinderte und es ging um viele Dinge, die von der Struktur her fast unauflösbar waren, weil dieser ganze Betrieb darauf ausgerichtet war, dass alles miteinander harmonierte und funktionierte und sich vor allem ökonomisch in irgendeiner Form rechnete. Ich hatte das Glück, dass eine Abteilung der Anstalten im Stadthaus Schlump ausgesiedelt wurde. Dort gab es einen jungen, neuen Leiter, den Thomas Dühsler, mit dem ich Kontakt aufgenommen hatte und der mich natürlich auch fragte, was ich eigentlich genau machte. Ich sagte ihm: Ich bin dafür da, dass die Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung aus der Heimstruktur in Richtung normale Wohnstrukturen verbessert werden. Da sagte er: „Das ist eine gute Idee, das kann ich unterstützen.“ Wir wollten das Stadthaus Schlump komplett auflösen – da wohnten damals 120 Menschen mit geistiger Behinderung – und wollten die ganzen Menschen auf Wohngruppen in die einzelnen Stadtteile verteilen. So entstanden zunächst einmal über das Stadthaus Schlump in den Stadtteilen verschiedenste Wohngruppen.

Kutzner: Wie wurden die Leute dort damals behandelt?

Schiemann: Das war eine ziemlich schwierige Angelegenheit, denn da gibt es zwei große unterschiedlich zu betrachtende Bereiche. Die Menschen, die mit Herrn Dühsler zusammen die Betreuung von Menschen mit Behinderung im Stadthaus Schlump gemacht hatten, hatten die Idee gehabt: Raus aus der Anstalt und hinein in andere Strukturen, in denen ich selber als Mitarbeiter Dinge verwirklichen kann, die ich in der Anstalt auf keinen Fall verwirklichen kann. Das fing z. B. damit an, dass einmal in der Woche in den Wohngruppen selbst gekocht wurde. Das ist nur ein kleines Beispiel für Mitarbeiter, die sagten: “Ja, Veränderungen sind notwendig und vernünftig!“ Mit Thomas Dühsler zusammen habe ich dann Konzepte entwickelt in die Richtung: Alle Menschen, die in irgendeiner Weise von diesem Prozess berührt sind, sind in die Gestaltung einzubeziehen. Ich nenne noch mal ein Beispiel dafür. Wir haben z.B. gesagt: Wenn über die SAGA eine Wohngruppe für behinderte Menschen eingerichtet werden soll, dann muss der Architekt gleich zu Anfang schon wissen, mit welchen Behinderungen er es zu tun hat, wie groß die Wohngruppe überhaupt sein darf, in welchen Bereichen eine gewisse Selbständigkeit zu erreichen ist und wenn, wie. Also der ganze Architekturplanungsbereich und dann natürlich auch die behinderten Menschen, die umzogen, sollten einbezogen werden. Da wurde dann gesagt: Ja, aber das kann man denen doch gar nicht nahebringen! Daraufhin sagte ich: Doch! Das geht schon! Wir bauten z.B. von diesen Wohneinheiten Modelle aus Holz im Maßstab 1:20 und machten jede Etage abnehmbar, so dass jeder Mensch mit Behinderung, der in einem Zimmer wohnte, zunächst einmal anhand des Modells erkennen konnte: Das wird meine Wohnung, mein Zuhause. Ich hatte einen VW-Bus gemietet, und wir sind dann in der Bauphase mit den Menschen mit Behinderung auf die Baustelle gefahren und guckten uns an, wie weit alles fortgeschritten war. Je weiter der Bau vorankam, desto klarer wurde es auch für die Menschen mit Behinderung: Das wird mal mein Zuhause. Aus dieser Sicht heraus sind auch die Mitarbeiter immer involviert gewesen. Abends, wenn man im Spätdienst war, fragten die Menschen mit Behinderung: Wie weit ist das denn da? Wir haben es sogar so weit getrieben, dass wir in Hannover Jemanden suchten und fanden, der Möbel im Maßstab 1:20 baute. Die kauften wir – damals im Projekt war das möglich – und dann wählten die Menschen mit Behinderung aus diesem Kontingent von Einrichtungsgegenständen die aus, mit denen sie in ihrem Zimmer wohnen wollten. Das Lustige daran war, dass es völlig klar war, dass ein Zuhause, wie es damals üblich war, auch der Wunsch eines Menschen mit Behinderung war. Also eine Couch, eine Stehlampe, einen Tisch mit ein paar Stühlen drumherum zu haben. Das war genau die Situation, in der jeder andere Mensch in der Gesellschaft auch lebte und so wünschten sie sich das. Das war im Vergleich mit der vorherigen Unterbringung in der Anstalt ein unglaublicher Gegensatz. In der Anstalt habe ich zu dem Zeitpunkt außer im Dienstzimmer keine Stehlampe gesehen.

Kutzner: Wie sind die Bewohner*innen mit dieser Situation umgegangen?

Schiemann: Es war schwierig für sie, weil natürlich Ängste bestanden, aber wissen Sie, das mit den Ängsten war eine komische Situation: Die Verwandten dieser Menschen mit Behinderung waren auch in diesen Prozess einbezogen. Wir machten daher Sitzungen, zu denen wir die Eltern bzw. die Verwandten der Menschen mit Behinderung, die in die Stadtteile ziehen sollten, einluden und gemeinsam mit ihnen besprachen, was passieren sollte, weil sie teilweise die gesetzlichen Vormünder waren. Dabei konnte man feststellen, dass die Ängste hauptsächlich bei den Verwandten waren, nicht bei den Menschen mit Behinderung selbst. Aber das hat sich auf die Menschen mit Behinderung übertragen. Ich nenne mal ein Beispiel: Eine ältere Frau kam auf mich zu und sagte: Herr Schiemann, das ist schön, was Sie da wollen. Ich finde das wirklich ganz schön, aber ich sage Ihnen etwas. Ich habe meinen Sohn in der Nazi-Zeit deshalb retten können, weil ich ihn hinter die Mauern der Anstalt gebracht habe. Und jetzt nehmen Sie ihn da raus und packen ihn in einen ganz normalen Stadtteil, wo er einfach unter anderen Menschen leben soll. Da habe ich große Ängste, dass das wieder passiert, was früher passiert ist. Und deshalb möchte ich nicht, dass er mit in diese Wohngruppe zieht. Ich habe diese Angst akzeptiert. Man muss so etwas akzeptieren, weil Menschen eben mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und mit ganz unterschiedlichen Ängsten leben. Aber wir stellten im Großen und Ganzen bei vielen Menschen mit Behinderungen fest, dass sie selbst die Idee in Bezug auf diese entstehenden größeren Freiheiten hatten, weil es keine Großgruppe mehr gab und weil es keine Situation mehr gab, der sich der Einzelne unbedingt unterzuordnen hatte. In den neuen Wohngruppen lief es so: Wenn jemand sich in der Wohngruppe nicht mehr wohlfühlte, dann ging er in sein Zimmer zurück und begab sich dort in eine andere Atmosphäre. Das alles spielte dabei eine große Rolle.

Ich muss auch abschließend zu diesem Punkt sagen: Wenn ich damals Thomas Dühsler als Praktiker nicht an meiner Seite gehabt hätte und als Jemanden, der diese gesamten theoretischen Bedingungen wirklich internalisiert hatte, also begriff, worum es dabei ging, wäre das nicht zu schaffen gewesen. Das hat alle Kraft gekostet, denn das ging nicht im Acht-Stunden-Tag, sondern da musste man am Wochenende manchmal hin, man musste mit den Bewohner*innen gesondert noch mal sprechen. Von den Menschen mit Behinderung kamen sehr viele Fragen, die in irgendeiner Weise beantwortet werden mussten. Ein letzter Satz zu diesem Punkt: In der Anstalt selber, also auf dem Gelände gab es natürlich zu diesem Zeitpunkt noch ungefähr 800 oder 900 Menschen, die dort in Großgruppen wohnten, und die Leiter dieser Gruppen haben das, was wir da taten, mit Argwohn angeguckt. Natürlich gab es hier und da auch schon mal Menschen mit leichterer Behinderung, die schon in Wohnungen in Stadtteilen wohnten, die der Stiftung gehörten. Das aber jetzt im Großen durchzuziehen, mit anderen Worten 120 Menschen auszusiedeln und in jeweils sechs Gruppen irgendwo unterzubringen, das war wirklich neu. Es gab viele, die starke Zweifel hatten, ob das überhaupt klappte. Ich sag mal ein Beispiel zum Schlump. Jemand sagte mir: Herr Schiemann, und wissen Sie, ganz zum Schluss liegen hundert Menschen mit Behinderung tot auf der Kreuzung Schlump und Grindelallee, weil sie eben nicht über die Straße gehen können! Das waren die Ängste und im Grunde genommen war der Stadtteil, wo ja auch die Universität ist, prädestiniert dafür, dass man solche Menschen mit integrierte in den Stadtteil. Mittelfristig gesehen war dieser Übergang vom Stadthaus Schlump zu 120 Menschen, die in jeweils sechs Wohngruppen in die Stadtteile ausgesiedelt wurden, teilweise in unterschiedlichen Etagen – dann wirklich ein Erfolg. Das kann man sagen.

Schulz: Diese Phase des Stadthauses Schlump mündete in die Regionalisierung der Wohnangebote –

Schiemann: Das war der nächste Punkt. –

Schulz: und in das Konzept, auch die Anstaltsangebote in eine regionalisierte Struktur zu bringen. Wie haben Sie diese Phase erlebt?

Schiemann: Das war schwierig. Wenn Sie keinen Ortswechsel vornehmen wollten– Sie sind also in der Anstalt, nehmen wir mal das Karl-Witte-Haus – eines der größten Häuser, die es auf dem Anstaltsgelände gab- und versuchen eine interne Struktur hinzukriegen, die auch wohngruppenartig ist, dann funktionierte das nur ansatzweise, weil die überkommenen Lebensformen an bestimmten Stellen immer wieder so durchschienen, dass kaum eine Möglichkeit da war, konkret etwas zu verändern. Gruppen wurden auch verkleinert. Das war formal okay. Aber inhaltlich war es so, dass abends, wenn nur noch die Nachtschicht da war, die viele Menschen zu betreuen hatte, die uralten Strukturen plötzlich wiederauftauchten. Da kamen Menschen mit Behinderung in eine Gruppe, in die sie gar nicht mehr gehörten. Da sie dort aber Freunde hatten, blieben sie da. Das war ein Versuch, einen ersten Schritt in diese Richtung zu machen. Für mich war aber klar, dass auch das Anstaltsgelände selbst mittelfristig unter diesem Gesichtspunkt Regionalisierung, also eine größere Verteilung von Menschen mit Behinderung auf das Stadtgebiet insgesamt, auf jeden Fall betrachtet werden musste.

Schulz: Sie sind dann Anfang der 1990er-Jahre aus der Stiftung ausgeschieden. Haben Sie noch die wirtschaftlich ganz schwierige Situation und die beginnende Sanierung erlebt?

Schiemann: Ja, das habe ich noch miterlebt und ich muss Ihnen auch ganz offen sagen, es war vernünftig, in dem Moment zu gucken, wie man diese etwas schwierige Situation insgesamt in irgendeiner Weise in den Griff bekommen konnte. Denn natürlich bestand die Gefahr, dass eine Insolvenz erfolgte oder, dass die Stiftung mit großem Beharrungsvermögen an dieser Stelle gesagt hätte: Wir wollen diese Veränderungen so nicht. Es musste vielen Menschen klar werden, dass Größe eine wunderbare Sache ist. Für jeden Betrieb, für jedes Unternehmen, die groß sind und in denen das Geschäft floriert, ist Größe ein Begriff, von dem man sagen kann: Ja, Wachsen mit allem, was dazugehört, das ist eine Situation, die einen Betrieb in ruhiges Fahrwasser bringen kann, bis auf einen Punkt. Größe ist etwas, was auch negativ umschlagen kann, und zwar dann, wenn man sie nicht mehr steuern kann. Diese Situation wurde in der Anstalt Anfang der 1990er-Jahre noch heiß diskutiert. Es gab die Zentralisten, die nach wie vor versuchten, alles Mögliche zusammenzuhalten. So habe ich z.B. damals mit einem der Vorstandsmitglieder darüber gesprochen und gesagt: Wenn man genau hinguckt in Hamburg, dann stellt man fest: Macht in Hamburg bedeutet nicht Kubikmeter umbauter Raum an einer Stelle. Man kann durchaus auch dezentral steuern und damit auch Verantwortung in die Dezentralität hineingeben, damit die groben Fehler einer Gesamtsteuerung in so einem Großbetrieb weniger passieren – nicht passieren ist sowieso illusorisch!

Der Weg wurde dann auch langsam beschritten, allerdings unter Schmerzen. Man hat das an verschiedenen Stellen gesehen. Menschen, die eigentlich für die Stiftung gearbeitet hatten, sagten: Nein, das ist jetzt nicht mehr meine Stiftung! So sind auch teilweise Vorstände ausgewechselt worden, so sind teilweise Abteilungsleiter früher in Rente gegangen, so kamen Leute auch teilweise zu mir und sagten: Herr Schiemann, ich soll jetzt in St. Pauli, irgendwo in einer Straße in einer Wohngruppe arbeiten. Wissen Sie was, ich hatte hier meinen Schreibtisch, ich möchte bitte hierbleiben in der Anstalt! Hier fühle ich mich wohl, wohne in der Nähe und bin jeden Morgen schnell zur Arbeit und wissen Sie, das mit dem Ortswechsel wollte ich nicht mehr mitmachen. Gottseidank gab es auch viele junge Leute, die sagten: Wunderbar! Dann arbeiten wir im Stadtteil! So hat sich das langsam zurechtgewachsen.

Kutzner: Im Jahre 2004 sind Sie dann wieder eingestiegen.

Schiemann: Ja, ich bin Ende der 1990er-Jahre mit einem Vorschlag an die Stiftung herangetreten, für diese waren die Verantwortlichen, ich will es mal vorsichtig sagen, nicht mutig genug. Wir hatten hier in Hamburg einen Verein gegründet, der heißt jetzt Barrierefrei Leben e.V. Den gibt es immer noch. Wir haben den deshalb gegründet, weil wir in den Wohneinheiten viel in die Richtung arbeiten wollten, dass technische Hilfen für Menschen mit Behinderung zu mehr Selbständigkeit führen sollten. Dieser Verein hat zusammen mit der Universität getestet, wie solche Dinge überhaupt vernünftig passieren können. Ich habe damals dem Vorstand der Stiftung vorgetragen, man müsste diesen Verein nicht nur stützen, sondern man müsste ihn richtig fördern, so dass wir dadurch natürlich auch eine völlig andere Arbeitsweise in den Wohngruppen hätten, wenn mehr Selbständigkeit von Menschen mit Behinderung da wäre. Ich sage mal ein Beispiel. Wir hatten eine Frau, die wohnte in einer neuen Wohngruppe und war insofern orientierungslos, als dass sie keine Zahlen lesen konnte. Wir haben dann die Haustür des Hauses, in dem sie wohnte, gelb gestrichen, und haben den Knopf für den zweiten Stock im Fahrstuhl gelb gestrichen. Wenn die Fahrstuhltür aufging, guckte sie auf ihre Wohngruppentür, die auch gelb gestrichen war. Vor diesem Hintergrund hatte diese Frau eine Art Selbständigkeit erreicht, so dass sie nicht mehr im Fahrstuhl war und sich fragte, wo sie hingehen musste. Auch die Treppe bis zum zweiten Stock hatte so einen gelben Streifen und da hörte er auf. Sie wusste also ganz genau, auch wenn der Fahrstuhl nicht funktionierte: Aha, hier muss ich anhalten! Da ist meine gelbe Tür, da muss ich hin. Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie man im Rahmen von technischen Hilfen, Hilfestellungen für Menschen mit Behinderung bereitstellen kann. Ich fand die Idee gut und die gibt es Gottseidank auch noch heute, denn es gibt den Verein Barrierefrei Leben e.V. noch. Inzwischen ist er erweitert für alte Menschen, so dass auch alte Menschen mehr Selbständigkeit leben können. Aber zu dem Zeitpunkt damals habe ich dem Vorstand gesagt: Ich würde gerne, dass das gemacht wird. Daraufhin sagte der Vorstand nach einigem Zögern: Lieber nicht! Und ich sagte dann: Aber ich! Ich mache das jetzt! Dann habe ich gekündigt und den Verein mit nach vorne gebracht – ich muss immer sagen, dass ich zu dem Zeitpunkt viele Helfer hatte, vor allem die Universität, die mir geholfen hat – und letztlich erreichten wir, dass viele Dinge von außen an die Stiftung herangetragen wurden nach dem Motto Macht doch das oder das!

Ganz schwierig war das Verhältnis zu Architekten, weil die Architekten behaupteten, dass sie die deutsche Industrienorm für Menschen mit Behinderung schon mit der Muttermilch aufgesogen hätten. Das Problem war nur, dass die Norm eine Sache ist und das praktische Leben eine andere. Und so haben wir bei den Bauten, von denen ich berichtet hatte, teilweise ungewohnte Situationen gehabt. Ich bin mit einen Klapprollstuhl hinten im Auto auf die Baustelle gefahren, um mir anzugucken, wie weit der Bautenstand war, dann habe ich den Rollstuhl ausgeklappt und dem Architekten oder auch dem Bauleiter gesagt: Setz dich da rein! Der sagte: Nicht dein Ernst, oder? Ich sagte: Doch! Jetzt fahren wir mal in ‘s Haus, nur in ’s Erdgeschoss – Aufzug gab es damals noch nicht – , aber wir wollen gerne den Aufzug rufen, und jetzt roll da mal hin an diesen Schacht und versuch mal, mit deinem linken oder rechten Arm oder mit deinem Stock den Aufzug zu rufen. Die Elektriker hatten damals schon die Schlitze gemacht, so dass man wusste, dass da der Taster hinkam, und dann haben die nur gesagt: „Den kann ich nicht erreichen!“ Woraufhin ich sagte: „So geht das eben auch nicht, sondern der Drehkreis um diesen Fahrstuhlschacht herum muss einfach größer werden, sonst funktioniert das nicht.“ Das ist ein Beispiel dafür, dass wir teilweise eben auch den Architekten sagen mussten: Fragt nach, denn im Detail ist es doch anders als theoretisch! Das wurde hinterher auch honoriert. Für die Bauten wurde damals ein Betrag für sogenannte „Technische Hilfen“ bereitgestellt, damit solche Dinge auch bezahlt werden konnten, denn wir hatten in diesem Verein auch Angestellte, die ihren Lohn bekommen mussten. Die Stadt Hamburg hat große Zuschüsse dafür gegeben, weil sie erkannt hat, dass dadurch Reibungsverluste erheblich verändert werden konnten.

Und ich muss in dem Zusammenhang auch noch eine Person erwähnen, die ich in der Zeit sehr geschätzt habe. Es gab damals in der Baubehörde einen dafür zuständigen Mann, den Regierungsdirektor Joachim Brom, der wirklich viel Erfahrung hatte mit dem Thema „Wie geht man mit den Bauherren um, wenn solche Veränderungen vorgenommen werden sollen?“ oder Wie geht man mit den Firmen um, die solche Dinge nach vorne bringen?“ Der hatte so viel Erfahrung, dass man sagen konnte, ohne den wäre es nicht gegangen! Und der hat auch überall dafür geworben, dass solche Dinge, vor allen Dingen auch für die Alsterdorfer Anstalten, verwirklicht wurden. Das Ziel war die Regionalisierung von Wohnangeboten, von Arbeitsangeboten, Integration in den Stadtteil, so, wie man sich das auch im normalen Leben vorstellte.

Schulz: Das wurde dann weiter umgesetzt. Nach der erfolgreichen wirtschaftlichen Sanierung gab es dann die Bereiche HamburgStadt, AlsterDorf und HamburgUmland. Wie haben Sie das wahrgenommen, diese Strukturierung so zu machen, dass das Dorf als alte Anstalt übrigblieb?

Schiemann: Wissen Sie, das ist auch so eine Situation gewesen, in der ich – ich bin schon Jemand gewesen, der auf die Tube drückte, wenn es sein musste – erkannte, dass die Menschen mitgenommen werden mussten, die da arbeiteten. Das war wirklich eine Zeitfrage! Es ging nicht darum, mit Macht zu sagen: Also hier, sage ich euch mal, da geht es lang! Sondern die Menschen selber erkennen in vielen Punkten, dass sie an vielen Prozessen so beteiligt sind, dass es auch trägt. Diese erste Dreiteilung, die da vorgenommen worden war, war ein Schritt in diese Richtung. Von daher habe ich an dieser Stelle nur gesagt: Okay, es dauert und es wird auch länger dauern.

Ich will dazu noch ein anderes Beispiel nennen für etwas, mit dem wir heute noch zu tun haben. Ich war mal durch die Stiftung bei der Baubehörde Hamburg eingeladen, in einer Gruppe mitzuwirken, die den behindertengerechten – so hieß das damals noch – Ausbau der U-Bahn und S-Bahn vorantreiben sollte. Diese Gruppe wurde 1987 gegründet. Alle die da saßen, mich eingeschlossen, sagten: Super, jetzt beginnt der Ausbau des Nahverkehrs! Das ist eine tolle Sache! Wenn Sie jetzt mal danach fragen, dann stellen wir zwar fest, dass wir in dreißig Jahren eine Menge erreicht haben, aber der U-Bahn und S-Bahn-Ausbau – jetzt barrierefrei, früher behindertengerecht, das war in gewisser Weise eine Einschränkung – ist teilweise noch nicht beendet und teilweise sind Dinge dabei, die man einfach akzeptieren muss. Wer den Jungfernstieg über vier Geschosse barrierefrei ausbauen will, der muss da Aufzüge reinsetzen, die eine Ingenieurleistung verlangen, da kann ich nur aufstehen und mich verneigen bei dem, was da dann passieren müsste. So ist es in vielen anderen Bereichen auch. Wenn Sie dann auch noch berücksichtigen, dass einerseits die S-Bahn eine Bundesbahn-Angelegenheit ist, und wir andererseits im HVV die Hamburger Bereiche der U-Bahn haben, würde es dauern, ehe die sich alle darüber einig sein würden wie, wann, was, wo wirklich barrierefrei erstellt werden sollte. Wie viele Leute gab es, die sagten: Das brauchen wir eigentlich gar nicht! Wir kommen doch alle gut in die U-Bahn. Wozu regen wir uns auf? Und der Rollstuhlfahrer, den es da noch gibt in Steilshoop oder wo auch immer, der soll sich mal ein Taxi nehmen! Das können wir auch bezahlen. Wissen Sie, das wird billiger! Nein, die Beteiligung der Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit am ganz normalen Leben, war das Ziel und nicht, sich ein Taxi zu bestellen. Es hat sehr lange gedauert, bis sich das auch überall in den Behörden soweit verfestigt hatte, dass diese Zielrichtung trug und auch ausgegeben wurde. Und noch heute ist es so: Manchmal lese ich im Hamburg Abendblatt Ach, da wird wieder eine neue U-Bahnlinie fertiggestellt, und ich sage: Okay, das sind eben dreißig Jahre und so lange dauert eben so etwas.

So ist es eben auch in diesem Schritt gewesen, diese Dreiteilung vorzunehmen, bei der ich gedacht habe: Ja, macht es erst mal so. Irgendwann kommt der Punkt, wo die Selbständigkeit der einzelnen Bereiche so groß ist, dass sie sagen: Wir kommen zwar einmal im Monat oder zweimal im Monat zusammen und besprechen noch einmal ein paar deutliche Probleme, aber für den gesamten regionalen Teil ist eine Leitung in dieser Form nicht mehr nötig. Man sieht ja, dass es funktioniert.

Schulz: Sie kamen, wie Herr Kutzner schon sagte, 2004 wieder in die Stiftung zurück. Da gab es schon den Alsterdorfer Markt, da waren schon die Zäune und die Pforte weg. Erinnern Sie sich noch daran, ob es das Pförtnerhäuschen da noch gab, oder war es schon weg?

Schiemann: Nein, das gab es noch.

Schulz: Wissen Sie noch, wann das abgerissen wurde?

Schiemann: Das war lustig. Die Pforte war eh über, um es mal deutlich zu sagen. Was ich verstehen konnte war, dass es noch einen Pförtner gab. Mein Gott, der wollte sein Geld verdienen, da hatte ich nichts dagegen, aber es war so, dass eines Tages im Winter ein Laster, der auf das damalige Anstaltsgelände fuhr, an der Stelle anhalten musste und richtig rückwärts in ’s Rutschen kam und zwar so, dass die Schranke getroffen wurde. Da habe ich morgens gesagt: Ach, Gottseidank, die wird wohl jetzt nicht wiederaufgebaut! Und so war es dann auch.

Schulz: Welches Jahr war das? Wissen Sie das noch?

Schiemann: Das muss um 2005 herum gewesen sein, sehr spät, weil es den Pförtner nicht mehr gab, sondern nur noch diese Schranke, so dass ich dachte: Langsam normalisiert sich das Ganze in die Richtung, dass man wirklich in das Gelände reinfahren kann, es Straßennahmen gibt und man nicht das Haus Bethabara oder Bethesda suchen muss, weil das natürlich eine Adresse ist, die für jeden Menschen in der Stadt, ich sage es einmal vorsichtig, etwas unverständlich ist.

Ich bin 2004 auch deswegen wieder zurückgekommen, weil es eine ganz große Veränderung gegeben hatte, die Wirkung in alle Bereiche hinein hatte. Und zwar wurde im Rahmen der Sanierung, über die wir eben gesprochen haben, eines der zwei Erbbaurecht-Grundstücke der Stadt Hamburg zum Eigentum der Stiftung Altersdorf, das andere Erbbaurecht wurde an die Stadt Hamburg zurückgegeben. Das steigerte den Wert des gesamten Geländes erheblich und vor diesem Hintergrund konnten auch die Kreditlinien für das neue Eigentumsgrundstück erhöht werden, so dass wirklich auch Veränderungen im baulichen Sektor, sprich Bau Alsterdorfer Markt etc. vorangetrieben werden konnten. Das muss man einfach sehen. Ich kam dann dazu, weil es noch Projekte gab – eine Sache war Haus 5, da kommen wir vielleicht später noch zu –, an die, ich sag mal vorsichtig, keiner richtig rangehen wollte und ich dachte: Also das Ding ist so gut, dass muss gemacht werden und jetzt versuch mal, in irgendeiner Weise etwas in Gang zu setzen! Ich habe dann Gespräche geführt in der Behörde, mit dem Vorstand, mit dem damaliger Leiter der Alsterdorfer Werkstätten, mit Herrn Lühr, und erfuhr überall Unterstützung, so dass ich selber auch meine eigenen Ängste vor der Sache ein bisschen nach hinten schob und dann sagte: Okay, wir machen das! So ist dann eines dieser Projekte auch deshalb zustande gekommen, weil meine Erfahrung in Hamburg mit den Behörden und auch mit dem Thema Finanzierung Wie kriegt man das so hin, dass das auch einigermaßen funktioniert? gegriffen hat und man dann guten Mutes sagte:Dann machen wir das Ganze.

Schulz: Daraus ist dann mit der Haus5 Service GmbH einer der großen Integrationsbetriebe, der größte hier in Hamburg, entstanden. Als er gegründet wurde hieß er ESA Catering St. Pauli GmbH und jetzt ist er ein Inklusionsbetrieb, der expandiert.

Schiemann: Das ist auch absolut vernünftig und richtig. Ich habe mir noch mal auf den Internetseiten die Struktur angesehen, und dachte nur noch: Das haben die super hinbekommen! Nach wie vor ist es gut, mit dem Begriff „Größe“ vernünftig umzugehen, das heißt, dass die Verantwortlichen der einzelnen Abteilungen auf der einen Seite hohe Eigenverantwortung haben und dass auf der anderen Seite im Zusammenspiel mit allen anderen daraus etwas Vernünftiges werden kann. Das ist schon eine vernünftige Situation, das muss ich sagen.

Aus der Zeit, als wir damit anfingen und es noch diese Zentralisten Anfang der 1980er-Jahre in der Stiftung gab, kann ich mal wieder so ein praktisches Beispiel geben: Ich hatte einmal die Gelegenheit, anzugucken, wie die EDV-Einführung in die damaligen Anstalten passieren sollte. Eine große japanische Firma kam hier an, stellte ihr gesamtes Projekt vor, wie sie die Anstalten unter dem Gesichtspunkt EDV bearbeiten wollten, und alle waren hellauf begeistert. Wenn man auf den Knopf drückt, kann man am Morgen genau erkennen, was da und da und da los ist, solange man das auch eingegeben hat. Das war die Voraussetzung dafür, wobei ganz schnell klar wurde, dass diese Prozesse, ökonomisch, aber auch strukturell sehr sorgfältig angeguckt und durchdacht werden müssten. Laut der großen japanischen Firma würden 90 Prozent der Prozesse sowieso in den Abläufen schon als Standard richtig vorgegeben und nur 10 Prozent der ganzen Angelegenheit müsste extra programmiert werden, also so teuer würde das alles gar nicht! Umgekehrt war es der Fall. Nur 10 Prozent der Prozesse konnten übernommen werden und 90 Prozent mussten programmiert werden, was natürlich die Einnahmesituation des großen Konzerns aus Japan erheblich verbessert hat.

Schulz: Wir müssen auf die Zeit schauen. Herr Kutzner haben Sie noch eine Frage an Herrn Schiemann?

Kutzner: Wenn Sie jetzt mit Ihrem Fachwissen noch einmal am Anfang stehen würden, würden Sie sich dann dafür entscheiden, wieder in der Stiftung anzufangen?

Schiemann: Ja. Ich will auch ganz offen sagen weshalb. Ich bin wirklich in meinem beruflichen Leben in einer sehr glücklichen Lage gewesen, weil ich immer das Glück hatte, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Ich nenne mal nur ein Beispiel: Wenn Sie einen Planungsprozess mit den Beteiligten aufsetzen und durchführen, dann kommen Sie ganz schnell an den Punkt, an dem Sie theoretische Hilfe brauchen. hatte ich die Uni in Hamburg im Rücken und konnte sagen: Liebe Leute, macht doch mal ein Seminar da und darüber, damit ich weiß, was an Prozessen wirklich abläuft und wie wir auch einhaken können. Auf diese Weise sind Theorie und Praxis in meinem gesamten beruflichen Leben immer so gewesen, dass ich beide Seiten sah und teilweise auch starke Hilfestellung bekam.

Ich nenne mal als ein Beispiel die theoretischen Ausführung, die der damalige Professor Runde hier an der Anstalt zu einem ganz bestimmten Punkt, der hier untersucht werden sollte in der Stiftung – da ging es damals um Mobbing, Achtung, man muss mal hingucken an der Stelle, das ist schon so lange her – macht und die dann wirklich dazu geführt haben, dass alle sagten: Also, wenn die Wissenschaft das schon so sagt, dann können wir daran nicht vorbei. Da müssen wir Veränderungen da und dort vornehmen! So habe ich es auch für mich selbst in meinem gesamten beruflichen Leben immer hingekriegt, dass ich mich einerseits über den theoretischen Stand der Diskussionen in diesen Bereichen kundig machen konnte und andererseits natürlich praktisch, das will ich ganz offen sagen, ein „Arbeitstier“ war. Es hat manchmal Stunden gedauert, um Jemanden in die Richtung zu überzeugen, es macht Sinn, geht es schief, ist es auch nicht schlimm. In diesen ganzen Dingen, ich nenne es jetzt mal im Überbegriff, habe ich immer ganz viel mit Fehlertoleranz zu tun. Wir sprechen in Unternehmen immer wieder darüber, ob es eine größere Fehlertoleranz geben müsste. Dreimal Ja und dreimal Ausrufezeichen dahinter! Denn nichts funktioniert sofort so, dass man von vorneherein sagen kann: Glatt durchgelaufen! Jeden Tag werden Fehler gemacht und ich habe diese Fehler auch gemacht und habe an bestimmten Stellen teilweise mit mir gerungen. Aber das war alles so spannend, dass ich das immer wieder machen würde.

Schulz: Eine letzte Frage. Auf einer Skala von 1 bis 10 wie weit hat sich die Stiftung in der Eingliederungshilfe und im Sozialraum entwickelt?

Schiemann: Zu dem Punkt habe ich im Augenblick keine abschließende Meinung. Wissen Sie, das Thema Inklusion ist zunächst einmal schon seit Jahren eine richtig theoretische Diskussion. Ich bedauere eigentlich immer wieder – das ist übrigens ein Streit, der an vielen Universitäten geführt wird –, dass man in der theoretischen Arbeit an der Universität wirklich vergisst, dass es letztlich zu einer praxisnahen Umsetzung kommen muss. Es reicht nicht aus, dass ich ein ganz kluges Buch dastehen habe und ich nach der dritten Seite danach googeln muss, welcher Begriff eigentlich gemeint ist. Als ich mit Prof. Peter Runde und seinem Institut in diesem Rahmen zusammengearbeitet habe, ging es um einen Handlungsforschungsansatz. Prof. Runde sagte beispielsweise zum Thema Barrierefreiheit: Das müssen wir praktisch machen! Es wird ein Verein gegründet und es wird ausprobiert, was in der theoretischen Diskussion zum Thema Lifter für Menschen mit Behinderung z.B. bisher noch ein Fehler ist?

Wir haben wirklich gut gearbeitet! Derjenige, der sich uns damals in Deutschland wirklich entgegengestellte, war das Institut der deutschen Wirtschaft. [Ergänzung: das Forschungsteam um Prof. Runde hatte eine eigene Datenbank, Handicap II, erstellt, die das Institut der deutschen Wirtschaft jedoch ablehnte.] Die sagten: Liebe Leute, wenn Ihr anfangt, den einzelnen Unternehmen vorzuschreiben, welche technische Variante für bestimmte Hilfsmittel anzuwenden ist und welche nicht, dann kann kein Geld mehr verdient werden! So einfach war das! Und daraus ergab sich dann, dass tatsächlich das ganze Thema Hilfsmittel und Hilfsmittelberatung bei Rehadat gelandet ist. Rehadat ist ein Instrument der deutschen Wirtschaft und nicht der Universität oder der Abteilung Rehaforschung von Professor Runde. Das mussten wir ganz eindeutig anerkennen und uns an der Stelle sagen: Die sind eine Nummer zu groß für uns! Das funktioniert so nicht! Was die [Vertreter der deutschen Wirtschaft] auch erkannt hatten, war: Ihr habt gut gearbeitet! Und wir sagen euch, wann wir mal von Euch Hilfe brauchen zu einzelnen Fragestellungen hier und da. Das haben die dann auch finanziert, so dass an der Stelle das Wort leben und leben lassen gegriffen hat und man durchaus sagen konnte: Doch, es hat etwas gebracht und vor allen Dingen hat es natürlich im Regionalbereich etwas gebracht. So ein Beratungszentrum, wie wir das hier in Hamburg in den 1980er-Jahren auf die Beine gestellt haben, gab es in Deutschland nicht. Man muss man einfach anerkennen, dass das auch der damalige Bürgermeister, Ortwin Runde, vorantrieb, indem er sagte: Das brauchen wir auf jeden Fall! Alles andere kostet uns richtig viel Geld und das wollen wir auch gar nicht!

Schulz: Jetzt ist das Beratungszentrum am Alsterdorfer Markt gelandet, und zwar

Schiemann: Das habe ich gelesen!

Schulz: im ehemaligen Haus Michelfelder. Das ist jetzt auch der Schlusspunkt, wir müssen leider aufhören. Es ist total spannend, aber das Zeitfenster ist wirklich zu. Herr Kutzner haben Sie noch eine kurze Frage oder machen Sie jetzt die Verabschiedung?

Kutzner: Ich mache die Verabschiedung. Vielen Dank!

Schiemann: Danke Ihnen auch!

Schulz: Herzlichen Dank Herr Schiemann, dass Sie da waren.