12 / 1995 – Gespräch mit Wolfgang Rose, Dieter Fenker, Hanne Stiefvater, Wolfgang Kraft und Claudia Williams

Teilnehmende

Wolfgang Kraft

Dieter Fenker

Wolfgang Rose

Claudia Williams

Hanne Stiefvater

Transkription

Stiefvater: Heute haben wir hier ein sehr interessantes Gespräch. Hier sitzen wirklich Urgesteine, Architekten und Akteure für die neue Zeit in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Das kann man, glaube ich, mit Fug und Recht sagen. Jeder hier hat ganz entscheidend mit dazu beigetragen, dass wir heute da stehen, wo wir stehen, nämlich als eine der modernsten, zukunftsfähigen Einrichtungen im Sozial- und auch im Gesundheitswesen, die wirklich gut aufgestellt ist. Das zeigt sich auch noch mal daran, wie wir durch die Pandemie gekommen sind.

Wir führen heute ein Gespräch über die Mitte bis Ende der 1990er-Jahre ab der Sanierung. Es geht unter anderem um das sogenannte Bündnis für Investition und Beschäftigung, auch ein wichtiger Punkt zur Sanierung.

Ich würde jetzt bitten, dass alle sich und das, was Sie damals in der Zeit gemacht haben, einmal nacheinander vorstellen. Fangen wir ganz hinten an. Wolfgang, fängst du an?

Rose: Ich bin Wolfgang Rose, ich war zu der Zeit zuerst stellvertretender und dann Bezirksleiter der ÖTV [Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr]. Die ÖTV war Tarifpartner bei diesem Tarifvertrag des Bündnisses für Investition und Beschäftigung. Und mit mir zusammen hat der zuständige Gewerkschaftssekretär an dem Prozess teilgenommen. Aber für heute bin ich auserwählt worden, der Runde hier anzugehören.

Fenker: Ich bin Dieter Fenker, war 30 Jahre lang in der Stiftung für das Personal zuständig und habe aktiv am Bündnis für Investition und Beschäftigung teilgenommen. Ich war der Verhandlungsführer auf der Arbeitgeberseite.

Kraft: Mein Name ist Wolfgang Kraft. Ich bin von 1992 bis 2009 Vorstand der Evangelischen Stiftung Alsterdorf gewesen. Und in der Zeit, um die es hier geht, war ich Sanierungsbeauftragter fĂĽr die Stiftung.

Williams: Mein Name ist Claudia Williams. Ich sitze hier für die Mitarbeitervertretung der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, wenn man so will, als dritter Part während der Zeit. Ich bin gelernte Krankenschwester und schon seit 1974 in der Stiftung, habe sie also auch lange mitverfolgt. Und ich sitze hier stellvertretend für die 19 Kollegen aus der Mitarbeitervertretung. Unser Vorsitzender kann leider aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen, deshalb werde ich stellvertretend für den damaligen Vorsitzenden hier teilnehmen.

Stiefvater: Wir gucken zurück auf eine Zeit, auf die Mitte der 90er-Jahre, und man kann, glaube ich, mit Fug und Recht sagen, die Stiftung war strukturell, ökonomisch und fachlich am Ende. Es gab Teile, die waren vielleicht schon im Aufbruch, aber im Grunde genommen war es eine ganz, ganz schwierige Situation.

Vielleicht kann Herr Kraft als Allererstes etwas zur Sanierung erzählen und berichten: Was war das Schwierige? Wie kam es dazu, dass man sagte: Die Stiftung steht mit dem Rücken zur Wand? Man musste handeln, man musste tätig werden. Ja, was wurde gemacht damals, dass neue Weichen gestellt wurden?

Kraft: Der Impuls kam nicht von der Stiftung selbst, sondern von der sogenannten BAGS [Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales], das war das zuständige Ministerium in Hamburg. Die damalige Senatorin, Frau Fischer-Menzel, hatte ein Schreiben an den Stiftungsrat gesandt, an Herrn Schüler. Darin stand, sie würden die Stiftung unterstützen, wenn diese endlich einmal ein Sanierungskonzept vorlegen würde und eine Person benennen würde, die verantwortlich verhandeln könnte.Denn die Querelen des Vorstandes hatten auch die Behörde damals ziemlich genervt. Ausgangspunkt war, dass ein Pflegesatz, der damals sehr hoch war – ich meine, über 280 DM pro Tag und Mensch –, noch weiter erhöht werden sollte. Und da hat die Behörde gesagt: Nein, jetzt ist Schluss! Ihr kriegt nicht mehr Geld! Und dafür hat sie uns die Sanierung aufgezwungen. Das war der Start.

Stiefvater: Genau. Und was war das Besondere an der Sanierung? Was zeichnete sie aus?

Kraft: Das Besondere an der Sanierung war, dass alle Beteiligten für die Sanierung gewonnen werden konnten. Einmal waren das die Banken, die damals auch ziemlich viel Geld in die Sanierung hineingaben, es war die Hansestadt Hamburg und es war die Kirche. Alle zusammen hatten zur Rettung der Stiftung insgesamt 51 Millionen DM aufgebracht, wobei man sehen muss, dass der Gesamtfinanzierungsbedarf damals 106 Millionen war und die Stiftung hatte gleich im Sanierungskonzept deutlich gemacht: 55 Millionen davon können wir selbst tragen. Dann hat die Stadt das gleich saldiert und gesagt: Gut, dann geht es nur noch um 51 Millionen. Der Vorteil bei dieser Rechnung war, dass dieser Betrag nicht mehr strittig war. Und dann musste er unter die Sanierungspartner verteilt werden. Da haben die Banken 15 Millionen, meine ich, übernommen und die Kirche auch so viel – ich habe die Zahl jetzt nicht mehr genau im Kopf – und die Behörde hat den Restbetrag von über 20 Mio DM übernommen.

Dieses Sanierungskonzept wurde so entwickelt: Es gab zwei Konferenzen. Die eine war die Orientierungskonferenz mit 20 oder 30 Personen, wo die Stadt zusammen mit uns den Sanierungsbedarf insgesamt aufgelistet hat; dann gab es als Zweites die Perspektivkonferenz. Dort wurden mögliche MaĂźnahmen aufgelistet, um diesen aufgelisteten Betrag zustande kommen zu lassen. Das war eigentlich der Startschuss fĂĽr das weitere Vorgehen. Die Stadt hatte uns einen Zielpflegesatz vorgegeben und gesagt – ich meine, das waren 243 DM pro Tag –: Dahin mĂĽsst ihr kommen! Und wir lassen den alten Pflegesatz innerhalb der nächsten 3 oder vier Jahren auf diese 243 DM absenken, wobei die Absenkung in dieser Zeit in festen Schritten erfolgen sollte. Die kriegt ihr dann sozusagen immer bezahlt. Und daraus ist der erste groĂźe Sanierungsschritt entstanden, der besagte: Wenn wir den alten Pflegesatz schneller abbauen, als in der schrittweisen Absenkung vorgesehen, haben wir Deltagewinne. Das ist dann der Betrag, den wir fĂĽr die Sanierung, fĂĽr Investition und fĂĽr MaĂźnahmen, die uns den RĂĽcken freimachten, zur VerfĂĽgung hätten.

Stiefvater: Dazu war es sicherlich auch nötig, noch zusätzliche Controlling-Instrumente einzuführen, zum Beispiel SAP. Ich bin nicht sicher. Gab es auch damals bestimmte Steuerungsinstrumente zur Budgetierung, die neu aufgelegt wurden, damit man diese Prozesse überhaupt gut ökonomisch abbilden konnte?

Kraft: Ich erinnere mich, es waren über 106 Einzelmaßnahmen, die wir eruiert und auf eine Zeitschiene gesetzt haben und die dann abgearbeitet werden mussten. Dann wurde ein Gremium gebildet – Hamburg, die Kirche und noch andere Herren, auch ein Vorstand von Vorwerk [Vorwerk-Stiftung, gegründet 1997 vom Ehepaar Vorwerk] waren dabei –, vor dem mussten wir immer wieder Rechenschaft ablegen: Wo standen wir? Wie erfolgreich waren wir? Was waren die Ziele, die wir erreicht hatten, was hatten wir noch nicht erreicht? Das war ein ganz, ganz knallhartes Management damals!

Stiefvater: Absenkung der Pflegesätze, also weniger Geld, und gleichzeitig Sanierungsstau in den Gebäuden, Investition für Innovation auch im Personal! Wie sollte das gehen, Dieter Fenker?

Fenker: Wie sollte das gehen? Also der Stau für die Gebäude, das war nicht Teil des Sanierungsprogramms, glaube ich. Nebenbei wurde der Vorstand, das war der erste Beitrag, von vier auf zwei reduziert. Das ging damit einher und hat auch schon Millionen gebracht – die beiden, die gegangen sind, hatten sich ja selbst ad absurdum geführt!

Stiefvater: Also, wir hatten dann vorher einen vierköpfigen und dann einen auf zwei Köpfe reduzierten Vorstand. Der Vorstandsvorsitzende und Direktor damals war Pastor Baumbach und mit ihm war Herr Kraft Vorstand.

Fenker: Die beiden haben es dann gewuppt.

Stiefvater: Und dann war da Dieter Fenker als Personalleitung.

Fenker: Ja, dann ging es los mit den nächsten Schritten und den Fragen: Wie schaffen wir das, die Gebäudesubstanz zu erneuern? Gehen wir wieder in die betriebsbedingte Kündigung, dass wir wieder weiter Personalabbau machen wollten? Aber das hatten wir vorher auch schon mal gemeinsam besprochen: Wenn so was anstehen würde, sollten wir erst auch ver.di [Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft] kontaktieren, um zu gucken: Gibt es auch andere Möglichkeiten.

Stiefvater: Damals noch Ă–TV.

Fenker: Nein, das war schon ver.di.

Rose: Also ver.di gibt es seit 2001.

Fenker: Ach so! Kannst du mal sehen, wie lange wir uns miteinander herumgeschlagen haben! Ja, die DAG [Deutsche Angestelltengewerkschaft] war ja auch sauer, dass sie nie beteiligt worden war. Das krieg ich nicht mehr ganz auf die Reihe.

So, und dann haben wir uns hingesetzt: Was ist zu tun? Betriebsbedingte Kündigungen wollen wir nicht. Wir wollen keinen Personalabbau. Welche Alternativen? Und dann war die Frage: Wie kriegen wir das hin? Da stand an: Machen wir einen Tarifvertrag zur Absenkung? Da habe ich ein Veto eingelegt und gesagt: Wir können die Vergütung nicht reduzieren, aber in Zukunft Tariferhöhungen ausschließen und die Mitarbeitenden eben darauf verständigen. So, und dann ist es zu den Tarifverhandlungen gekommen – nein, erst musste ja, glaube ich, noch die ÖTV zustimmen. Ihr habt doch intern abgestimmt, ob das überhaupt machbar oder nicht machbar ist, ansonsten hätten wir keine Tarifverhandlungen führen können?

Stiefvater: Dieser legendäre neue Tarifvertrag, kommen wir da schon mal zu? Das war sozusagen …

Fenker: Nein, nein, das war der Tarifvertrag für Investition und Beschäftigung.

Stiefvater: Ja.

Williams: Da hatten wir noch den KAT [Kirchlicher Angestelltentarifvertrag].

Fenker: Da ging es um fünf Jahre Verzicht auf Gehaltserhöhung, 50 Millionen DM, aber längstens fünf Jahre, so war die Vorgabe für das, was wir durch diesen Tarifvertrag erreichen wollten. Dafür musste Wolfgang Rose dann aber in die Bütt und die Mitglieder – so viele waren das ja gar nicht in Alsterdorf – mussten dem zustimmen. Das war eine hautenge Entscheidung.

Stiefvater: Genau.

Fenker: Aber dazu kann besser Wolfgang [Herr Rose] was sagen.

Stiefvater: Bevor wir darauf kommen, würde ich gerne Herrn Kraft noch mal fragen: Wer ist auf diese Idee gekommen? Also, wie wurde so eine Idee geboren, dass der Sanierungsstau, der Finanzen für Innovation und Investition erforderte, bewältigt wurde neben einer guten wirtschaftlichen Steuerung mit Absenkung der Erträge?

Kraft: Man muss wissen, dass die Sanierungsvereinbarung sich ausschließlich darum drehte, eine Leistungsstruktur zu schaffen, die refinanziert war. Also, es spielte keine Rolle, welche Investitionen wir brauchten. Und was das Marode anging, da hat die Stadt gesagt: Da habt ihr die Abschreibung! Und die Gebäude waren fast alle abgeschrieben. Also in der Sanierungsvereinbarung war keine Luft für Investitionen. Und die große Frage, die Sie jetzt auch gestellt haben, war: Wie macht man das? Ich glaube, das war, sagen wir mal, ein Brainstorming. Man hat sich Bälle zugeworfen und dann ist die Idee entstanden. Ich erinnere mich noch an das erste Gespräch mit Herrn Rose. Das war im Völkerkundemuseum – können Sie sich noch erinnern?

Rose: Das war was?

Kraft: Im Völkerkundemuseum bei einem Mittagessen. Nein? Ich kann mich noch gut erinnern. Das war das erste Gespräch, soweit ich weiß. Dieter, kannst du dich erinnern, entweder war ich alleine oder Baumbach noch mit dabei? Ich weiß nur noch, das war ein Gespräch, vor dem ich Bammel hatte, denn es hing alles davon ab, wie Sie [gemeint ist Herr Rose] auf diesen Vorschlag reagieren würden, den ich Ihnen dort vorgetragen hatte und den wir – Baumbach war natürlich dabei und du [gemeint ist Dieter Fenker] natürlich in erster Linie – gemeinsam entwickelt hatten. Dann hatten Sie [gemeint ist Herr Rose] ganz positiv reagiert und gesagt: Ja, mal schauen, was sich machen lässt. Das muss ich intern abklären. Das war so der Startschuss.

Stiefvater: Wolfgang [zu Herrn Rose], was für einen Blick hattest du auf die Stiftung? Welche Beziehung hattest du zur Stiftung Alsterdorf? Wie hast du diesen ersten Punkt erlebt: Da muss man was machen, und mehr noch, da muss man womöglich zu einer neuen Vereinbarung kommen, um dem Unternehmen weiter auf die Sprünge zu helfen und zukunftsfähige Arbeitsplätze zu sichern.

Rose: Meine Beziehung zu Alsterdorf war schon sehr lange vorhanden und teilweise auch sehr belastet. Ich bin zu früheren Zeiten, als es noch den Vorstandsvorsitzenden Wittern gab, mal von der ÖTV-Betriebsgruppe dort eingeladen worden, und dann hat die ÖTV einen Brief gekriegt von dem Vorstandsvorsitzenden, dass der damalige Kirchensekretär Rose das Gelände nicht betreten dürfte. Und wenn man diese Situation mit dem vergleicht, was heute der Fall ist und was auch während des BIMO-Prozesses [BIMO = Binnenmodernisierung] der Fall war, dann hat sich sehr, sehr, sehr viel verändert. Heute kann ich sagen, dass ich gegenüber der Arbeit von der Stiftung Alsterdorf sehr positiv eingestellt bin, weil ich glaube, dass sie tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes fortschrittlich ist, weil dort Arbeit gemacht wird, wo man ein Stück weit die Zukunft vorhersieht, dafür arbeitet und deutlich macht – ich will jetzt nicht zu weitgreifend sprechen –, dass das Thema „Inklusion“ in dieser Stadt auch sehr stark damit zusammenhängt, wie man mit Menschen mit Behinderung in dieser Stadt umgeht.

Aber ich würde gerne noch mal von einem anderen Blickwinkel auf diese Frage kommen. Dieser Prozess in Alsterdorf – das hört sich heute alles so normal an, weil das schon so selbstverständlich ist – hat was ganz Besonderes.

Er hat zum einen das Besondere, dass es überhaupt in Alsterdorf einen Tarifvertrag gibt, weil wir den Tarifvertrag damals durchgesetzt haben. Den hatten wir schon in der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche. Und als die Nordelbische Kirche kam, haben wir ihn dort mit einem Zweidrittel-Synoden-Beschluss in der verfassunggebenden Synode durchgesetzt. Das hing damit zusammen, dass wir uns da auch auf einen Kompromiss verständigt hatten – Grundlagentarifvertrag ist das Stichwort. Das hing vor allen Dingen damit zusammen, dass der VKDA, der auch ein „D“ hat, nämlich Verband kirchlicher und diakonischer Anstellungsträger, wollte, dass die Einrichtungen der Diakonie dort auch Mitglied werden und Tarifverträge abschließen. Das haben die meisten nicht getan – aber Alsterdorf hat es getan. Dieter Fenker war einer der „Oberexperten“, die damals in diesem Bereich von Nordelbien für die Aushandlung von tariflichen Tätigkeitsmerkmalen zuständig waren, weil er eben derjenige war, der genau wusste, was die Leute in Alsterdorf arbeiteten. Und das war durchaus repräsentativ für den gesamten Bereich dieser Behindertenarbeit.

Also, erste Besonderheit: Tarifvertrag und 1991 dem VKDA beigetreten – habe ich extra noch mal bei dir [gemeint ist Dieter Fenker] nachgefragt –, zweite Besonderheit: Man schloss das Bündnis für Investition und Beschäftigung – ich kann gleich noch mal sagen, wie es dazu kam – und man machte dieses Bündnis als Tarifvertrag. Denn als Gewerkschaft waren wir durchaus in der Situation, dass wir bundesweit viele Bündnisse für Beschäftigung und Wettbewerb – so hieß es damals, also „beschäftigen statt entlassen“ – vereinbarten, also nicht Sozialpläne, sondern wir guckten, wie man über eine bestimmte Krisenzeit der Unternehmen rüberkommt und es dann wieder normal weitergehen kann und haben darüber betriebliche Bündnisse gemacht, wie in diesem Fall ja auch! Aber diese betrieblichen Bündnisse wurden normalerweise nicht als Tarifvertrag gemacht, weil es sich dabei um Branchen- oder Flächentarifverträge handelte und die Arbeitgeberverbände als solche das jetzt nicht auf andere Betriebe überspringen lassen wollten. Und trotzdem sind wir in diesem Fall dahin gekommen, dass gesagt wurde: Das müssen wir mit dem Arbeitgeberverband VKDA machen, denn anders dürfen wir das eigentlich gar nicht, weil wir da gerade Mitglied geworden sind, und die wollen, dass so was dann vom Arbeitgeberverband gemacht wird. Also das [Bündnis BIMO] hatte trotzdem eine Besonderheit. Diese beiden Besonderheiten haben mich vor Kurzem dazu veranlasst, in einer Veröffentlichung von Alsterdorf als der Mutter der Tarifverträge in der Diakonie zu sprechen, weil das dahinterstand. Und das war etwas ganz Besonderes, das ist auch heute noch etwas ganz Besonderes.

Und dann war es so, dass wir dieses Bündnis ausgehandelt und vorher die Grundstruktur über einen Lenkungsausschuss verhandelt haben, ob wir uns auf den Tarifvertrag einigen können. Dann kam noch was ganz Besonderes, nämlich, dass wir in der ÖTV-Betriebsgruppe beschlossen haben, obwohl wir das nicht mussten, dass dieser Tarifvertrag keiner ist, den die Gewerkschaft mit ihren Mitgliedern für sich einfach mal für richtig hält und ihn dann abschließt mit der Arbeitgeberseite, sondern dass wir gesagt haben: Das ist so brisant – und wir sind von der Mitgliedschaft her jetzt wie überall in der Kirche nicht so hochprozentig organisiert –, dass wir den Vertrag nicht abschließen, wenn nicht außer den Gewerkschaftsmitgliedern die Mehrheit der Beschäftigten dem zustimmt. Dann haben wir zig Mitarbeiterversammlungen durchgeführt, in denen das diskutiert wurde. Harte Diskussionen! Und überall wurde abgestimmt! Am Schluss wurde ein Saldo gezogen und mit ganz wenigen Stimmen, ich glaube, so um die zehn herum, hat es von allen Beschäftigten eine Zustimmung zu diesem Tarifvertrag gegeben, also jedenfalls von allen, die in den Mitarbeiterversammlungen waren. Das ist die dritte Besonderheit und die hat dem Tarifvertrag eine Legitimation gegeben, die wir nie gehabt hätten, wenn wir als Gewerkschaft gesagt hätten: Wir machen mal diesen Tarifvertrag und ihr müsst jetzt auf Lohn verzichten. Das haben wir letztendlich mit Mehrheit alle zusammen entschieden.

Stiefvater: Das heiĂźt, in einem bestimmten Zeitraum habt ihr querfeldein mehrere Versammlungen mit den Mitarbeitenden gemacht: Wer war da, wer ist da dabei gewesen? Wer hat sich da vorne hingestellt?

Rose: Na ja, ich.

Stiefvater: Ja, ihr beide.

Rose: Wir beide [gemeint ist Dieter Fenker] und er auch [gemeint ist Herr Kraft].

Williams: Sorry, da hat Jens Strampfer gestanden!

Stiefvater: Jens Strampfer auch noch.

Williams: Als Vorsitzender der Mitarbeitervertretung hatte er nämlich eingeladen.

Stiefvater: Deswegen wollte ich fragen: Richtig eingeladen hat also die Mitarbeitervertretung. Wie viele Versammlungen haben denn ungefähr stattgefunden?

Fenker: Also ich kann mich nicht erinnern, dass wir bei den Sitzungen dabei gewesen sind. Es war rein die Mitarbeitervertretung mit der Gewerkschaft. Die haben das gemacht. Denn wenn wir da aufgetreten wären, wer weiß, ob dann die Zustimmung gekommen wäre. Also, ich kann mich nicht erinnern, dass ich an einer dieser Sitzungen teilgenommen habe.

Stiefvater: Okay, das ist ja wichtig!

Williams: Im HSK [Heinrich Sengelmann Krankenhaus] waren Sie und haben uns gerettet. [Als die MAV den Plan vorstellte, kam bei den Mitarbeitenden an, dass das HSK für die Stiftung bezahlen sollte, und das, wo die Stiftung eigentlich wenig für das HSK getan hätte. Diese Aussage hat Herr Fenker richtiggestellt.]

Stiefvater: Jetzt kommt Claudia. Claudia war damals auch schon in der Mitarbeitervertretung.

Williams: Deshalb bin ich hier als Stellvertretende, weil Jens Strampfer, der eigentlich der Vater der Mitarbeitervertretung zu der damaligen Zeit war, der „Fuchs“, so kann man es wohl sagen, der Verhandlungsführer damals, leider aus gesundheitlichen Gründen nicht dabei sein kann. Und ich bin die Stellvertretung.

Stiefvater: Du warst aber auch damals dabei?

Williams: Aber wie!

Stiefvater: Ja. Wie viele Versammlungen waren das ungefähr? Kannst du das sagen über den dicken Daumen gepeilt?

Williams: Ich habe sie nicht gezählt! Mir kommt es im Nachklapp vor, als ob wir monatlich den Herntrich-Saal voll hatten. Wir waren auch im HSK. Es waren sehr viele. Sehr viele Kolleginnen und Kollegen kamen natürlich zu uns nach oben in den kleineren Raum – sehr oft!

Rose: Ich glaube, es waren fĂĽnf, sechs, sieben.

Williams: Kommt hin.

Stiefvater: Und was hat die Kollegen überzeugt, letztlich zu sagen: Wir gehen diesen Weg, auch wenn wir die nächsten fünf Jahre auf Gehaltserhöhung verzichten müssen? Was hat sie überzeugt, zu sagen: Wir machen mit?

Williams: Die Alternative wäre gewesen: 150 Arbeitsplätze aus dem KArbT-Bereich [gemeint: gewerblicher Bereich, für den der KArbT (Kirchlicher Arbeitertarifvertrag) galt] wären betriebsbedingt gekündigt worden.

Stiefvater: Ja? [ zu Dieter Fenker gewandt]

Fenker: Ja. [zu Wolfgang Rose gewandt]

Rose: Ja, dazu muss man jetzt mal sagen, was stand denn in dem Tarifvertrag?

Williams: Nein, das war vorher, als wir sozusagen als Mitarbeitervertretung darüber informiert wurden, wir müssten sanieren und es stünde jetzt zur Auswahl 150 Menschen aus dem gewerblichen Bereich ausgliedern, das heißt kündigen. „Das würden wir nicht ganz so gerne sehen oder wir finden eine andere Finanzierungsmöglichkeit“, hieß es.

Stiefvater: Also das heißt, es war auch ein Stück Solidarität.

Williams: Nur Solidarität, sonst hätte das kein Mensch mitgemacht.

Rose: Ja gut, das war der zentrale Punkt, keine betriebsbedingten Kündigungen: 80 Prozent der Pflegesatzeinnahmen waren Personalaufwand. Und von daher war ganz klar, dass die Größenordnung, die Herr Kraft vorhin benannt hat, nur dadurch zustande kommen konnte, dass die Personalkosten entsprechend reduziert wurden. Und das kann man eben entweder nur dadurch machen, dass man die Zahl der Beschäftigten reduziert oder dass man bei der vorhandenen Zahl der Beschäftigten das entsprechende Geld reduziert. Das wiederum kriegte man nicht hin, dauerhaft zu sagen: Jetzt gibt es ewig keine Gehaltserhöhungen mehr! Und deswegen kam diese Berechnung zustande, dass, wenn man bei der Gesamtzahl der Beschäftigten fünf Jahre auf die Gehaltserhöhung verzichtet, dann eine Größenordnung von 50 Millionen zustande kommt.

Dann ging es um die zweite Frage, die für mich eine genauso starke, zentrale Bedeutung hatte, nämlich: Wenn die Beschäftigten schon 50 Millionen bezahlen und wenn sie dann auch das Recht haben, hier weiter beschäftigt zu bleiben, dann sollen sie zusätzlich auch die Möglichkeit bekommen, bei den Investitionsentscheidungen ihre fachliche Kompetenz, die sie in dem Beruf haben, den sie gelernt haben, einzubringen und dafür zu sorgen, dass das, was sie für richtig halten, mit eingebracht wird. Es gab viele, die kritisiert haben, wie die Behindertenarbeit in der Vergangenheit lief. Und dafür wurde ein Investitionsrat vereinbart, der nicht mit einem Doppelstimmrecht des Vorsitzenden ausgestattet war, sondern ein Konsensprinzip hatte. Und dieses Konsensprinzip bedeutete: Ohne die Arbeitnehmerseite konnte keine Investitionsentscheidung getroffen werden! Ob das immer genauso abgelaufen ist, dass dann fachpolitische Grundsätze dabei eine zentrale Rolle spielten, oder ob man vonseiten der Mitarbeitervertretung auch manchmal ein „Geschäft“ gemacht hat im Zusammenhang mit der einen oder anderen Forderung, die es so gab, das ist menschlich in diesen Gremien. Aber dieses Grundprinzip, neben dem geldpolitischen auch das fachpolitische Interesse zum Zuge zu bringen und den Beschäftigten das Recht zu verschaffen, Einfluss zu nehmen auf die Frage, wie die Investitionsentscheidungen sich auf die eigene Arbeit auswirken, das war ein weiterer zentraler Punkt neben vielen kleineren, übrigens auch solchen, die es in anderen Betrieben gar nicht gab, z.B. dass es Arbeitszeitvorteile für die Teilnahme an Gewerkschaftsversammlungen und an Gewerkschaftsseminaren gab.

Stiefvater: Also was diesen sogenannten Investitionsrat angeht, war die Mitarbeitervertretung darin auch vertreten?

Williams: Der war tatsächlich paritätisch besetzt, einmal von der Mitarbeitervertretung her – wir haben damals drei Bereiche gebildet, aus denen die Mitarbeitenden gewählt wurden – also die nicht in den Gremien verstrickt, sondern von der Belegschaft da hineingewählt waren. Ich weiß, dass aus dem Krankenhaus und aus dem medizinischen Bereich jemand kam. Und es kam jemand aus der Behindertenhilfe. Das Ganze wurde moderiert, damit wir uns nicht in die Plünnen kriegten. Das war auch relativ hilfreich. Es gab jemand, der, wie hieß es immer, die roulierende Planung machte, und auch welche im Lenkungsausschuss, die Protokoll führten und festhielten, wann muss eigentlich was von wem erledigt werden. Das war bei dieser großen Runde sehr hilfreich, denn, ich glaube, wir hätten uns vielleicht verzettelt, etwas vergessen, ich weiß es nicht. Also, da hatten wir sozusagen externe Beratung, von der tib [Technologie- und Innovationsberatung für Betriebsräte, Personalräte und Mitarbeitervertretungen], wenn mich nicht alles täuscht. Die waren es damals, die uns sozusagen am Pfad gehalten und gedrängelt haben, dass wir verabredet hatten, da jetzt was zu entscheiden. Und es [das Gremium] war, wie gesagt, paritätisch besetzt!

Stiefvater: Gab es dazu irgendwelche Vorbilder oder wurde das alles selber erarbeitet, also die Ideen, das genauso zu machen? Gab es da schon andere Beispiele nach dem Motto „Oh, guck mal, die haben das so auch gemacht!“. Oder hat man sich in einer Klausur zusammengesetzt. Irgendwas war mit Undeloh, was war in Undeloh?

Fenker: Drei Tage.

Stiefvater: Vielleicht könnt ihr noch mal etwas zu Undeloh sagen.

Rose: Das war die Abschlussberatung.

Stiefvater: Ich war ja nicht dabei, aber das muss irgendwie legendär gewesen sein. Dieter, willst du da was erzählen?

Fenker: Ja, das war eine spannende Geschichte. Wir waren auch da paritätisch besetzt und sollten dort die wichtigsten Faktoren des Tarifvertrages niederlegen. Mit dem Lenkungsausschuss, dann mit dem Investitionsausschuss wurde besprochen, dass zum Beispiel sieben Jahre Kündigungsverbot sein sollte, also Beschäftigungsgarantie und solche Dinge und dann noch ein paar Kleinigkeiten. Wir hatten natürlich Knackpunkte dabei. Und wir hatten – daran kann ich mich noch erinnern – mehrere Punkte, wo wir uns nicht einigen konnten. Dann hatten Waubke [ÖTV-Kirchensekretär], Strampfer, Birgit Schulz und ich ein Achtaugengespräch, haben alle Punkte bereinigt und haben dann eine Einigung erzielt. Das haben wir auch im Plenum vorgetragen und dann kriegte ich von Strampfer einen Zettel mit weiteren Forderungen. Und da habe ich dann gesagt: Über solche Sachen unterhalte ich mich nicht mehr. So, und dann gab’s eine Pause und es trafen sich Wolfgang Rose und Dieter Fenker nach der Mittagspause auf dem Gang. Er ging einfach bei mir vorbei und sagte nur: Bleiben Sie ruhig! Dann kriegte ich von Waubke soein paar Takte erzählt. Ich habe zugehört und gesagt: War’s das? Können wir jetzt weiterverhandeln? Wir haben dann weiterverhandelt. Und zum Schluss gab es ein Spitzengespräch: Wolfgang Rose, Wolfgang Kraft und Baumbach. Er hat mir nicht verraten, wie viel Wein die getrunken haben.

Stiefvater: Aber die waren nicht mit in Undeloh?

Fenker: Doch, die sind abends nachgekommen und wir haben unseren Vorstand informiert: Geht gar nicht! Was werden wir … und so? Und Wolfgang Rose hat sich dann von der Arbeitnehmerseite informieren lassen und es ist herausgekommen, dass er sich in allen Seiten durchgesetzt hatte. Da war ich ein bisschen wütend.

Stiefvater: Herr Kraft, wie haben Sie das erlebt in Undeloh? Haben Sie die mit ruhigem Gewissen machen lassen oder konnten Sie in der Zeit auch nicht so gut schlafen?

Kraft: Doch, doch. Ich hatte ein gutes Gefühl. Erstaunlicherweise! Also, ich habe deswegen keine schlaflosen Nächte gehabt. Und an Undeloh kann ich mich deswegen nicht mehr so genau erinnern, weil ich das gar nicht als so dramatisch empfunden habe.

Fenker: Nein, das waren ein paar Knackpunkte, die mussten ausgeräumt werden.

Kraft: Ja, aber die Knackpunkte selbst hat Herr Rose vorgetragen. Herr Baumbach und ich, wir haben uns angeschaut nach dem Motto Wo ist das Problem? Wir haben das gar nicht so richtig verstanden. Für uns war es sehr viel wichtiger, dass die Vereinbarung durchging, denn das war strategisch die Rettung der Stiftung, das muss man so sagen. Da ist man natürlich als Vorstand immer etwas großzügiger, als wenn der Verhandlungserfolg nicht als so dringend empfunden wird. Wir haben das durchgekriegt und waren höchst zufrieden. Herr Rose war auch zufrieden,

Rose: Klar.

Kraft: wenn ich das so richtig in Erinnerung habe. Ich denke es zumindest. Also ich fand es eigentlich eine ganz gute Sache.

Fenker: Ja, wir haben es hingekriegt.

Rose: Ich will noch mal einen weiteren Punkt nennen, der eine zentrale Rolle spielte, den wir gar nicht mit drin hatten, der aber von großer Bedeutung war, nämlich „kein Outsourcing“. Es war überlegt worden, dass in vielen anderen Bereichen – angefangen bei den Kantinen oder bei den Reinigungsdiensten – die alle Branchen-Tarifverträge niedriger waren als der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes und von daher auch ein „Einsparpotenzial“ auf Kosten der dortigen Beschäftigten möglich war. Also, das musste verhindert werden, es sei denn, es gäbe eine besondere Situation, wo auch die Mitarbeitervertretung dem zustimmen würde. Diese Vereinbarung war nachher drin und da gab es einen symbolischen Punkt, nämlich, dass auch die Leitenden im gleichen Verhältnis in die Gehaltskürzungen beziehungsweise Nichtsteigerungen – muss man ja genauer sagen – mit einbezogen wurden.

Natürlich ist es immer so, wenn man sich verständigt hat – das ist bei allen strittigen Tarifauseinandersetzungen ja der Fall –, dass sich meistens in den frühen Morgenstunden dann doch eine Einigung herausstellt, also das ist nichts Besonderes. Das Besondere hier war der Tarifvertrag für uns als Gewerkschaft, weil ganz klar war, dass es bei so einem Abschluss überall die Frage gibt: Wieso da und nicht bei uns? Und dann heißt es öffentlich nicht „keine betriebsbedingten Kündigungen“, „kein Outsourcing“, sondern dann hat man einen Lohnverzicht vereinbart. Unsere Parole in der Gewerkschaft hieß immer „Lohnverzicht schafft Arbeitsplätze und die Erde ist eine Scheibe“. Das habe ich auch oft genug gesagt. Trotzdem kann es auch bei solchen grundsätzlich richtigen Aussagen immer auch Ausnahmen geben – das hier war so eine –, die wetterfest und verbindlich gemacht werden müssen. Und das hat mit Vertrauen zu tun. Vertrauen muss in so einem Prozess wachsen, sodass man sich aufeinander verlassen kann und nicht bei der nächsten Gelegenheit irgendeiner einen Rechtstrick aus der Tasche zieht oder sich eben einfach nicht an das hält, was man verabredet hat. Und das war so mit den Vorstandsleuten, auch mit Rolf Baumbach, den ich schon vorher kannte aus meiner früheren Arbeit bei der Kirche, das kann ich sagen.

Das Ganze begann übrigens mal, ganz vorsichtig gesagt, damit, dass man bei der ÖTV anklopfte und anfragte, ob man nicht eine Tarifabsenkung vereinbaren könnte. Das war das Allererste. Insofern war das nicht so einfach, zu sagen: Machen wir auf keinen Fall! Im Gegenteil es galt, zu sagen: Worum geht’s denn? So, und das war der Einstieg, von dem Sie vorhin gesprochen haben. Daran kann ich mich noch erinnern. Ob das da in diesem Museum war, weiß ich jetzt nicht so genau.

Stiefvater: Dieter, warst du dir sicher, dass das gelingen wird? Wie war das?

Fenker: Doch, ich war schon davon ĂĽberzeugt, dass wir das hinkriegen. Es gab so Knackpunkte. Als Personaler mussten wir das ja auch umsetzen und sehen, wie wir das hinbekamen. Ich krieg jetzt nicht die Einzelheiten zusammen, die in den Tarifvertrag aufgenommen wurden. Es waren Knackpunkte da, wo wir sagten: Das geht zu weit! So, und das haben die drei beim Wein dann ausdiskutiert.

Kraft: Das hat dich [gemeint ist Dieter Fenker] schwer getroffen, nicht?

Fenker: Ein weiterer Punkt, den wir hingekriegt haben, war: Dieser Tarifvertrag führte ja auch dazu, dass wir gegenüber unseren Kostenträgern die Tariferhöhung, die wir nicht an unsere Mitarbeitenden weitergeben würden, trotzdem bekommen würden. Denn diese überschüssigen Gelder sind in den Investitionsfonds geflossen. Das bedeutete, dass wir doppelt abrechnen mussten. Wir haben einmal die alten Tarifverträge weiter fortgeführt und die neuen gegengerechnet. Auch die Mitarbeitervertretung hat regelmäßig überprüft: Betrügen die uns? Sind die Summen auch richtig? Das ist normal. Aber deshalb haben wir das doppelt abgerechnet. Das war eine sehr große Aufgabe, auch für die Gehaltsabrechnung.

Kraft: Wir hatten dann noch einen Passus reingebracht, ich glaube, das war so eine Protokollnotiz, dass, wenn die Behörde das nicht akzeptiert, die Vereinbarung automatisch null und nichtig wird. Und die Behörde hat tatsächlich versucht, an dieses Geld ranzukommen!

Fenker: Dann haben sie es aber akzeptiert, sonst wäre es in die Hose gegangen.

Kraft: Mussten sie ja!

Fenker: Und noch eine weitere Sache: Dieser Tarifvertrag war vier Jahre gelaufen und dann waren wir schon etwas über 10 Prozent, die unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger hatten als vergleichbar. Wir haben das so geregelt, dass diejenigen Bereiche, die aus der Investition Geld gekriegt haben, Zinsen zahlen mussten, die dann wieder zurückflossen, um weitere Investitionen zu tätigen. So, und dann bin ich zu Wolfgang Kraft gegangen und habe gesagt: Sollen wir das jetzt nicht beenden, sollen wir nicht jetzt schon die 10 Prozent wieder auszahlen und die Gelder – die 50 Millionen waren noch nicht voll – fließen in den Rhein, bis er voll ist? Dann hat er gesagt – ich weiß nicht, ob du dich dran erinnern kannst: Wenn Sie den Finanzvorstand fragen, sage ich Nein, wenn Sie den Personalvorstand fragen, sage ich Ja. Da habe ich gesagt: Ich rede doch jetzt mit dem Personalvorstand! So, und dann wurde dem zugestimmt und ich bin zur Mitarbeitervertretung gegangen – dir [zu Wolfgang Rose gewandt] habe ich das ja schon erzählt – und habe erklärt: Wir sind bereit, jetzt schon aufzuhören, und die Zuführung regeln wir über die Bereiche, die das Geld schon bekommen haben. Da hat Jens Strampfer zu mir gesagt: Und was kriegen wir dafür? Da habe ich gesagt: Das mache ich öffentlich! Diese Forderung, die mache ich jetzt öffentlich! Da hat er erst begriffen, was gemeint war! Nein, also nach vier Jahren war Ende der Durchsage für die Mitarbeitenden. Aber die anderen Vereinbarungen blieben: Sieben Jahre keine Kündigung und Outsourcing verboten.

Kraft: Ja, Herr Fenker hatte immer eine gute Einschätzung der Stimmung an der Basis. Rolf Baumbach und ich waren dann der Überzeugung: Wenn Fenker so was anregt, dann hat es auch einen Grund. Dann haben wir gesagt: Wir machen das! Das war ganz klar, weil, alles andere hätte wahrscheinlich wieder Unruhe geschaffen, denn es hatte bei den Mitarbeitenden so ein bisschen unter der Decke gekocht.

Stiefvater: Genau, also ein gutes GefĂĽhl, ein guter Personaler mit einem guten Kontakt auch zur Gewerkschaft, mit einem der Konstrukteure.

Fenker: Es war manchmal leichter mit der Gewerkschaft als mit der MAV [Mitarbeitervertretung]!

Stiefvater: Dazu wollte ich jetzt kommen, denn ich erinnere mich schon auch, als ich 2000 neu war und ich das erste Mal auf einer Mitarbeiterversammlung im Herntrich-Saal war, da flogen aber die Fetzen, du meine GĂĽte! Da hatte ich schon das GefĂĽhl: Wo bin ich denn hier gelandet? Nichts mit Contenance oder so! Da wurde der Vorstand aber angeschossen! Da ging es wirklich hoch her. Herr Fenker musste da wirklich seinen Kopf hinhalten!

Und noch mal, bevor wir dazu noch kommen, wie war das für die Mitarbeitervertretung? Ich kann mir schon vorstellen, dass es dann auch eine große Kritik aus der Mitarbeiterschaft und dass es womöglich auch richtiggehende Verwerfungen gab, dass manche gesagt haben: Ich dreh dem den Rücken! Oder: Was machen die da! Die verraten uns! Die verkaufen uns! Also vielleicht magst du [zu Claudia Williams] das noch mal erzählen. Das hört sich ja gerade so glatt an.

Williams: Jetzt,im freundlichen Rückblick und wenn man sieht, was alles geschehen ist, gucke ich ganz dankbar darauf. Die Situation damals war eine völlig andere, das muss ich ehrlich sagen. Man hatte gewohnte Strukturen, man hatte lieb gewonnene Kollegen und jeder machte, was er so machte. Und man muss ja ehrlicherweise sagen, auch wenn die Bedingungen nicht gut sind, in seinem Arbeitsrhythmus findet jeder immer mal sein Päuschen, richtet sich ein in seinen Strukturen, egal wie gut oder schlecht sie sind. Und nun sollte auf einmal alles anders sein! Ich entsinne mich, als wir frisch gewählt waren – die MAV vor uns war demonstrativ zurückgetreten, weil man mit dem Vorstand ja nicht reden kann – und wir dann als Neulinge ankamen, war das Erste, was uns passierte, die Kündigung und Auflösung des zentralen Reinigungsdienstes. Das waren knapp über 30 Frauen, nicht mehr ganz junge Frauen logischerweise, auch nicht unbedingt deutschsprachige. Das waren die Ersten und es war eine sehr aufgeheizte Stimmung inklusive der Grabkreuze vor dem Herntrich-Saal vor der Kantine, wenn Sie sich entsinnen. Ach, es war grauenvoll! Menschen, die in Ohnmacht fielen! Dann kam: Auslagerung der Großküche! Das waren die Sachen, die hatten wir erlebt! Und nun hörten wir, dass 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Kippe stehen, weil Alsterdorf Geld braucht. Etwas, was mich ein bisschen überzeugt hat – wir hatten gesagt: Das glauben wir euch nicht! –, war die Forderung: Dann müsst ihr mal die Bücher aufmachen! Und das war etwas, was bei der Kirche bisher nicht üblich war. Damals gab es noch nicht mal einen Wirtschaftsausschuss. Und noch mal: Ihr müsst die Bücher aufmachen! Und wir hatten dann jemanden, ich glaube, das war deine Empfehlung [gemeint: Wolfgang Rose], das war ein Herr Kestermann, entsinne ich mich dunkel? –

Rose: Kestermann.

Stiefvater: Ulrich Kestermann.

Williams: Der hat dann die Bücher geprüft und gesagt: Das sieht nicht gut aus, aber das ist nicht unbedingt eure Ausgabesituation. Ihr habt keine Einnahmen und das kann man auch sehen, wenn man einmal über das Gelände geht und sich die Wohngruppen anguckt. Das sind Zweibettzimmer. Da wohnt natürlich nur einer. Kein Mensch gibt seinen Angehörigen dort mit rein. Das will keiner. Die wollen anders wohnen. Das geht so nicht! Wir fanden das sehr überzeugend, das muss ich sagen. Also du musstest anerkennen: Ja, wir haben ein Problem. Wir müssen irgendwas ändern! Und das war sehr schmerzhaft. Also dieses: Man sieht etwas und muss etwas tun. Wir waren ein 19er-Gremium, also angefangen von Anarchisten bis hin zu wilden Trotzkisten, wir hatten alles dabei. Es ist ja nicht so, dass das unpolitisch war.

Rose: Stimmt.

Williams: Das muss man sagen, in der Kirche und in der Diakonie arbeiten auch besondere Sorten Mäuse. Also die sind schon an vielen Punkten sehr rebellisch und die musstest du jetzt überzeugen, um Mehrheitsbeschlüsse hinzubekommen. Ich sagte schon, das war die große Kunst, die Jens Strampfer beherrschte – viele fanden vielleicht, dass das alles ein bisschen lange dauerte, aber das war richtig so. Hätte er es schneller gemacht, dann wäre alles abgelehnt worden, denn das wollte ja keiner. Und es hat auch keiner oder viele haben nicht geglaubt, dass es funktionieren würde. Solche Mitarbeiterversammlungen mit Streit und Zank sind bei uns klassisch gewesen, weil die Menschen sich nicht gefürchtet haben.

Fenker: Also, sie [gemeint: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter] konnten optisch auch sehr schnell sehen, was mit dem Geld geschah, für das sie bei der Investition gestimmt hatten. Die Gebäude wurden ja erstellt. Und das, glaube ich, hat auch noch mal einen Punkt gebracht, so dass man sagte: Mensch, eigentlich eine tolle Sache!

Stiefvater: Das heiĂźt: FĂĽr den Vorstand und fĂĽr den Personaler war Herr Strampfer im Betrieb ein richtiges GegenĂĽber. Also, man sprach miteinander. Wie war das, hatten Sie den Eindruck, dass er auch richtig Verantwortung ĂĽbernommen hat oder hat er sich eher zurĂĽckgelehnt und gesagt: Und jetzt, Vorstand, sag mal und ich bewerte dann hinterher und entscheide: Finde ich das gut oder nicht?

Williams: Nein, so geht das nicht! Herr Strampfer hat nichts entschieden! Das war genau sein Problem! Er war der Sprecher der Mitarbeitervertretung!

Stiefvater: Also von 19 MAV-Mitgliedern; das hattest du ja gesagt.

Williams: Er musste das vertreten, was mehrheitlich in der Mitarbeitervertretung von den 19 Mitgliedern beschlossen wurde. Gut, es hat immer auch ein bisschen mit geschickten Vorlagen zu tun, wenn man MehrheitsbeschlĂĽsse braucht, das wissen wir alle. Aber diese unterschiedlichen Menschen zu ĂĽberzeugen, das war Jens! Und wenn er was gesagt hat, dann hat er dazu gestanden. So habe ich ihn erlebt.

Fenker: Wir hatten ja auch von Arbeitgeberseite, wenn ich das ergänzen darf, einmal die Woche Routinegespräche mit der Mitarbeitervertretung, wo alle Dinge besprochen wurden. Wo, in welcher Einrichtung, gibt es das, dass man sich jede Woche trifft und alles miteinander bespricht!

Stiefvater: Mit dem groĂźen Gremium oder mit dem freigestellten?

Fenker/Williams: Nein, mit dem geschäftsführenden Ausschuss!

Stiefvater: Wie haben Sie [Herr Kraft] das erlebt?

Kraft: Ich habe das ähnlich erlebt. Ich finde, die Stiftung hatte mehrere Glücksfälle, damit es überhaupt so weit kam, wie es gekommen ist. Jens Strampfer war einer von den Glücksfällen, Herr Rose war einer der Glücksfälle, die wir hatten, oder wenn ich an Ulrich Koch bei der Behörde denke, der letztlich der dortige Motor war, dass es hier weitergeht. Wir hatten schon sehr viele Unterstützer, die das Ganze dann erst möglich gemacht haben.

Rose: Ich würde gerne noch einmal einen weiteren Aspekt nennen, den wir nicht vergessen dürfen bei der ganzen Sache, wenn wir die Beschäftigten jetzt in den Fokus nehmen. Mitte der 90er-Jahre war eine Zeit, in der sozialpolitisch, sozialrechtlich sich einiges verändert hat, und zwar durchaus auch mit erheblichen Auswirkungen auf die Situation der Beschäftigten, in Bezug auf ihre Qualifikation, in Bezug auf ihre Belastungssituation, in Bezug auf Arbeitsverdichtung zum Beispiel. Da gab es, glaube ich, durch zwei oder drei gesetzliche Änderungen, ihre Ausformung durch die Behörden und durch die Frage der Finanzierung eine Situation, wo aus den typischen Finanzierungen im Nachhinein die eher nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten organisierte Vorabfinanzierung kam. Das hat mit der Situation der Beschäftigten viel gemacht. Es hat dazu geführt, dass sie sehr viel stärker unter Druck standen und bestimmte Ziele, die dann runtergebrochen wurden und die sie erreichen mussten, einfach vorgegeben bekamen. Parallel dazu gab es die berufsfachliche Veränderung und die Diskussion, dass man die Menschen mit Behinderung nicht in erster Linie als zu Betreuende verstanden hat, sondern als Kundinnen und Kunden oder als Nehmer von Dienstangeboten und dass man es damit auch mit einer rechtlich gestärkten und selbstständigeren Persönlichkeit zu tun hat. Und da musste man, wenn man anders ausgebildet und durch die vergangenen Berufsjahre anders geübt war, diese Veränderung erst mal bewältigen. Das kam in dieser Situation noch dazu: Erstens, das Gehalt steigt nicht, zweitens, die Belastung steigt und drittens steigt auch noch die Anforderung an meine Arbeit. Da sind drei Sachen, wo man immer leicht sagen kann: Ja, jeder muss bereit sein, sich zu verändern. Aber, wenn das alles auf einmal kommt, dann ist das auch eine harte Nummer, und Führung im Unternehmen muss sich mit Anleitung und Qualifizierung darauf einstellen.

Stiefvater: Ja.

Kraft: Es war damals so eines der Mottos, über das ich immer auch mit Rolf Baumbach gesprochen habe. Ich habe immer gesagt: Eine Veränderung, die keinen Widerstand erzeugt, ist keine Veränderung! Dann wird es einem erst mal richtig bewusst, dass das Ausmaß des Widerstandes auch etwas sagt über das Ausmaß der Veränderung.

Stiefvater: Ja, das ist ein guter Abschluss – leider! Wir sind schon wieder mit unserer Zeit rum. Aber ich würde ganze gerne – ich fand das sehr interessant – die Runde damit beenden, dass jeder noch mal überlegt: Mit dem Blick von heute auf damals, was waren damals richtige Entscheidungen und was würden Sie heute mit dem Blick auf damals vielleicht auch als Fehler bezeichnen? Gab es so was, wo Sie im Nachhinein sagen würden: Nein, wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich diese Entscheidung eventuell anders getroffen? Was war also absolut richtig an einer Entscheidung für das Gelingen und was hätte ich im Nachhinein anders gemacht?

Weißt du’s schon? [an Wolfgang Rose]

Rose: Zum einen hat sich in dem Prozess die Bedeutung der fachpolitischen, berufsfachlichen Mitbestimmung der Beschäftigten an der Frage ausgerichtet: Was hat die jeweilige Investitionsentscheidung in der Folge mit meiner Vorstellung, wie man diese Arbeit machen sollte, zu tun? Und das Entscheidende ist, diese Fragestellung richtig in die Investitionsentscheidung zu implementieren, so dass man sich als Beschäftigter da nicht nur irgendwie technisch überzeugen lässt, sondern so, dass diese Frage richtig und ausführlich diskutiert werden muss, bevor sie entschieden wird. In Bezug auf den Gesamtprozess ist das ein vergleichsweise kleiner, aber für die Identifikation mit der eigenen Arbeit wichtiger Punkt.

Ansonsten finde ich, kommt es darauf an, dass deutlich wurde: Bei solchen Veränderungen braucht man auf beiden Seiten gestalterische Akteure, Leute, die bereit sind, zu sagen: Ich will gestalten! Das bedeutet nicht, dass man allem zustimmt oder dass man auf Teufel komm raus Neues machen muss, sondern das bedeutet, dass man eben diese Grundhaltung haben muss und dass man bei solchen Sachen, um die es hier geht, ein angemessenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung organisieren muss und nicht nur dieses „Von den einen was verlangen und nichts geben wollen“, sondern dass diese Haltung als Haltung vorhanden sein muss. Das war in diesem Prozess der Fall. Deswegen war ich am Schluss der Meinung: Wir haben was Richtiges gemacht!

Fenker: Ja, im Rückblick, ich habe mich ja auch mit Nipken [ein Kollege aus der Personalabteilung] besprochen, weil man das zeitlich gar nicht mehr auf die Reihe bekommt, was eigentlich wann war und so weiter. Ich habe die ganze Entwicklung mit dem Zusammenschluss der vier Landeskirchen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Eutin und Lübeck mit Kirchenkreis Harburg, und dann eben auch die Auseinandersetzung in der Stiftung bezüglich der Tarifverträge mitgemacht. Wittern [Finanzvorstand] hat gesagt: Solange die MAV so ist, wie sie ist, gibt es keine Tarifverträge! Holen wir die Gewerkschaften nicht noch ins Haus! Erst als Mondry kam – man braucht dann auch Mitstreiter –, und gesagt hat: Mach das, weil er aus Schleswig-Holstein Tarifverträge kannte, hatte ich grünes Licht, um dann den Weg zu gehen, den Gewerkschaften, beizutreten,– wobei, das muss ich auch noch sagen, die Arbeitnehmerseite bei den Verhandlungen zum Beitritt den Verhandlungstisch verlassen hatte, weil wir uns nicht über die Kirchenzugehörigkeit geeinigt hatten. Das war damals noch so ein Knackpunkt. Da habe ich gesagt: Wer rausgeht, muss wiederkommen. Ein halbes Jahr später haben wir dann einen guten Kompromiss gefunden und auch dieses Problem gelöst. Bei der Gesamtvorstandssitzung im VKDA, als es drum ging, Alsterdorf aufzunehmen, ist der Oberkirchenrat Jessen aufgetreten und hat gesagt, wir sollten uns gut überlegen, ob wir das tun, denn wenn Alsterdorf als große diakonische Einrichtung mit über 4000 Mitarbeitenden beitritt, würden andere folgen. Dann würde das Kräfteverhältnis der verfassten Kirchen im Gesamtvorstand zugunsten der Diakonie und zulasten der verfassten Kirche gehen. Wollten wir das?

Stiefvater: Punktuell gibt es das Thema heute immer noch.

Fenker: Einzelfälle, aber nichts Gravierendes.

Stiefvater: Gravierend nicht.

Fenker: Nein. Auch den Weg, den wir dann weitergegangen sind, finde ich im Nachhinein richtig. Manche sagen: Das hätten wir gar nicht nötig gehabt – aber auch den Weg des KTD damals, heute ist zwischen KTD, der beide vereint, und KArbT kein großer Unterschied, meine ich, aber ich habe das nicht verfolgt, bin ja auch schon zwölf Jahre draußen. Damals war es richtig, den Weg zu gehen. Flörke, der damalige Vorsitzende im Arbeitgeberverband, wollte das nicht: Wir haben den KAT, wir haben den KArbT, kommt nicht infrage! Und ich habe gesagt: Dann gucken Sie mal in die Satzung! Sie haben die Interessen aller zu vertreten, und wenn die Diakonie sagt, dass wir mit den vorhandenen Tarifverträgen die Zukunft nicht bewältigen können, dann müssen wir als Arbeitgeberverband reagieren. Und wenn Sie Nein sagen zu dem Weg, den wir gehen, dann zwingen Sie uns, auszutreten und einen eigenen Verband zu gründen. Das kam dann dazu. „Ja, dann machen Sie doch mal einen Vorschlag!“ Und auf der nächsten Sitzung hatten sie einen. Das hat eine ganze Zeit gedauert. So ist das alles entstanden, auch das Bündnis für Investition. Diese Jahre waren sehr emotional, viele Entscheidungen wurden vonseiten der Mitarbeitenden auch moralisch auf den Prüfstand gestellt: Wir geben euch das Geld und ihr macht dies und wollt jenes! Dieses Stück Moral, das da immer mit reinkommt, das war auch auf Arbeitgeberseite nicht immer einfach auszuhalten – bis auf Einzelfälle. Zur MAV habe ich mal gesagt: Wer hat das denn entschieden? – Sie! – Ich sag: Mein Gott, das kann gar nicht sein! Aber das sind Einzelfälle. Im Rückblick war das alles vernünftig und richtig und, ich muss das mal so sagen, ich bin stolz darauf!

Stiefvater: Claudia.

Williams: Ich bin jetzt in Rente und habe darüber nachgedacht. Ich guck immer noch mit so einer Herzenswärme auf mein Alsterdorf, das gebe ich zu. Ich habe da 45 Jahre meines Lebens zugebracht, man fühlt sich sehr verbunden und man kennt mittlerweile jeden Stein mit Namen. Ich habe drüber nachgedacht, über dieses Bündnis, und wie wir damit angefangen haben. Ja, wir hatten andere Vorstellungen im Kopf, wir hatten andere Träumereien, lass es mich so rum sagen. Wir haben gedacht: Wenn wir das machen, bleiben wir eine Stiftung, wir behalten den KAT und alle Mitarbeitenden. Das war unsere Idee. Dass wir dann pünktlich mit Auslaufen des Bündnisses auf einmal elf GmbHs waren und einen neuen Tarifvertrag kriegten, denn „Entweder nehmt ihr den KTD oder ihr habt gar keinen“, das hat wehgetan, das war bitter. Und ich denke immer so: Vielleicht waren die fünf Jahre zu lang. Wenn man so oft mit Menschen verhandelt und ringt, entwickelt sich ein Vertrauensverhältnis und man denkt immer: Der lügt mich ja nicht an! Also das glaubt man ja nicht! Und dass manchmal einfach das Leben sich so verändert, dass man nun andere Dinge machen muss, als man ursprünglich vorhatte, verstehe ich auch. Worüber ich bis heute bei diesem Bündnis nicht hinwegkomme– wir haben doch Geld investiert, wir haben extra eine Dienstvereinbarung geschlossen, dass keine Gesellschaft mit dem Gebäude auswandern darf und in der Stiftung bleiben muss –, dass die ganzen schönen Gebäude nun der Stiftung gehören, aber wir sind ausgelagert! Das fanden wir frech. Jetzt zahlen wir Miete im eigenen Gebäude!

Aber auch das macht dem Ganzen keinen Abbruch, denn die Stiftung als solche hat sich verändert. Das wird besonders am Marktplatz deutlich. Man stellt fest: Nein, Menschen mit Assistenzbedarf wohnen nicht mehr in der Wohngruppe mit 24-Stunden-Betreuung. Das ist nicht ihr Wunsch, ihr Anspruch. Die wohnen ganz woanders. Also brauchen wir wahrscheinlich nicht mehr so viel eigene Gebäude, wie wir mal gedacht haben. Der Mensch sucht sich seine Wohnung da, wo er oder sie wohnen möchte. Also, wenn man das 10 oder 20 Jahre vor dem Bündnis gewusst hätte, hätte man vielleicht andere Dinge getan, ich weiß es nicht, aber hinterher ist man ja so mitbestimmten Entscheidungen immer klüger! Aber eigentlich, wenn ich das Selbstbewusstsein von Menschen sehe, die ich noch kenne, als sie quasi im Wach-Saal wohnten, und wie sie heute mit stolz geschwellter Brust durch die Stadt gehen, dann freue ich mich. Und dann weiß ich, in der Behindertenhilfe, die nicht mehr Behindertenhilfe heißt, ist ganz viel Richtiges passiert und wahrscheinlich war auch dieses Bündnis Teil dieses Aufbrechens von diesen alten Strukturen, was so gut war. Und die Kollegen haben es ja auch alle überstanden!

Stiefvater: Herr Kraft, Sie haben das Schlusswort.

Kraft: Ich glaube, ein solcher Prozess, den wir erlebt haben, mit der Tatsache, so viele unterschiedliche Meinungen, Empfindungen, Gefühle oder Konzepte unter eine große Klammer zu bringen, geht nicht ohne Enttäuschung vonstatten. Das ist völlig klar. Auch beim Vorstand gab es manche Enttäuschung, aber ich habe die zum Glück alle vergessen. Insofern ist das ein bisschen komfortabler. Aber, ich glaube, wenn man es aus der Zeit heraus beurteilt, haben wir auf jeden Fall das Richtige gemacht. Hinterher ist man immer klüger und würde das eine oder andere anders machen, aber dann wird man der Zeit nicht gerecht, in der man selbst agiert hat. Ich muss sagen, ich bin stolz auf das, was uns allen gelungen ist. Für mich war es der Höhepunkt meiner beruflichen Laufbahn, das darf ich so sagen. Und im Nachhinein, glaube ich, dürfen wir alle stolz darauf sein.

Wenn Sie die Frage stellen, was würde ich aus heutiger Sicht anders machen oder was hätte ich anders gemacht, könnte ich spontan jetzt nicht allzu viel sagen. Wir hätten vielleicht die eine oder andere Strukturveränderung nicht gemacht, aus der wir dann auch gelernt haben, dass sie vielleicht überflüssig war – Kleinigkeiten. Aber auf der anderen Seite hatten wir eine phänomenale Aufgabe zu bewältigen, die unter einem Stichwort stand „Auflösung der Anstalt“ mit den Gebäuden, in der Finanzierungsstrukturform und vor allem in den Köpfen der Mitarbeitenden. Wenn Sie vorhin angeschnitten haben, wie es im Herntrich-Saal zuging, dann war das der Kampf um die alte Anstalt, der sich da abgespielt hat, und zwar in dieser Grausamkeit, kann man schon fast sagen. Das zeigt eben auch, wie schwer die Aufgabe war, die Menschen auch in den Köpfen zu bewegen, weg von der Anstalt hin zu einem offenen, freien Serviceangebot für die Menschen zu kommen, denen gegenüber wir uns verpflichtet haben. Und insofern können wir stolz sein.

Und um dies abzuschlieĂźen und den Vorsprung deutlich zu machen, den wir durch die Sanierung gewonnen haben, in Zeiten, in denen sich andere Einrichtungen Hamburger Behindertenhilfe nannten, haben wir unsere Angebote assistenz ost und assistenz west genannt. Das heiĂźt, wir haben mit dem Begriff Assistenz endlich die Gleichheit, die gleiche Augenhöhe – hast du ja immer gesagt [zu Dieter Fenker] – zu den Menschen hergestellt, denen wir uns verpflichtet haben, ihnen so zu assistieren, wie es fĂĽr ihr Leben richtig und von ihnen selbst gewĂĽnscht ist. Und noch mal: Da können wir sehr zufrieden sein!

Stiefvater: Vielen Dank an alle! Die Zeit ging schnell vorbei.