11 / 2010 – Interview mit Elisabeth Radziejewski

Teilnehmende

Elisabeth Radziejewski

Monika Bödewadt

Reinhard Schulz

Interview

Bödewadt: Ich begrüße dich zum Interview und mein Name ist Monika Bödewadt. Wenn du dich bitte einmal vorstellen möchtest.

Radziejewski: Hallo. Ich freue mich, hier zu sein. Ich bin Lisa Radziejewski. Mein richtiger Name ist Elisabeth Radziejewski, aber ich werde bei barner16 Lisa genannt.

Schulz: Mein Name ist Reinhard Schulz. Ich betreue das Dokumentationsprojekt „Vierzig Jahre Eingliederungshilfe-Entwicklung in der Stiftung Alsterdorf“ und freue mich sehr, dass Frau Radziejewski heute zum Interview hier ist und wir uns mit ihren Eindrücken und Erfahrungen, die sie in der Stiftung gemacht hat, beschäftigen können.

Frau Radziejewsky, mögen Sie sagen, in welchem Jahr und aus welchem Anlass Sie die Stiftung kennengelernt haben und wie das damals war?

Radziejewski: Ende 2003 habe ich ein Praktikum bei barner16 gemacht – früher war das Station17 – und da waren wir nur zehn Leute und 2004 habe ich dann in Alsterdorf in der barner 16 angefangen zu arbeiten. Ich bin sehr froh darüber, und finde es ganz toll, dass Kai Boysen, Andrea Trumm und Christoph Grothaus mir die Zusage gegeben und das möglich gemacht haben. Den dreien habe ich zu verdanken, dass ich hier arbeiten kann. Es ist mir sehr wichtig, dass zu sagen, dass Andrea Trumm, Kai Boysen und Christoph Grothaus dazu sehr viel beigetragen haben.

Schulz: Das waren Ihre Anfänge in Hamburg in Richtung Ihrer beruflichen Möglichkeiten. Mögen Sie erzählen, woher Sie kommen und wie das davor war? Wie kamen Sie auf die Idee, nach Hamburg zu gehen?

Radziejewski: Also das war so: Bevor ich nach Hamburg gekommen bin, habe ich zwei Förderjahre in Potsdam gemacht, da ich die Schule nicht geschafft habe. Ich bin nur bis zur neunten Klasse in die Schule gegangen – von der ersten bis zur sechsten Klasse bin ich in die Waldorfschule gegangen – und dann bin ich weggegangen, weil ich das schulisch einfach nicht hinbekam, weil ich sehr viele Anfälle hatte und die Lehrer sich überfordert fühlten. Danach bin ich in Halle auf die Schule für Menschen mit Körperbehinderung gegangen.

Schulz: In Halle an der Saale.

Radziejewski: In Halle an der Saale, genau, da bin ich bis zur neunten Klasse in die Schule gegangen. Aber ich muss einfach sagen, dass die Schule für mich ziemlich schwer war, dadurch dass ich eine leichte Lernbehinderung habe, und zwar durch dieses Schädelhirntrauma, was ich als dreijähriges Kind in Halle bekommen hatte.

Da habe ich mit Freunden an einem Denkmal, einem Fahnenmonument gespielt und bin aus drei Metern Höhe in einen Steinbrunnen ohne Wasser gefallen. Als dreijähriges Kind mit dem Kopf in so einen Steinbrunnen zu fallen – man hat ja in diesem Alter auch noch nicht so den Knochenbau – ist schon eine krasse Situation! Ich war dann sechs Wochen bewusstlos im Koma. Ich kann froh sein, dass ich wieder aufgewacht bin, weil, mir wurde dann von den Ärzten gesagt, dass diese Operation so etwas wie ein Experiment war. Dann musste ich auch wieder neu sprechen lernen. Eine Freundin hat mir gesagt: Das erste Wort, was ich gesagt hätte, war Teddy oder Kuscheltier, weil, sie hatte mir einen Teddybären geschenkt. Ich musste alles neu lernen. Das war sehr schwer. Ich war im Waldorf Kindergarten und bin dann auf die Waldorfschule gekommen, und da hatte ich dann so viele Anfälle. Ich war einfach überfordert mit diesen schulischen Sachen.

Dann bin ich auf die Schule für Menschen mit Körperbehinderung gegangen und das ging schulisch für mich gar nicht! Danach bin ich nach Potsdam gekommen und habe dort zwei Förderjahre in der Hauswirtschaft gemacht und sollte dann eigentlich in Potsdam eine Ausbildung zur Hauswirtschaftshelferin machen. Zum Glück habe ich das nicht gemacht! Da bin ich ganz froh! Die Lehrerin meinte, dass ich das schulisch nicht schaffen würde und dass ich lieber was anderes machen sollte. Da bin ich zurück nach Halle und dann haben wir Hamburg kennengelernt.

Schulz: Wie kam es dazu? Wie haben Sie Hamburg kennengelernt in Halle?

Radziejewski: Also ich wollte gerne allgemein etwas Musisches machen. Mein Vater ist Musikwissenschaftler. Ich hätte gerne Musik studiert, weil ich in die Fußstapfen von meinem Vater treten wollte. Ich war immer der Meinung, dass wir die barner16, also Station17 über das Internet kennengelernt haben. Meine Mutter meinte, das waren Freunde, die uns da geholfen haben. Wir haben dann bei der barner, bei Station17 angerufen – so hießen die früher –, und ich durfte dort ein Vorstellungsgespräch machen.

Dort waren dann Kai Boysen, Andrea Trumm und Christoph Grothaus. Die haben sich besprochen und gesagt, dass ich wiederkommen darf. Und dann habe ich angefangen zu arbeiten. Ich weiß nicht, ob ich 2004 erst ein Praktikum gemacht habe oder gleich angefangen habe. Ich glaube, ich habe 2004 schon angefangen. Auf jeden Fall bin ich den Dreien super, super dankbar, weil, ich hätte sonst nie die Chance gehabt, mich künstlerisch zu entfalten. Ich mache auch noch nebenbei andere Tätigkeiten, also z. B. dass man sich mal gegenseitig hilft, dass ich irgendwie den Blinden helfe und solche Sachen. Ich habe einfach gemerkt, dass ich, seitdem ich die blinden Freunde habe, die Welt mit ganz anderen Augen sehe, dass man den Menschen einfach nicht nur äußerlich betrachten soll. Natürlich äußerlich spielt immer für den Sehenden auch eine Rolle, aber eigentlich kann der Mensch äußerlich total toll aussehen und innerlich ein totaler Egoist sein. Früher habe ich alles irgendwie so oberflächlich gesehen. Sie verstehen das vielleicht. Das habe ich gelernt, dadurch dass die Blinden meine Freunde sind.

Schulz: Sie kamen 2003 nach Hamburg. Sie haben gerade erzählt, dass Sie erst bei Freuden bzw. bei Bekannten wohnten und dann zogen Sie in das Service Wohnen der Stiftung Alsterdorf. Können Sie erzählen, wie das damals 2004 war?

Radziejewski: Also für mich war das Service Wohnen – ich bin in eine WG gezogen – ganz furchtbar, weil, es waren einfach diese Mitbewohner furchtbar für mich! Das waren auch alles Bewohner mit Handicap, aber wir waren halt Stammkunden bei der Polizei. Da waren dauernd irgendwelche Bedrohungen, z.B. hatte einer die Kerzen brennen lassen und wenn man dann sagte, wenn du weggehst, musst du die Kerzen ausmachen, sonst steht die Wohnung unter Brand, dann ist derjenige gleich ausgerastet. Nein, das war nicht schön für mich!

Schulz: Sie haben aber damals auch schon bei alsterarbeit bzw. Station17 gearbeitet. Haben Sie damals den Berufsbildungsbereich durchlaufen? Wissen Sie das noch?

Radziejewski: Genau. In der Uferstraße. Einmal bis zweimal die Woche. Da habe ich auch Hauswirtschaft gelernt.

Bödewadt: Ich hätte gern mal gewusst, was dich damals bewogen hat, dass du bei Station17 bleiben wolltest? Kannst du dich da noch dran erinnern?

Radziejewski: Ich wollte gerne etwas mit Musik machen. Deshalb bin ich dortgeblieben.

Schulz: Und können Sie erzählen, was Sie mit Musik da gemacht haben?

Radziejewski: Ich war erst bei Kunde König.

Schulz: Kunde König ist eine Band.

Radziejewski: Genau das ist eine Band, eine Musikgruppe. Dann war ich ganz kurz noch oben im Label [Arbeit am Computer] bei Michael Schütz. Das war aber nur ganz kurz – Man brauchte zwei Standbeine, also man konnte jetzt nicht nur Musik machen. Aber die Arbeit im Label war für mich auch zu schwer.

Schulz: Aber Sie arbeiten als Sängerin. Sie singen auch in dem Chor Sounddrops.

Radziejewski: Genau.

Schulz: Mögen Sie dazu etwas erzählen.

Radziejewski: Also der Chor Sounddrops ist richtig toll. Ich finde, dass Christoph Grothaus das richtig super macht. Ich finde es auch total toll, dass er mich da reingeholt hat, weil, das ist anspruchsvoll, was man da macht. Es ist nicht nullachtfünfzehn. Das ist schon anspruchsvolle Musik. Ich finde es einfach ganz toll, dass ich in dem Chor sein kann. Also das ist schon echt toll!

Schulz: Sie haben erzählt, dass Sie im Service-Wohnen gewohnt haben. Wie lange sind Sie im Service-Wohnen geblieben, obwohl das nicht so schön war für Sie?

Radziejewski: Fünf Jahre habe ich da gewohnt.

Schulz: Also bis 2009 ungefähr. Wie ging es dann weiter?

Radziejewski: Dann bin ich in die Bodelschwingh-Straße gezogen, in die Straße, wo das Evangelische Krankenhaus Alsterdorf ist.

Schulz: Also nach Alsterdorf in eine eigene Wohnung?

Radziejewski: In eine eigene Wohnung, genau. In der Zeit habe ich auch meinen Arzt gewechselt. Da bin ich aus dem Epilepsiezentrum rausgegangen und in den Leinenpfad, dadurch dass mein Arzt, Dr. Breuer, jetzt im Leinenpfad ist. Dr. Breuer war der Gründer des Epilepsiezentrums und ich fühle mich da sehr gut aufgehoben.

Schulz: Haben Sie in ihrer Wohnsituation in der Bodelschwingh-Straße Assistenz gekriegt?

Radziejewski: Ja.

Schulz: Wie war das organisiert?

Radziejewski: Das waren die Assistenten vom Service-Wohnen. Und, ach so, was noch der Grund war, warum ich aus der WG ausgezogen bin: Ich war zu selbständig. Die Betreuer waren fast jeden Tag da und ich wollte dann auch mal irgendwie meine Ruhe haben nach der Arbeit. Die anderen Leute brauchten mehr Assistenz. Zu mir kommt meine Assistentin jetzt einmal in der Woche für zwei bis drei Stunden, je nach dem. Das meiste Zeug ist Behördenzeug, also das Behördendeutsch verstehe ich nicht.

Schulz: In der Bodelschwingh-Straße haben Sie gewohnt und sind dann in ’s Pergolen-Viertel umgezogen. Mögen Sie erzählen, was das ist und wo das ist?

Radziejewski: Das Pergolen-Viertel ist in der City-Nord, ganz nahe am Bahnhof Rübenkamp. Ich bin da in diesem Projekt Bunte Bande. Das sind Familien mit Kindern und zwei Menschen mit Handicap. Da mussten Menschen mit Handicap hinziehen, weil, sonst hätten die das Projekt nicht fördern können.

Das ist jetzt ganz schön, also die Wohnung ist voll schön. Und da, wo ich wohne ist es auch schön. Es war bloß ein sehr schwerer Weg. Die Behörde hat einem da richtig viele Steine in den Weg gelegt. Und dann mussten wir uns an Frau Körner wenden, weil, das Amt hat da voll den Strich durchgemacht, und die Frau Körner – ich weiß nicht, sagt Ihnen der Name was –

Schulz: Das war die Beauftragte für Fragen von Menschen mit Behinderung in Hamburg.

Radziejewski: Genau, die ist aber jetzt auch schon in Rente oder?

Schulz: Ja, die hat das Amt auch aufgegeben. –

Radziejewski: Genau und an die haben wir uns gewandt und die hat dann noch mal bei der Behörde Druck gemacht, damit ich diese Wohnung bekomme. Da haben sich auch noch ganz viel andere miteingesetzt. Also der Thies,

Schulz: Herr Thies Strähler-Pohl,

Radziejewski: genau, der ist jetzt mein Nachbar. Der wohnt auch im Pergolen-Viertel. Der hat sich da auch sehr für mich eingesetzt und auch Dagmar Götz – die war die Leitung des Service-Wohnens – und hat sich da eingesetzt und viele andere auch noch. Wir haben das nie verstanden, warum die Behörde uns da so einen Strich durch gemacht hat.

Schulz: Aber jetzt ist es möglich! Sie wohnen dort in einer eigenen Wohnung. Wie erleben Sie diese neue Wohnsituation in diesem neuen Pergolen-Viertel und mit den Menschen drumherum?

Radziejewski: Also es ist sehr, sehr schön, muss ich sagen. Das ist ein Miteinander, die Nachbarn kennen sich. Wir haben ein vertrautes Verhältnis. Es ist vertrauter als in der anderen Wohngruppe. Also man kann alleine sein, man kann sich zurückziehen, man kann auch Sachen zusammen machen. Wir haben so eine App – die heißt nicht Signal, irgendeine andere App. Da schreibt man dann rein Hat jemand noch Tomaten, ich habe Tomaten vergessen zu kaufen? oder Ich war beim Alsterdorfer Markt und hatte meine Maske vergessen, kann mir jemand noch mal Brot holen? Da bin ich dann z.B. abends um halb acht noch mal losgegangen und hab Brot und Käse für die Nachbarn geholt. Also man schreibt dann auch so etwas wie Hat jemand eine Bohrmaschine? oder man stellt irgendwelche Sachen rein, die man nicht mehr braucht.

Schulz: Wie geht es Ihnen damit, wenn Sie sich vorstellen, dass der Alsterdorfer Markt früher mal eine Anstalt war? Sie haben das, glaube ich, erst kennengelernt, als das schon aufgelöst war. Haben Sie davon Geschichten gehört und Berichte bekommen darüber, wie das da früher war? Haben Sie da Eindrücke?

Radziejewski: Also, ich hatte einen Nachbarn, Klaus, ich weiß nicht, ob Sie den kennen,

Schulz: Klaus Matzke möglicherweise?

Radziejewski: Genau dieser ältere Mann, das war mein Nachbar, ich weiß nicht, wie der mit Nachnamen heißt.

Schulz: Klaus Matzke.

Radziejewski: Der hat mir ab und zu Geschichten erzählt, aber auch nicht so, dass ich das verstand, weil, er hat manchmal ein bisschen Probleme mit dem Reden, glaube ich. So richtig weiß ich das auch nicht, aber ich kann mir das vorstellen. Also dieses Wort „Anstalten“ klingt schon so ein bisschen wie Psychiatrie, oder?

Schulz: Ja, so in die Richtung war das. Wenn Sie jetzt diese tolle Wohnsituation haben und wenn Sie noch mal auf Ihre berufliche Situation schauen, wie geht es Ihnen als Künstlerin, die musikalisch hier in Hamburg und in diesen Projekten von barner16 unterwegs ist? Wie geht’s Ihnen damit?

Radziejewski: Total gut. Also ich kann das nur so sagen, dass das für mich beides [Wohnung und Beruf] wie ein Sechser im Lotto ist. Mein Bruder hat mir das auch gesagt: Also, dass du nach Hamburg gekommen bist und jetzt auch noch so eine tolle Wohnung hast, das ist wie ein Sechser im Lotto! Da habe ich so gedacht: Ja, stimmt, da hätte ich schon mal eher draufkommen können!

Schulz: Wie geht es Ihrer Familie damit, dass Sie in Hamburg sind und die meisten Mitglieder der Familie in Halle an der Saale.

Radziejewski: Mein Bruder hat jetzt zwei tolle Restaurants aufgemacht das Kaffeehaus Wittekind und das Pandileo. Denen geht’s damit auch sehr gut und die finden die Situation, die ich jetzt habe, sehr toll. Manchmal ist es so, dass meine Mutter sagt, es wäre schön, wenn ich ein bisschen näher dran wäre. Aber ich sage mir, es ist gut, dass ich so weit weg bin.

Bödewadt: Gibt es Wünsche, die noch offen für dich sind, dass du dir etwas ganz Besonderes wünschst, was noch nicht so ist.

Radziejewski: Na, ja, dass es musikalisch weitergeht und dass ich einfach weitergefördert werde! Aber eigentlich ist das gerade nicht so.

Schulz: Wie sehr fehlen Ihnen aktuell die regelmäßigen Auftritte von Sounddrops durch die Pandemiesituation?

Radziejewski: Ja, die Pandemie, genau, dass die Pandemie aufhört, natürlich! Also Corona geht mir vollkommen auf die Nerven! Ich bin froh, dass die Sportzentren jetzt wieder aufmachen, aber, ehrlich gesagt, um durch diese Sportseiten im Internet durchzukommen, da muss man echt ein Studium absolviert haben. Es ist einfach so.

Schulz: Die sind nicht richtig barrierefrei?

Radziejewski: Nein, überhaupt nicht! Und wenn man dann am Ziel angekommen ist, muss man eigentlich nur auf Bestätigung drücken und dann geht das nicht! Und denke ich so: Na prima, jetzt bin ich den Weg gegangen und jetzt geht’s nicht!

Schulz: Welche beruflichen Entwicklungen wünschen Sie sich noch als Künstlerin? Was sollte noch passieren, was würde schön sein, wenn es noch möglich wird?

Radziejewski: Also, dass es auf jeden Fall musikalisch auch mit dem Klavierspiel und dem Gesang noch besser wird.

Schulz: Mögen Sie ein bisschen erzählen was Sie dafür tun, damit es besser wird, Stichwort Klavierspielen?

Radziejewski: Also ich habe Klavierunterricht in der barner und mache das über das Werkstattbudget. Das Ding ist, dass es bei mir alles sehr langsam geht. Ich mach auch noch Gitarrenunterricht, auch über das Werkstattbudget. Durch meine Kopfverletzung dauert das alles ein bisschen länger. Ich sag immer aus Spaß: Ich habe eine Tischtennisplatte im Kopf. Und Freunde von mir haben gesagt: Dürfen wir Ping-Pong spielen? Dass es hoffentlich irgendwann mal ein bisschen schneller geht, das hätte ich gerne.

Bödewadt: Was würdest du, wenn du neue Leute, neue Freunde kennenlernst, denen von dir, von der Barner und aus deinem Leben erzählen? Was würdest du denen weitergeben?

Radziejewski: Dass ich einen ganz tollen Arbeitsplatz habe, wo ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe, dass man sich kreativ entfalten kann bei barner16 und dass ich jetzt auch noch so eine tolle Wohnsituation habe. Das steckt richtig an! Ich fahre jetzt auch wieder sehr viel Fahrrad. Die von der Bunten Bande wollen mit dem Fahrrad von Hamburg in ‘s Wendland fahren. Aber ich habe gesagt: Das mache ich nicht, weil ein Freund, der bei den Cyclassics mitgefahren ist, gesagt hat: Das sind 100 Kilometer. Also, das mache ich nicht! Da bin ich ja tot!

Bödewadt: Gibt es auch noch etwas, was du verändert haben möchtest, irgendwas an der barner, was man verändern kann. Alles gut? [Lisa Radziejewski nickt]

Schulz: Sie sind momentan wunschlos glücklich. Das hört sich sehr gut an.

Radziejewski: Außer, dass Corona nervt.

Schulz: Das trifft ja gerade alle Menschen.

Radziejewski: Also ich finde es einfach toll, dass ich für diese Wohnsituation ausgesucht worden bin und dass ich so tolle Nachbarn habe. Das Schöne ist, wie gesagt, dann fragen die Nachbarn über diese Whats-App-Gruppe Kann jemand auf meinen Sohn aufpassen? oder Kann der heute zu dir kommen? Dann war Valentin halt mal da. Ich hatte Einzelstimmenprobe und er war da, aber er hat sich dann am Tisch beschäftigt und hat gemalt. Er hat ab und zu mal Hallo gesagt, aber er hat jetzt nicht weiter gestört.

Schulz: Also ist dieses Wohnkonzept, was die jetzt da umsetzen, schon ziemlich optimal?

Radziejewski: Also es wird noch sehr viel gebaut, weil da noch eine Schwimmhalle hinkommen soll. Aber da, wo ich wohne, ist der Innenhof fertig. Jetzt gibt es da auch so einen Laden, Hofladen heißt der, und da gibt es Bio-Produkte, also da kann man nicht jeden Tag, aber ab und zu einkaufen gehen.

Schulz: Wenn Sie jetzt mal zurückschauen nach 17 Jahren Hamburg. Sie stehen wieder vor der Entscheidung: Will ich nach Hamburg gehen? Würden Sie es wieder so machen oder würden Sie später kommen oder wie wäre das?

Radziejewski: Also ich würde auf jeden Fall aus Halle weggehen, weil man in Halle überhaupt nicht viele Möglichkeiten hat. Man hat in Halle an der Saale wirklich nur die Möglichkeit, in einer Werkstatt zu arbeiten und Sachen zu machen wie Schraubendrehen, Verpackung, Montage, ich weiß nicht, was es noch gibt, oder in der Küche zu arbeiten. Also ich würde auf jeden Fall versuchen, aus Halle wegzugehen. Natürlich, wenn ich jetzt schwerer behindert wäre oder ein schweres Handicap hätte, wäre das für mich auch schwierig.

Schulz: Wir sprechen jetzt in den 2010er Jahren über das Thema Inklusion und Sozialraum undgerade haben wir über Ihre Wohnsituation gesprochen. Wenn Sie das einschätzen müssten: Wie weit sind wir schon mit dem Thema Inklusion, Sozialraum und Quartiersentwicklung auf einer Skala von 1 bis 10?

Radziejewski: Wir sind schon ziemlich weit, glaube ich, aber wir können noch einiges machen.

Schulz: Was würde da als erstes notwendig sein, was man noch tun müsste, damit es besser wird?

Radziejewski: Die sind da schon am barrierefreien Umbau, aber auch noch nicht überall. Ich merke das einfach. Ich steige jetzt immer am Rübenkamp ein, weil das gleich da ist, wo das Pergolen-Viertel ist. Da ist überhaupt nichts mit Barrierefreiheit, also der Fahrstuhl zum Beispiel. Was ich noch ganz oft erlebe ist, dass der Fahrstuhl kaputt ist und dann steht ein Rollstuhlfahrer da unten und kommt nicht hoch. Ich weiß nicht, okay, Technik, die begeistert, wenn sie funktioniert, aber….

Schulz: Aber für Sie wäre das das nächste, was noch notwendig wäre, dass die Barrierefreiheit baulich noch verbessert wird?

Radziejewski: Ja. Also mich schränkt das jetzt nicht viel ein, aber es ist halt schon wichtig.

Bödewadt: Denkst du, dass es in 20 oder 30 Jahren Inklusion noch gibt, noch geben muss?

Radziejewski: Ich denke schon. Also ich würde schon sagen, das ist nicht so einfach wegzubekommen, das Wort.

Schulz: Ja, wir werden hoffentlich noch lange Zeit damit beschäftigt sein, das Leben und das Arbeiten inklusiver zu gestalten. Wir sind jetzt am Ende der Zeit.

Bödewadt: Herzlichen Dank für ’s Mitmachen!

Schulz: Genau, herzlichen Dank, dass Sie zum Interview bereit waren, und weiterhin alles Gute für die Zukunft!