10 / 2004 – Interview mit Dieter Sanlier

Teilnehmende

Dieter Sanlier

Nico Kutzner

Reinhard Schulz

Transkription

Kutzner: Hallo. Ich bin Nico Kutzner von 17motion. Herzlich willkommen hier im Studio zum Interview!

Sanlier: Guten Tag. Dieter Sanlier. Herzlich willkommen!

Schulz: Mein Name ist Reinhard Schulz. Ich bin Leiter des Projektes „Vierzig Jahre Eingliederungshilfe in der Stiftung Alsterdorf“ und freue mich, Herr Sanlier, dass Sie zum Interview hier sind.

Kutzner: Wie war das damals, als Sie zur Evangelischen Stiftung Alsterdorf gekommen sind?

Sanlier: Ich hatte meine Selbständigkeiten, mein Unternehmen verkauft und war auf der Suche nach einem sicheren Job. Meine Frau las irgendwann eine Annonce im Hamburger Abendblatt. Darin wurde ein Betriebsleiter für die ESA Catering St. Pauli GmbH, so hieß das damals noch, gesucht. Ich bewarb mich und bekam ein Vorstellungsgespräch, aber ich konnte dann doch nicht dahingehen, weil ich zwei andere Vorstellungsgespräch zeitgleich hatte. Ich rief die damalige Geschäftsführungsassistentin, Frau Henschel, an, um zu wissen, wie ich mich entscheiden sollte und fragte sie, ob ich das Gespräch verlegen könnte. Sie sagte: Das geht nicht! Es sind drei Geschäftsführungen dabei! Ich fragte sie dann noch mal: Was heißt eigentlich ESA Catering? Ich hatte eines meiner Unternehmen auch auf St. Pauli und dieser Name ESA Catering sagte mir nichts. Ich hatte auf St. Pauli herumgefragt, ob die Geschäftsführungen, Uwe Schiemann und Herr Lühr, bekannt wären. Die waren nicht bekannt und mir sagte der Name nichts, obwohl ich schon lange auf St. Pauli war und ich dachte: Was passiert da? Sie sagte: Das wird ein Betrieb der Evangelischen Stiftung Alsterdorf! Und da dachte ich: Super! Da will ich hin! Da waren alle meine anderen Termine vergessen, weil mein Cousin schon vierzig Jahre bei den Alstergärtnern war und ich von klein auf das Gelände der Stiftung kannte.

Kutzner: Wie ging es dann weiter mit dem Betrieb?

Sanlier: Aus meiner Sicht wurde ich relativ spät dazu geholt, weil viele Dinge nicht mehr verändert werden konnten – die Küche z.B. konnte nicht mehr so verändert werden, wie sie dann erst fast ein Jahrzehnt später verändert werden konnte. Sie waren im Cook-and-Chill-Verfahren geplant, was aber aus meiner damaligen Sicht nicht so wirklich toll war, weil wir in den Markt hereinkommen mussten.

Ihre Frage war: Wie ging es weiter? Ich war erst noch mit Monika Meyer und Jens Gottschalk in einem Projektbüro in den Räumlichkeiten, in die alsterarbeit jetzt erst wieder gezogen ist, und habe dort zweieinhalb Monate das Projekt noch in der letzten Gründungsphase begleiten dürfen. Ich konnte dort meine Gedanken mit einfließen lassen, im Restaurantbereich konnte es umgesetzt werden, in der Küche nicht. Dort musste man zu Anfang mit Gegebenheiten arbeiten, die schwierig waren

Schulz: Es ist vielleicht noch mal wichtig, dass Sie berichten, wie die Anfangssituation dort in der St. Pauli Catering GmbH war. Das Besondere war, dass es in der Seewartenstraße im ehemaligen Hafenkrankenhaus stattfand. Vielleicht erzählen Sie dazu noch etwas.

Sanlier: Ja, danke. Stichwort Hafenkrankenhaus. Zwei oder drei Jahre vorher schaffte es ein Bürgerbegehren, dass dieses Hafenkrankenhaus in das Gesundheitszentrum umgenützt werden konnte. Sie, Herr Schulz, haben damals für alsterarbeit den Hut in den Ring geworfen. Das Gelände sollte seinerzeit an Herrn Bartels gehen. Darauf sollte, soweit ich mich erinnere, Wohnungsbau entstehen. Durch Bürgerbegehren und Montagsproteste auf Initiative von Herrn Hanisch, der bis dahin mit Herz eine Obdachloseneinrichtung geleitet hatte, wurde dafür demonstriert, dass das Gelände umgenutzt und zum heutigen Gesundheitszentrum wurde.

Heute sind dort circa 35 Mietungen, die etwas mit Gesundheit zu tun haben, also so etwas wie ESA-Campus in klein – dieselben Probleme, aber alles in klein. Der Campus wird über einen gemeinnützigen Trägerverein mitorganisiert, um ein gemeinsames Sprachrohr in Bezug auf die Vermieter zu haben.

Zu dem Gelände kann man noch sagen: Am Anfang war es ziemlich schwer, weil auch die Straße und das ganze Gelände vor dem Gesundheitszentrum noch mal erneuert wurde. Es gab dort früher die Bavaria-Brauerei und das Astra-Brauereigelände und ein großes Brauereihaus stand dort. Das war das einzige in der weiten Fläche. In den Jahren zwischen 2004 und 2008 wurde dort unglaublich viel neu gebaut. Ich glaube, es wurde mehr als eine Milliarde Euro ausgegeben, um dort neue Räume und neue Arbeitsplätze entstehen zu lassen.

Wir in Haus5, damals ESA Catering, hatten anfangs die Schwierigkeit, dass die Mitarbeiter*innen nicht die dunkle Straße entlang gehen wollten, denn es gab keine Außenbeleuchtung. Irgendwann bin ich zu Herrn Schreiber gegangen – das war der Bezirksamtsleiter seinerzeit –, habe mit ihm gesprochen und gefragt, ob man da nicht Außenbeleuchtung anbringen könnte. Das ging aber nicht so einfach, weil auch die Umnützung mit den Tanzenden Türmen [Bürogebäude am Anfang der Reeperbahn mit einer besonderen Architektur] und mit dem Hotel, mit den ganzen Appartementhäusern, die da jetzt stehen, schon beschlossen war. Die Straßenführung wurde auch noch mal komplett verändert. Das hat dann auch dazu beigetragen, dass es anfänglich ein sehr schwieriges Unternehmen war in Bezug auf den allgemeinen Kundenfluss. Es konnte kaum Essen verkauft werden, weil keine Kunden kamen. Die Menschen sahen das Haus nicht, denn wir waren etwas versteckt gelegen, 1 C- oder 1 D-Lage, auf jeden Fall relativ schlecht gelegen.

Das hat sich damit verändert, dass dann doch ganze viele Menschen auf das Gelände kamen und sich dort als Mitarbeitende der jeweiligen Firmen angesiedelten. Ich glaube, da sind ungefähr 5500 neue Arbeitsplätze entstanden. So sind wir dann auch sukzessive in der Auslastung gewachsen.

Schulz: Stichwort Campus. Sie erzählten, dass Sie sich damals bei alsterarbeit vorstellen mussten – Sie waren wahrscheinlich in der Dorothea-Kasten-Straße. Stichwort Zentralgelände der Stiftung: Kannten Sie das vorher? Welche Eindrücke hatten Sie, als Sie dorthin hinkamen? In welchem Jahr war das, wissen Sie das noch?

Sanlier: Zum Bewerbungsgespräch?

Schulz: Ja.

Sanlier: Das war 2004 im April oder Mai.

Schulz: Kannten Sie die Stiftung und Zentralgelände aus der Zeit davor oder waren Sie zum ersten Mal dort?

Sanlier: Ich kannte das aus der Zeit davor, weil wir mit meinem Cousin, seiner und meiner Mutter vor allem immer zu den Weihnachtsmärkten gegangen sind.

Schulz: Welche Eindrücke hatten Sie von dem Gelände, bevor es der Alsterdorfer Markt wurde?

Sanlier: Ich war noch sehr jung, ich bin als Kind dort herumgelaufen. Da hatte ich schon das Gefühl, dass man die Menschen mit Beeinträchtigung sehr viel stärker wahrnimmt. Ich weiß noch, dass es für mich als Kind oder als junger Mensch sehr gewöhnungsbedürftig war, dass jemand mit einem Kopfschutz herumlief. Damals gab es noch diese Bällebäder – Sie kennen das wahrscheinlich – und da war Jemand in das Plastik-Bällebad reingesprungen, kam wieder raus, bekam einen Anfall und lief mit seinem Kopf und dem Kopfschutz, ähnlich wie bei einem Boxer beim Sparring, immer gegen die Wand. Das war für mich jungen Menschen schon sehr komisch anzusehen. Allerdings kannte ich natürlich auch meinen Cousin. Der hatte manchmal auch solche komischen Ausraster.

Das Gelände war sehr viel geschlossener damals, das konnte man schon sehen. Es war einfach schön, die Öffnung in den ganzen Jahren danach zu sehen. Ich war irgendwann nach der Gründung der ESA Catering im Kesselhaus und hab damals im Rahmen von Starbucks Cafe auch Frau Muarte geholfen, damit das weiter gehen kann, saß im Kesselhaus und da kam dann auch jemand und hat einen heißen Kaffee getrunken. Das fand ich total sympathisch. (lacht)

Kutzner: Wie haben Sie die Situation damals empfunden?

Sanlier: Welche Situation meinen Sie jetzt?

Kutzner: Das Gelände damals.

Sanlier: Ich habe mir nicht so viel Gedanken darüber gemacht. Es war aus der Perspektive von heute einfach anders, weil ich einfach zu jung war. Es war irritierend, weil man so etwas nicht kannte, aber es war auch normal, weil ich immer wieder da war und durch meinen Cousin die Leute ein bisschen kannte, z. B. Uwe Bender. Ich hatte Bilder von ihm zu Hause, die ich auf der Straße gekauft hatte, bevor ich überhaupt wusste, dass er mit den Schlumpern berühmt werden würde.

Schulz: Bender, der Schlumper Künstler.

Sanlier: Genau. Er und mein Cousin waren Freunde. Von daher habe ich das nicht so wahrgenommen, wie ich es heut aus der Retroperspektive wahrnehmen kann. Es war für mich in der Zeit damals normal.

Schulz: Noch mal zurück zu ESA Catering St. Pauli GmbH. Wie hat diese sich weiterentwickelt? Es gab dann eine Namensänderung. Mögen Sie das noch berichten und erzählen? Ihre Funktion veränderte sich dann auch irgendwann.

Sanlier: Ich wurde am Anfang als Betriebsleiter eingekauft. Ich weiß noch, wie ich die Machbarkeitsstudie von Herrn Lühr in die Hand bekam: Schauen Sie sich das mal zwei Tage an und melden Sie zurück, was Sie als Fachmann aus diesem Bereich dazu zu sagen haben. Meine Rückmeldung hat ihm nicht gefallen – zu Anfang war es, wie gesagt, sehr schwer. Wir hatten kein Licht, wir hatten nicht die richtigen Menschen, wir hatten die behördliche Auflage, Menschen mit Beeinträchtigungen, mit besonderen Beeinträchtigungen, die nicht am ersten Arbeitsmarkt tätig sein konnten und über 55 Jahre alt waren – das war eigentlich die Hauptbeeinträchtigung – in der Zielgruppe anzustellen. Das war fast gar nicht möglich, weil sich immer wieder zeigte, dass Menschen in dem Alter und den starken Beeinträchtigungen nicht in der Lage waren, diese schwere Arbeit zu machen.

Das zeigte sich in den ersten zwei Jahren. Dann haben wir noch mal mit der Sozialbehörde gesprochen und im Grunde genommen versucht, das aufzulösen oder besser gesagt aufzuweichen, indem wir in der Zielgruppe andere Altersklassen ansprechen durften. Das wurde erlaubt, weil sie sahen, dass es dem ersten Plan nach in der Realität nicht funktionierte.

Dann haben wir weitergemacht und jüngere Menschen eingestellt. Im Grunde war das alles ein stetiger Prozess. Wir sind meines Erachtens die letzten 17 oder 18 Jahre immer wieder vom Erfolg überrannt worden. Es ist total anstrengend, diesen Betrieb zu leiten und zu managen, aber immer wieder schön, weil er so gut nachgefragt wird und weil er einfach zum Ersten Arbeitsmarkt passt. Das ist schön! Die Leistung wird von den Kunden abgenommen.

Kutzner: Könnte bei euch jeder essen gehen?

Sanlier: Ja, das ist für die Öffentlichkeit zugänglich. Das große Problem war damals, dass ds Haus eine 1 C-Lage hat und nicht für jeden sofort ersichtlich ist. Wir sind nicht genau auf der Reeperbahn, sondern in diesem ehemaligen Krankenhaus, dass ein bisschen abschüssig von der Reeperbahn liegt. Da gibt es natürlich Konkurrenzbetriebe wie Sand am Meer, gegen die man sich durchsetzen muss, und die Kunden, die kommen und auch damals kamen, sind eher Leute, die dieses prächtige Haus mit der tollen Atmosphäre, mit diesem ruhigen Ort, an dem man sich gut zurückziehen kann, entdeckt haben und dann Stammkunden wurden.

Da kann aber jeder hinkommen. Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis es über die Evangelische Stiftung Alsterdorf, über alsterarbeit, über Mundpropaganda, über Multiplikatoren, dazu kam, dass sich Leute einfanden, die nicht in der unmittelbaren Umgebung als Kunde arbeiteten.

Schulz: Mögen Sie etwas sagen zu der Umfirmierung von ESA Catering St. Pauli gGmbH zu Haus5 gGmH?

Sanlier: Das war 2008 – so lange ist das schon her –, dass ESA Catering, die zuerst eine normale GmbH war, in eine gemeinnützige gGmbH umgewandelt und dann noch mal in Haus5 umfirmiert wurde. ESA Catering hieß Evangelische Stiftung Alsterdorf Catering, ganz einfach. Haus5 wurde es danach, weil sich die Räumlichkeiten in dem Haus5 befinden, das vorher schon das Haus5 im Krankenhaus war. Das war der Name, der gewählt wurde. Ich persönlich fand ihn nicht so passend und auch heute nicht besonders zielführend. Aber der Name hat sich jetzt im Zuge des Dachmarkenlogos, das dann irgendwann kreiert wurde, dahinentwickelt, dass es selbst tatsächlich eine Marke ist.

Am Anfang war es schwer. Jeder sagte: Warum Haus5? Ja, weil die Pathologie darin war? Nein! (lacht)

Kutzner: Was ist der Unterschied zum Kesselhaus?

Sanlier: Der Unterschied zum Kesselhaus ist: Bevor das Kesselhaus zu alsterarbeit überging, war das Kesselhaus eine ganz normale gewerbliche GmbH. Da war der Unterschied, dass das Haus5 eine gemeinnützige und nicht gewinnorientierte GmbH darstellte und auch jetzt noch ist. Nach dem Übergang des Kesselhauses zu alsterarbeit gehört das Kesselhaus jetzt mit zum Eingliederungshilfeträger und zum Beschäftigungsträger alsterarbeit. Insofern hat es auch den gemeinnützigen Status und kann noch mal anders agieren. Der Unterschied ist, dass das Haus5 zwar auch gemeinnützig ist, sich aber anders refinanziert. Die Refinanzierung des Hauses5 läuft zu 80 Prozent über originäre Umsatzerlöse, d. h. dass das, was der Kunde am Markt über unsere Dienstleistung einkauft, verwendet werden muss, um letztendlich eine schwarze Null schreiben zu können. Das ist insofern beim Kesselhaus anders, als dass die sich mit Kostensatz-Erlösen aus der Eingliederungshilfe refinanzieren.

Schulz: Mögen Sie noch etwas sagen zum Stichwort Integrationsbetrieb?

Sanlier: Sie meinen, was das ist?

Schulz: Ja.

Sanlier: Damals gab es auch einen Wortwechsel zum Thema Integrationsbetrieb. Heute sind es Inklusionsbetriebe, das heißt Betriebe, die ab 30 Prozent der Mitarbeiter*innen Menschen mit Schwerbehinderung auf sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen des Ersten Arbeitsmarktes beschäftigen müssen, um anerkannte Inklusionsunternehmen zu sein. Der Begriff „anerkannt“ meint, dass es dauerhafte Lohnförderungen durch die Sozialbehörde aus der Ausgleichsabgabe und nicht aus dem Eingliederungshilfetopf gibt. Der erstere ist der Topf, der durch Unternehmen gefüllt wird, die nicht genügend Menschen mit Schwerbehinderung in ihrem Unternehmen beschäftigen. Ab 20 Mitarbeitenden im Betrieb muss man fünf Prozent Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen. Viele normale Arbeitgeber weigern sich, weil sie das für schwierig halten. Von daher sind anerkannte Inklusionsunternehmen solche, die mindestens 30 Prozent Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen und die dann dauerhafte Lohnförderung bekommen. Dabei handelt es sich um Nachteilsausgleiche für die Behinderungen, die die Menschen haben.

Kutzner: Können bei euch auch Menschen ohne Behinderung arbeiten?

Sanlier: Ja. Das ist im Laufe der Jahre ein toller Mix geworden. Damals hätte ich nicht gedacht, dass es so klappen könnte. Heute klappt es wirklich gut. Es ist ein guter Mix von Maßnahmenformen. Wir haben nicht nur Menschen, die einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsvertrag im Ersten Arbeitsmarkt haben und schwerbehindert sind, sondern auch ausgelagerte Einzelarbeitsplätze aus der Werkstatt, Hamburger Budget-Plätze, als Menschen mit Behinderung, die aus der Werkstatt kommen, dann auf dem Ersten Arbeitsmarkt arbeiten, die aber ein Rückkehrrecht in die Werkstatt haben. Darüber hinaus gibt es noch andere arbeitsmarktpolitische Instrumente, die dann in Maßnahmenformen abgebildet werden wie 16e, 16i, also die ganze Palette hoch und runter. Auf diese Weise gehen fünf oder sechs Maßnahmenformen im Unternehmen Hand in Hand und für den Menschen, der von außen kommt und seine Dienstleistung einkauft, sei es ein Essen, sei es eine Garten- oder Landwirtschaftsbauleistung, oder eine Gebäudereinigungsleistung, ist nicht erkennbar, was oder wer zu welcher Maßnahme gehört.

Es ist sehr inklusiv! Das ist total spannend! Wir haben irgendwann einmal inhouse-Fortbildungen angefangen, um vorzustellen, was Inklusionsunternehmen für neue Mitarbeitende bedeuten und nehmen in die Fortbildung alle Kollegen mit, damit wir im Organigramm alle einzelnen, nein umgekehrt, damit wir das würdigen gegenüber Fachverständigen, vernünftig ausführen können, haben wir verschiedene Farben gewählt und so wird in der Fortbildung dann auch mit verschiedenen (unverständlich) Farben gearbeitet und es wird gefragt – da steht dann eine Name drauf, der ist gelb ist eine Zielgruppen, blau ist eine Regiekraft und orange ist jetzt ein/e Werkstattmitarbeiter*in im Werkstattbereich, hellblau ist jemand, der im Berufsbildungsbereich arbeitet – und die neuen Kollegen sind dann bis vier Monate da, kriegen diese Farbkarten mit den Namen drauf und sollen die dann zuordnen. Es ist total spannend zu sehen, wo manche Werkstattkraft zugeordnet wird. Es ist einfach toll, dieses Inklusive zu sehen!

Kutzner: Was für Speisen werden bei Euch angeboten?

Sanlier: Alles das, was wir denken oder was die Erfahrungswerte uns sagen. Das ist gut bürgerliches Essen. Die Menschen, die in den umliegenden Firmen – da sind viel IT-Firmen, Werbefirmen – arbeiten, sind in der Regel jüngere Leute, die wollen so essen, wie sie es vom elterlichen Zuhause kennen und sind froh, dass sie in eines unserer Restaurants gehen können. Davon gibt es tatsächlich jetzt schon drei Stück und mit der Kantine im Spektrum haben wir jetzt schon vier. Krass, wie das auch gewachsen ist!

Kutzner: Wurden früher andere Speisen angeboten?

Sanlier: Am Anfang hatten wir noch keinen genauen Plan und wussten nicht, wer als Kunde zu uns kommen würde. Erst einmal habe ich die Sachen mitgenommen, die ich aus meiner Erfahrung in meinem Unternehmen auf St. Pauli gut verkaufen konnte. Das waren Tapas, das waren ankreuzbare Frühstücke, also selbst individuell zusammenstellbare Frühstücke. Das hat sich dann im Laufe der Zeit ein bisschen gewandelt, weil wir mitbekamen, dass Frühstück nicht wirklich nachgefragt wurde. Wir versuchten eine Zeitlang, an diesem Standort auch mal in den Abend hin geöffnet zu bleiben, von morgens um 8.00 Uhr bis abends um 22.00 Uhr, konnten aber auch dann in der Nachmittagszeit bzw. in der Abendzeit keine Essen absetzen, weil das Mietobjekt zu versteckt lag.

Schulz: Mögen Sie noch erzählen, wie Sie die letzten 20 Jahre aus der Perspektive eines Inklusionsunternehmens in der Stiftung erlebt haben?

Sanlier: Geht diese Frage noch ein bisschen konkreter?

Schulz: Das Inklusionsunternehmen, vorher Integrationsunternehmen, befindet sich auf St. Pauli, ist also räumlich weit entfernt von der Stiftung. Was haben Sie mitbekommen von dem, was sich in den 20 Jahren davor in der Stiftung entwickelt hat, Stichwort Alsterdorfer Markt, Stichwort Entwicklung der Eingliederungshilfe, Stichwort Inklusionsorientierung? Auch die Begrifflichkeit, zunächst Integrationsbetrieb dann Inklusionsbetrieb, hat sich verändert. Wie haben Sie wahrgenommen, was auf der fachlich-konzeptionellen Seite gelaufen ist?

Sanlier: Es ist tatsächlich so, dass wir glücklicherweise weit weg von der Stiftung waren. So konnten wir viele Dinge so ausprobieren, die sich letztendlich als richtig herausstellten. Es wäre fatal gewesen, wenn wir diese Dinge nicht ausprobiert hätten, weil es nicht dazu geführt hätte, dass es so inklusiv wäre, wie es heute läuft. Wir haben zum Beispiel gegebene gesetzliche Grenzen so weit ausgereizt, wie es irgendwie möglich war. Wenn ich nur daran denke, dass wir dann – mit Ihrem Zutun vor allen Dingen auch – viele ausgelagerte Einzelarbeitsplätze aus der Werkstatt geschaffen haben! Dies ist im Inklusionsunternehmen eigentlich nicht erlaubt, wird aber in Hamburg geduldet, in anderen Bundesländern eher weniger. Dort gehen die Landesregierungen und Sozialämter viel aggressiver gegen solche Modelle vor. Das führte aber bei uns dazu, dass auch Menschen aus dem Kreis der Werkstattbeschäftigten auf Zielgruppenplätze bzw. auch auf den Ersten Markt gewechselt sind.

Diesbezüglich fand ich die Entfernung zur Stiftung gar nicht so schlecht, auch deshalb, weil viele Dinge in so einem normalen Erster-Markt-Unternehmen anders gehandhabt werden müssen. In den letzten Jahren sind wir immer näher an die Stiftung herangerückt. Das ist langsam möglich, weil wir größer geworden sind. Damals mit der kleineren Größe des Unternehmens wäre das gar nicht möglich gewesen, weil die Anforderungen, die der Rahmen ESA stellt, im Grunde genommen nicht oder nur mit massiven Mehrkosten einzuhalten gewesen wären.

Schulz: Wie haben sich die beiden Gewerke Reinigung und Grünbereich entwickelt? Das sind ja neuere Entwicklungen im Inklusionsbetrieb.

Sanlier: Mit dem Bereich Reinigung haben wir 2009 angefangen. Da war die Geschichte, die Herleitung auch ganz Klasse! Als Pastor Baumbach noch Vorstand war und auf dem Weg von Zentralisierung zur Dezentralisierung diese Vorhaben geplant wurden, gab es die Ansage, dass man sich innerhalb der Stiftungsgesellschaften keine Konkurrenz machen dürfte. Ich weiß noch, dass ich immer mit Herrn Haas [damals Vorstandsvorsitzender der Stiftung] gesprochen habe und ihm sagte: Wir brauchen irgendwas, damit wir auch Gebäudereinigung anbieten können, weil das der nächste Weg ist, um weitere Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigung im Ersten Arbeitsmarkt zu schaffen! Er sagte dann, dass er das genauso sähe. Daraufhin ist in den Unternehmenskonferenzen, die wir immer hatten, dieses kollegiale Miteinander entstanden. Da saßen immer Geschäftsführungen auch aus den anderen Bereichen zusammen, die z. B. sagten: Wenn Ihr Reinigung macht, dann würden wir von ASC, einer großen gewerblichen Reinigungsfirma der Stiftung, zu euch übergehen und im Haus5 organisieren können. Das läuft seitdem stetig und ist gut gewachsen. Wir haben jetzt 20 Mitarbeiter*innen im Gebäudereinigungsbereich.

Der Grünbereich mit Gründung im letzten Jahr hat zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, zu Beginn der Pandemie angefangen. Daher war es gut, dass alle möglichen Förderungen hereingeholt werden konnten, über Aktion Mensch, über ein großes Fundraisingprojekt der Evangelischen Stiftung Alsterdorf und der Stadt Hamburg natürlich, die aber an diesem Part den kleinsten Förderanteil hatte. So können wir dieses Projekt fünf Jahre risikogemindert probieren und ausgründen, um nach fünf Jahren dann im Gesamtkonstrukt Haus5 einen Betrieb zu haben, der hoffentlich läuft. Aktuell läuft er schon planmäßig, aber natürlich risikogemindert. Die Entwicklung ist also durchweg positiv, wenn auch schwer.

Kutzner: Wie stehen Sie mittlerweile zur Evangelischen Stiftung Alsterdorf?

Sanlier: Ich bin immer noch ganz froh, ein bisschen weiter weg zu sein. [lacht herzhaft] Manchmal ist mir das doch alles zu bürokratisch! Das, was ich damals nicht verstand und auch heute noch nicht verstehe, ist, dass die innerbetrieblich eingekauften Leistungen häufig teurer sind als auf dem Markt. Ich denke, dass das schon immer eine Fehlentwicklung war, das hängt mit den Tarifen zusammen, aber trotzdem ist es keine gute Sache. Ich kann das kurz an einem Beispiel illustrieren. Ich habe, als ich aus der Selbständigkeit kam, meinen damaligen Steuerberater mal gebeten, zu prüfen, was es kosten würde, wenn er die ganzen Angelegenheiten bei uns macht und dagegen die Kosten, die wir in der Stiftung, also innerbetrieblich, zahlen müssen. Die waren natürlich deutlich höher. Das hängt mit den Tarifen zusammen, die dort gezahlt werden. Wir zahlen nicht den KTD, wir zahlen die gewerbsüblichen Tarife und das ist noch mal ein deutlicher Unterschied. Das ist natürlich ein Spannungsfeld, das die Mitarbeitenden in dem größer werdenden Unternehmen die ganzen Jahre schon mitbekommen. Sie sehen das am Kesselhaus z.B. Ein Koch im Kesselhaus verdient ungefähr 800,-Euro Brutto mehr als ein Koch, der häufig sehr viel stärker beansprucht wird, will ich mal vorsichtig sagen, und der in Haus5 arbeitet. Gleiche Tätigkeit, aber anderes Gehaltsgefüge.

Kutzner: Wenn Sie sich heute noch einmal entscheiden müssten mit Ihrem Fachwissen, würden Sie dann wieder dort [im ESA Catering] anfangen?

Sanlier: Das ist eine gute Frage. Das weiß ich nicht genau. Es bringt Spaß, aber es ist sehr anstrengend!

Schulz: Wenn Sie mal in die Zukunft schauen, wo steht die Haus5 Service gGbmH 2031?

Sanlier: Ich hoffe, dass es Gesetzesänderungen geben wird, dass das öffentliche Vergaberecht reformiert wird, dass es Vorschriften geben wird, so dass man gemäß den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die schon da sind, Werkstatt und Inklusionsunternehmen mit öffentlichen Aufträgen bevorzugt beauftragen kann. Wenn diese Dinge passieren, dann sehe ich einen sehr positiven Weg, weil wir als Unternehmen des Ersten Marktes wachsen können, und auch so wachsen können wie der Markt. Wenn es weiterhin so bleibt, dass die Rahmenbedingungen des normalen Marktwachstums nicht für uns gelten, wir aber per se ein Marktunternehmen oder Teilnehmer sind, dann, glaube ich, wird es relativ schwer werden.

Meine Vorstellung von Lösung ist die, dass der Gesamtverbund der Stiftung Alsterdorf sich mehr Gedanken macht darüber, welche Leistungen er an so eine innerbetriebliche Servicegesellschaft wie Haus5 auslagern kann, um damit die Arbeitsplätze auf Dauer zu sichern ebenso wie das Konstrukt, das gut ist. Ich glaube, dass passt in der Kaskade von Qualifizierung zur Ausbildung auf jeden Fall zur Stiftung und auch zu alsterarbeit. Um das vernünftig auf die Reihe zu bekommen und zukunftsträchtig aufzustellen, braucht es diese Möglichkeiten.

Ich glaube, dass es das Unternehmen in 2031 noch gibt, allerdings in veränderter Form.

Schulz: Welche Rolle wird der Werkstattbereich in den nächsten 10 Jahren spielen? Wie wird sich das weiterentwickeln in der Kombination auch mit ausgelagerten Arbeitsplätzen in Inklusionsbetrieb? Wie schätzen Sie das ein?

Sanlier: Ich glaube, dass der Werkstattbereich immer bleiben wird, weil es immer Menschen geben wird, die so stark beeinträchtigt sind, dass sie eine ganz besondere Form von Betreuung in Arbeit brauchen. Oder es könnte sein, wenn man andere europäische Länder mit hinzunimmt und guckt, wie die das aufbereiten, dass man die Fördersätze anders aufbereitet, so dass dadurch eine Auflösung der Werkstätten passieren könnte. Aber das sehe ich so nicht. Das dauert, wenn überhaupt, noch sehr viel länger als 10 Jahre. Ich glaube aber auch, dass die Werkstatt in Summe an Plätzen einbüßen wird. Wenn TTIP kommen sollte, das ist ja zurückgestellt worden, dann würde es so sein, dass private Anbieter auf dem Markt, den Markt mit aufreiben würden.

Schulz: Was meinen Sie mit TTIP?

Sanlier: Das Abkommen, das zwischen Amerika und Europa geschlossen werden soll und vorsieht, solche Dinge wie Gesundheitsdienstleistungen nicht über den Staat oder staatsnahe Unternehmen wie Stiftungen zu organisieren, sondern – Stichwort Asklepios – rein privatwirtschaftlich. Der Mann, dem das gehört, verdient, glaube ich, 330 Mio. pro Jahr und wir haben keine bessere Gesundheitsversorgung dadurch.

Schulz: Die Zeit ist vorbei. Gibt es noch eine Abschlussfrage, Herr Kutzner?

Kutzner: Die gibt es jetzt nicht.

Schulz: Dann bedanken wir uns herzlich bei Herrn Sanlier. Alles Gute!

Kutzner: Vielen Dank!

Sanlier: Vielen Dank!