10 / 1992 – Interview mit Ille Benkmann und Horst Rudolph

Teilnehmende

Ille Benkmann

Horst Rudolph

Monika Bödewadt

Reinhard Schulz

Evelin Klemenz

Transkription

Bödewadt: Ich begrüße Sie zur Diskussion. Mein Name ist Monika Bödewadt, wenn Sie sich bitte einmal vorstellen mögen.

Rudolph: Ja, vielleicht gebe ich das erst mal weiter.

Benkmann: Gut, also ich bin Ille Benkmann. Ich bin sowohl Mutter als auch 40 Jahre ehrenamtlich tätig gewesen im Stiftungsrat und im Elternbeirat. Jetzt mache ich eigentlich gar nichts mehr, sondern habe aus Altersgründen meine Betreuung abgegeben.

Rudolph: Mein Name ist Horst Rudolph. Ich bin gesetzlicher Betreuer meines Bruders. Vorher haben das meine Eltern gemacht, die haben diese Aufgabe in den 1990er-Jahren auf mich übertragen. Und im Zuge dessen, also der Arbeit, für meinen Bruder zu sorgen, habe ich 1996, glaube ich, Angehörige gefragt, ob sie zusammenarbeiten wollten, und seitdem gibt es die alsterdorfer betreuer*innen initiative. Die habe ich mitinitiiert und die gibt es heute noch.

Klemenz: Mein Name ist Evelin Klemenz. Ich bin seit 1997 in der Stiftung und arbeite jetzt mit im Projekt Dokumentation der Eingliederungshilfe in den letzten 40 Jahren und freue mich, dass ich dabei sein kann.

Schulz: Mein Name ist Reinhard Schulz. Ich betreue das Projekt Vierzig Jahre Eingliederungshilfeentwicklung in der Stiftung Alsterdorf und freue mich ebenfalls, dass wir heute Zeitzeugen hierhaben, mit denen wir über diese Zeit sprechen können.

Klemenz: Sie haben Ihr Kind und Sie haben Ihren Bruder hier in Alsterdorf. Wie kam es dazu, dass Ihre Eltern bzw. Sie den Entschluss gefasst haben, aufgrund welcher Entscheidung?

Benkmann: Also ich würde sagen, bei mir war das so, dass ich 1967 wusste, dass mein Sohn [Thomas] geistig behindert ist. Das hatte man in Eppendorf festgestellt. Und dann war das im Grunde genommen so, dass ich mehrere Institutionen angeschrieben hatte, um Vorsorge zu treffen: Was wird mit meinem Sohn, wenn der älter wird? Und da war Alsterdorf die einzige Institution, die positiv geantwortet hatte. Und dann wusste ich: Also, da ist ein Rettungsanker! Und Thomas war dort auch erst als Hilfskraft – sagen Sie mal schnell – in der Gartenarbeit und hatte dann aber festgestellt, dass da irgendwas schieflief. Und dann hat er Essen und Trinken abgesetzt, ist über die Karre gefallen und dann bin ich natürlich sofort hinbeordert worden und dann lief das seinen ganz normalen Gang, nämlich: Frau Dr. Preussner-Uhde sagte: Also, Thomas kann nicht wieder nach Hause! Er bleibt hier! Und von dem Punkt an, das war 1978 im Oktober, ist Thomas jetzt hier. Also, insofern war das, ich sag mal, festgelegt und ich war dankbar und froh, dass es so war, das muss ich ganz ehrlich sagen! Er hat dann erst in der Aufnahme gelegen, aber dann ist er nach Heinrichshöh gekommen [Name eines Gebäudes auf dem Alsterdorfer Gelände], das wurde ja nachher aufgelöst, dann kam er in das Haus Wartburg, das wurde auch aufgelöst. Danach ist er mit Herrn Heinecker zum Schlump gegangen und die haben sich entschieden, in die Bornheide nach Lurup zu gehen, und seit 1990 ist er in Bornheide/Lurup.

Rudolph: Ja, bei mir ist es ein bisschen eine traurigere Geschichte, so wie mein Bruder hierher in die Betreuung gekommen ist. Er ist, glaube ich, auch 1967, oder nein, 1969 ins Michelfelder Kinderheim gekommen. Das ergab sich daraus, dass die Familiensituation, vor allem die psychische Situation meiner Mutter sich sehr verschlechtert hatte und die Eltern entschieden hatten, dass sie mit Holger so nicht zurechtkamen. Also mein Vater – wir mussten zunächst ausziehen, weil mein Bruder in der Dreizimmerwohnung immer so viel gebrüllt hat – hatte sich dann entschieden, ein Haus zu bauen, und da gab es Sorgen geldlicher Art und Holger konnte auch nicht ordentlich betreut werden – zu dem Zeitpunkt gab es in Hamburg noch gar keine Kindergärten und auch keine Schule. Ich weiß, dass ich zwei Jahre lang meinen Bruder nach der Schule immer in Veddel abholen musste, weil dort der einzige Kindergarten war und dann – mein Vater hatte ihn morgens dorthin gebracht, ich weiß nicht, ob das jetzt die ganze Woche war oder nur zwei Tage – war es jedenfalls ziemlich anstrengend für mich, auch als Gymnasiast. Und ich war eigentlich damals ganz froh, dass die Eltern sich so entschieden hatten, dass er dann ins Michelfelder Kinderheim kam. Die Eltern hat das sehr belastet, insbesondere die Entscheidung der dort tätigen Mitarbeiter, dass Holger nicht besucht werden durfte. Und ich habe nur am Rande mitbekommen, dass er dort auch angebunden im Bett gelegen hatte mitten am Tag, als wir ihn betreut haben. Und aus den Akten, durch die Aktenlage ist dann auch herausgekommen, dass er mit zu den Opfern gehört, die in Alsterdorf schlecht behandelt worden waren. Holger, also mein Bruder, konnte zu dem Zeitpunkt noch singen und reden. Er hat sich dann entschlossen, dies nicht mehr zu tun. Das war ein Ergebnis, ein Prozess von etwa einem halben Jahr, dreiviertel Jahr. Jedenfalls tut er das heute noch nicht, ist auch nicht in der Lage, auf irgendwas verbal zu reagieren, also wenn er heute reagiert, guckt er einen länger an und er muss ständig beaufsichtigt werden. Er hat einen Unterbringungsbeschluss, ist auch nach wie vor jemand, der nicht von alleine auf Toilette gehen kann, also der eine Rundumbetreuung braucht. Er ist nach dem Michelfelder Kinderheim dann ins Wilfried-Borck-Haus umgezogen. Das war wohl auch eine sehr positive Tatsache für ihn, für seine Entwicklung und hat dann 2001, glaube ich, die Chance gehabt, in den Edwin-Scharff-Ring zu ziehen. Und da wohnt er seitdem und da, habe ich den Eindruck, geht es ihm zunehmend besser, darf man so sagen.

Schulz: Sehr schön. Wie war das damals für Sie bei Eintritt in die Stiftung – damals noch die Alsterdorfer Anstalten –, als Sie das zum ersten Mal erlebt haben? Wie ging es Ihnen damit? Haben sich von dort Bilder eingebrannt?

Benkmann: Nein.

Schulz: Erinnerungen eingebrannt?

Benkmann: Also, bei mir ging das ja ruckzuck.

Schulz: Okay.

Benkmann: Insofern, als dass Thomas umgefallen war und ich ja hinmusste. Und dann hat sich das ganz, ganz schnell ergeben. Ich hatte gar keine Chance, darüber nachzudenken.

Rudolph: Ja, bei mir war das so, dass ich mich an eben dieses Michelfelder Kinderheim als Schüler sehr genau erinnere. Also ich erinnere mich so an den typischen Bohnerwachsgeruch in den großen Fluren, die dort waren, und eben auch, das kann ich sagen, an die Atmosphäre eines Krankenhauses, eine Krankenhaus-Atmosphäre. Das war bedrückend, bedrückend auch, wie man mit meinen Eltern und mir umgegangen ist! Das war schon besonders, muss ich sagen. Das hat sich eigentlich erst verändert, als Holger in das Wilfried-Borck-Haus umgezogen ist.

Schulz: Das war in welchem Jahr?

Rudolph: Ich glaube, 1976.

Schulz: Okay.

Rudolph: Also, so lange war er auch im Michelfelder Kinderheim und da habe ich eigentlich dann wenig Kontakte gehabt. Meine Eltern waren da immer abwechselnd zu den Besuchszeiten zugelassen und redeten eigentlich in dieser Zeit, erinnere ich mich, wenig drüber. Es war wohl, wie ich heute annehme, eine sehr belastende Zeit für beide. Und ich weiß nur, dass mein Bruder, mein jüngster Bruder – wir sind fünf Geschwister, nach Holger kam noch ein Nachzügler –, dass mein Bruder heute noch psychisch an dieser Entscheidung leidet, also über Depressionen klagt und Schwierigkeiten hat, mit dieser Entscheidung zurechtzukommen.

Klemenz: Standen Sie eigentlich als Angehörige untereinander in Kontakt, haben Sie sich so erzählen können, was da passierte?

Benkmann: Also nach meiner Scheidung 1960 bin ich zu meiner Mutter gezogen, mit meinem Sohn zusammen, und insofern war das der tägliche Ablauf. Ich musste ja arbeiten, damit wir was zum Essen hatten, und insofern war das ganz einfach, ich würde sagen: Reiß dich zusammen und dann mach mal! Das war so das Übliche damals. Also ich kann mich nicht daran erinnern, dass da groß geredet wurde, bis dann Thomas im Kindergarten war – da konnte er noch alleine in den Kindergarten gehen – und das war eine ziemliche Strecke –, und von da aus ist er dann in die Volksschule Alsterdorfer Straße gekommen – wir haben in Winterhude gewohnt –, und das hat er auch alleine gemacht, bis er dann eingeschult werden sollte, und das war in die Schule Kümmellstraße. Und dem Lehrer ist dann nach gut zwei Jahren aufgefallen, dass Thomas seinem sozialen Umfeld entsprechend nicht richtig reagierte. Und dann sind wir von da aus nach Eppendorf gegangen zu Frau Doktor – ich weiß gar nicht, Schön…, ich meine, Schönborn hieß die – aber egal, das war die Nachfolgerin von einem sehr guten Psychologen, und die empfahl uns dann, dass Thomas jetzt nicht wieder nach Hause gehen sollte, sondern im Grunde genommen dann bitte schön in eine Einrichtung gehen sollte. Und da hatte ich ja schon die Zusage von Alsterdorf. Das Einzige – jetzt, wo Sie fragen danach, würde ich sagen: Die Aufnahme selbst, das war ja kein Problem, aber die Unterbringung in Heinrichshöh mit – Thomas ist 1,82 Meter – einem Bett, das war nur 1,75 Meter, das heißt mit anderen Worten: Er konnte sich nie ausstrecken! Also das war schon ganz schlimm, bis Haus Heinrichshöh aufgelöst wurde und er dann übersiedelte nach Haus Wartburg. Und vor allen Dingen war es ja vorher so, da kamen ja die Grünen und die haben ja gesagt: So nicht! Und da wurden dann schon aus zehn Betten in dem Raum fünf. Und das reduzierte sich und dann wurden die Betten natürlich auch länger.

Schulz: Wer waren Die Grünen?

Benkmann: Ich sag jetzt einfach mal, die Partei, die Grünen!

Schulz: Okay.

Benkmann: Ja, die haben dafür gesorgt.

Schulz: Okay, okay, die Grüne Partei.

Benkmann: Oh ja, die haben auch beim Carl-Koops-Haus dafür gesorgt. Also das war im Grunde genommen eine andere Strömung, würde ich sagen. 1978 habe ich im Elternbeirat angefangen, musste ich, weil damals die Behörde gesagt hat: Also, wir müssen so was haben! Ja, und dann war ich später im Stiftungsrat. Aber die Grünen, würde ich sagen, haben die Lockerung gemacht und dafür gesorgt, dass es erweitert und lockerer wurde.

Schulz: Wie war es bei Ihnen, Herr Rudolph?

Rudolph: Holger ist ja sehr lange in diesem Kinderheim gewesen. Diesen Umzug ins Wilfried-Borck-Haus habe ich eigentlich nicht verfolgt, da war meine Mutter noch Vormund und hat dafür gesorgt. Und im Wilfried-Borck-Haus waren die Verhältnisse ja eben sehr lange sehr stabil. Ich glaube, die waren neun Leute dort in der Wohngruppe in dem Wilfried-Borck-Haus. Aber das war eben 1976 und die Zeit davor, gut, weiß ich nicht, ob ich das jetzt hier ausbreiten kann oder soll. Ich erinnere mich nur so, dass da eben ein Wachsaal war, wo 30 bis 40 Betten drin waren und, so habe ich das als Bild noch in Erinnerung, personell war das wohl so, dass es eine Nachtwache für diese Leute gab, und umgekehrt waren am Tag eben auch irgendwie ein oder zwei Leute da, die das alles versorgten. Das ist meine Erinnerung, genauer weiß ich das aber nicht, ich will da jetzt nichts Falsches erzählen. Das war dann im Wilfried-Borck-Haus 1976 anders.

Klemenz: Ich meine, dass ein Heimbeirat sozusagen per Gesetz verordnet wurde, ist eine Sache, die andere Sache ist: Wie sehen die tatsächlichen Mitspracherechte und Mitgestaltungsrechte aus? War das eine Erleichterung für die Eltern, als es endlich kam …

Benkmann: Ja, ja.

Klemenz: … sodass die sagten Oh, toll! und dann sind die gekommen und haben ihre Anliegen formuliert?

Benkmann: Toll, würde ich sagen, nicht! Toll, nicht! Es war ja im Grunde genommen so, dass wir gefragt wurden, dass wir auch ein Bestimmungsrecht hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es das ja nicht.

Klemenz: Also Sie konnten überhaupt nichts mitbestimmen, also Besuchsregelung et cetera.

Benkmann: Ich bin da 1978 hingekommen und musste dann gleich in den Elternbeirat. Das war eine Zusammensetzung, die einfach sein musste, denn die Alsterdorfer hatten die Auflage von der Behörde gekriegt.

Schulz: Aber Sie waren auch motiviert, da mitzumachen?

Benkmann: Ja, in der Kümmellstraße war ich schon im Elternrat, im Kreiselternrat und in der Elternkammer gewesen, also ich hatte schon so eine kleine Laufbahn hinter mir, bevor ich da anfing, und das wussten die natürlich auch. Und so ist das dann gelaufen.

Klemenz: Also haben Sie dann …, ja?

Rudolph: Also, ich weiß nur, dass meine Eltern sich da nicht in irgendeiner Weise engagierten. Das lag meinen Eltern in keiner Weise nahe. Ich weiß nur, dass, als meine Mutter eben Anfang der 90er-Jahre mir diese Aufgabe übertragen hatte, in diesem Zeitraum, glaube ich, der Elternbeirat endete. Der wurde dann aufgelöst und es gab gar nichts mehr. Also das war ein Zustand zu dem Zeitpunkt, wo dann auch niemand mehr, niemand mehr von den Eltern was sagen konnte! Und das war so ein Anlass, warum ich dann losgegangen bin bei verschiedenen Veranstaltungen, die da in dem Zuge noch stattfanden, und Unterschriften und Adressen gesammelt habe, um Leute zu diesen Treffen der alsterdorfer betreuer*innen initiative einzuladen. Das waren zum Teil dann auch recht gut besuchte Veranstaltungen.

Schulz: Mögen Sie berichten, was so Ihre Aufgaben und Inhalte in dieser betreuer*innen initiative waren? Was haben Sie bewegen können in den Jahren?

Rudolph: Fangen Sie an, Frau Benkmann.

Benkmann: Dann fange ich an. Ich war die Rebellin.

Schulz: Auch das muss es geben.

Benkmann: Das hat’s immer gegeben. Ich habe auch gegen das Carl-Koops-Haus demonstriert! Also eine lange Laufbahn in der Richtung liegt auch hinter mir. Ja, ja, das ist einfach so. Ich habe mich immer eingesetzt, weil ich dachte: Es kann nicht angehen, dass im Grunde mit den Behinderten so umgegangen wird! Das war nicht nach meiner Mütze, wie man so sagt! Und dann habe ich demonstriert, ja, ganz einfach!

Klemenz: Können Sie mal ein paar Beispiele nennen? Wie wurde mit den Behinderten so umgegangen oder was genau haben Sie sich dann so als Ziel gesetzt, nach dem Motto: Das geht so nicht mehr!?

Benkmann: Das ist ein bisschen schwierig, Evelin, denn wir waren nicht vor Ort! Wir haben ja nur unsere Stunden gehabt und das, was an uns herangetragen wurde. Wir hatten zum Beispiel für die Behinderten den Sprecherrat, das waren Behinderte, die im Grunde genommen gar nicht nach Alsterdorf gehörten. Das waren, würde ich sagen, für meine Begriffe wirklich welche, die nicht so privilegiert waren, aber auf der anderen Seite eigentlich auch nicht als geistig behindert angesehen werden konnten. Das war eine Klientel, die nach Alsterdorf gekommen war, weil sie abgeliefert wurden. Die Mütter waren alleine! Und es gab ja keine Betreuung! Also man hat sie da abgegeben und die hatten Schule und was weiß ich, was alles. Aber das war was anderes als die Generation, als mein Sohn kam, mein Sohn ist 1959 geboren. Das war ganz was anderes!

Rudolph: Ja, als ich …

Klemenz: Wie haben Sie das erlebt, genau?

Rudolph: In der Zeit war es so, dass die Tatsache, dass es plötzlich so eine Initiative gab, wie soll ich sagen, es mit der Leitung ein bisschen unangenehm und auch in den Kontakten schwierig war. Und ich glaube, die Tatsache, dass es uns gab, hat in dem Zusammenhang dazu beigetragen, dass an bestimmten Punkten dann doch auch Öffentlichkeit hergestellt werden musste. Gleichzeitig war man aber immer wieder auf Distanz. Ich weiß noch, dass wir irgendwann mal gesagt haben: Also, so wie die personellen Probleme sind auf den Wohngruppen, so wie die Möglichkeit der Beteiligung der Eltern und deren Wissen über die Behandlung ihrer Angehörigen, so wie das gehandhabt wird, haben wir ganz viel Kritik und wollen, dass das ernst genommen wird! Das waren alles Dinge, wo wir immer wieder mit der Leitungsebene und auch mit dem Stiftungsrat konfrontiert waren. Das war nicht gern gesehen und das führte auch dazu, dass wir dann öffentlich in Konfrontation traten. Ich weiß noch, dass wir mal einen offenen Brief geschrieben haben und dass damals – ich komme jetzt auf den Namen nicht mehr – die Leitung gesagt hatte: Ja, dann reden wir gar nicht mehr miteinander! Also, da wurden die Kontakte ganz abgebrochen für eine Zeit lang. Dann gab es einen Wechsel. Ich glaube, danach kam Frau Schulz, die sagte: Wir müssen mal wieder miteinander reden! Und da gab es so ein Auf und Ab, kann ich sagen. Es ist sicherlich auch wichtig zu sehen, dass nach meinem Eindruck die Angehörigen mit ihren Bedenken in keiner Weise berücksichtigt worden sind während der Zeit, in der der Umbruch und der Umbau stattfanden. Also das zu erleben war schon ziemlich enttäuschend! Ich weiß noch, dass wir uns dann in der Zeit in der Angehörigeninitiative darüber unterhalten haben, dass einige von den Behinderten, die dann auf dem Marktplatz weiterhin als ihrem Gelände vor Ort waren und an den Türen von Edeka oder so standen, von Security-Leuten dort weggeschickt worden waren. Und dann haben wir gesagt: Die werden ja richtig vertrieben dort! Da war auf unserer Seite sehr stark der Eindruck, dass es Unverständnis gab, dass Menschen, die jahrzehntelang dort ihr Leben organisiert hatten und auch Gewohnheiten nachgingen, dass man überhaupt kein Verständnis für die entwickelt hatte, sondern halt einfach, wie soll ich sagen, den Umbruch organisiert hatte. Und vielleicht kann man auch zugespitzt sagen: Es war die Absicht da, das zu verändern. Diese Absicht war nicht mit den Angehörigen und den gesetzlichen Betreuern kommuniziert, sondern mitgeteilt! Das heißt also: Wir hatten keine Beteiligung daran! Das hatte sicherlich auch den Hintergrund, dass eben dieser Elternbeirat aufgelöst war. Diese Veränderung war ja auch der Tatsache geschuldet, dass es ganz viel finanzielle Sorgen gab. Da hätte man auch gut zusammenarbeiten können, um die Sorgen aufzugreifen und Veränderung zu gestalten. Aber, wie gesagt, unsere Initiative war da nicht gefragt. Das war eigentlich immer eher eine Konfrontation.

Schulz: Hat sich das irgendwann verbessert, dieses Verhältnis?

Benkmann: Also ich würde sagen, ja, aber ich kann das nicht so unbedingt beurteilen. Ich habe ja in der Bornheide einmal im Monat einen ganzen Tag gearbeitet, die Omi vom Dienst. Und ich habe natürlich im Grunde genommen die Differenzen, die es gab, gleich vor Ort geklärt. In diesem Gremium [der Angehörigeninitiative] war es so üblich, dass man einen Zettel kriegte von Ihnen [zu Herrn Rudolph gewandt], da musste man dann aufschreiben, wann man zuletzt da gewesen war und welche Bedenken man hatte. Und ich habe dann nur diesen Packen von rechts nach links oder von links nach rechts gepackt und wurde dann gefragt: Was machen Sie denn eigentlich? Und da habe ich gesagt: Ich mach das alles vor Ort! Das war für mich ganz klar! Was brauchte ich so einen langen Weg? Und dann habe ich nur noch die ganzen Sachen für Sie ausgewertet über Excel. Und dann wurde das eben ganz anders. Dann hat sich das verändert, wir sind dann ja auch aus dem Wilfried-Borck-Haus ausgezogen. Ich denke, der Bruch war im Grunde eigentlich der von der Vormundschaft zur Betreuung.

Schulz: Zur rechtlichen Betreuung, also die Gesetzesänderung?

Benkmann: Das war die Gesetzesänderung. Und damit war der Elternbeirat auch null und nichtig!

Rudolph: Ja, ich habe das ein bisschen anders in Erinnerung, insoweit, als ich glaube, die Zeit, in der hier Baustelle war und der Markt eingerichtet wurde, war für viele Angehörige damit verbunden, dass sie nicht wussten, wie läuft das hier und mit was müssen wir noch alles rechnen. Und in dieser Zeit gab es eben auch unglaublich viele Beschwerden darüber, wie jetzt die neuen Wohngruppen aussehen würden, wie jetzt die alten Restwohngruppen weiter funktionieren würden, wie das mit Personal wäre, wie die Verhältnisse dort wären, wie viel CareFlex [alsterdorfeigene Zeitarbeitsvermittlungsfirma], also Leute, die als Zeitarbeitsleute in die Wohngruppen kommen sollten, eingearbeitet wären. Da gab es ganz viele Beschwerden. Ständig! Und ich würde mal so sagen, diese Situation hatte sich eigentlich sogar eine Zeit lang dadurch verschärft, dass mit den neuen Wohngruppen da noch der Bruch mit der Ambulantisierung hineinkam. Das ist so 2005 gewesen, glaube ich. Das war die Zeit, wo wir den Bogen [Anmeldebogen für die alsterdorfer betreuer*innen initiative] rumgegeben haben. Die Ambulantisierung führte nämlich zu einer konzeptionellen Änderung, die auch nicht mit den Angehörigen diskutiert wurde, sondern wo, nach meinem Eindruck, die Stiftung, ich würde heute sagen, eine Chance vertan hat, eine Chance insoweit, als dass man hätte an der Stelle konzeptionell anders reagieren können. Damals war es so, dass die Leute, die in der Werkstatt arbeiten konnten, die eventuell auch die Möglichkeit hatten – und das auch wahrgenommen haben –, durch Ambulantisierung in einem eigenen Wohnraum zu leben, dass die aus den Wohngruppen auszogen. Die hatten aber Jobs in den Wohngruppen! Die hatten nämlich die Aufgabe, Abendbrot zu bereiten, Betten zu machen, die saßen manchmal bei kranken Bewohnern und haben die gestreichelt oder so. Die waren halt ganz einfach da und hatten ein ganz anderes Verständnis für die Bewohner als die Angestellten. Da gab es eine Arbeitsteilung. Und was ich mit Konzept meine, ist: Es wäre natürlich aus heutiger Sicht total interessant gewesen, diesen Menschen dann auch dafür einen Arbeitsvertrag zu geben und sie in der Weise zu beschäftigen. So. Und heute wird ja über Mindestlohn in den Werkstätten nachgedacht. Also, da ist effektiv in meinen Augen etwas geschehen, ein Bruch geschehen, der auch zum Nachteil derjenigen war, die dann als Rest dablieben. Diese Zuwendung, dieses Verständnis konnte unter den Angestellten gar nicht wieder organisiert werden. Und das hat sich eigentlich erst so, was sag ich, in den letzten zehn Jahren anders entwickelt.

Schulz: Okay, genau. Ja, die Zeit ist fortgeschritten. Wir müssen sehen, dass wir noch eine, maximal zwei Fragen stellen.

Klemenz: Ja, ich hätte noch eine Frage: Es braucht ja viele Impulse, um Veränderungsprozesse in Gang zu setzen zum Guten hin. Wie würden Sie sich selbst in Ihrer Funktion als Eltern, Vormund, als Betreuer in Ihrer Stärke als Impulsgeber sehen, wenn Sie Ihre eigene Stärke als Impulsgeber bewerten müssten auf der Skala von eins bis zehn?

Benkmann: Da bin ich gleich raus! Also das bin ich gar nicht! Ich habe im Grunde genommen dafür gesorgt, dass alles gut lief. In der Wohngruppe mit den Behinderten und dass das auch gut lief. Und dazu gehört keine Vorreiterstellung! Da passt man sich nicht an, sondern man bildet ein Team. So habe ich mich immer gesehen, grundsätzlich.

Klemenz: Und, was würden Sie sagen, waren Sie ein starkes Team?

Benkmann: Ich würde Ja sagen, das existiert immer noch. Wir haben ständig Kontakt und das läuft ganz prima, obgleich ich gar nichts zu sagen habe.

Klemenz: Okay. Danke.

Rudolph: Ja, ich bin ganz dankbar für die Frage. Also, aktuell arbeite ich für die alsterdorfer betreuer*innen initiative in einem Arbeitskreis, der sich mit der Frage beschäftigt, wie man eine Gruppe, eine Möglichkeit schaffen kann für Menschen, die insbesondere ein herausforderndes Verhalten zeigen – und das ist eine ganz schwere Lücke in unserer Gesellschaft überhaupt, damit zurechtzukommen –, also Menschen, die plötzlich auffällig in unserem Alltag werden und wo niemand weiß: Was machen wir mit denen jetzt eigentlich und wie kriegen wir das hin, autistische Menschen, zum Teil aber auch Menschen mit anderen Störungen? Und ich glaube, dass ich an dieser Stelle immer Impulsgeber war und auch immer im Gespräch mit dem Vorstand. Da sind auch mehrere Leute in der alsterdorfer initiative, also eine Kollegin aus unserem Kreis, eine Mutter, die arbeitet in dieser Arbeitsgruppe mit. Und wir, wenn wir uns treffen, unterhalten uns über den Fortschritt. Coronabedingt haben wir uns jetzt fast ein halbes Jahr nicht gesehen. Ich finde das tragisch für die Sache und habe auch damals, als wir die Sache angefangen haben, gesagt: Das machen wir zwei Jahre und dann muss das fertig sein, weil so viel Bedarf an der Stelle ist und wir eben auch sehen: Das ist in der Gruppe Alsterdorfer Gärten nach wie vor ein großes Thema und ein großes Problem, weil da so viele Menschen auf einem Haufen mit so einer Verhaltensschwierigkeit leben, dass wir dafür eine Lösung finden müssen, die besser ist als das, was wir jetzt haben.

Schulz: Ja, wir müssen jetzt zum Schluss kommen. Vielen Dank, dass wir mit Ihnen sprechen durften. Die Zeit ist vorbei. Frau Bödewadt macht jetzt die Verabschiedung.

Benkmann: Gerne geschehen!

Bödewadt: Ja, herzlichen Dank, dass Sie dabei waren!

Rudolph: Ja, ich hoffe, dass das in der Entwicklung nach vorne zeigt und wir noch Möglichkeiten erleben, wo sich die Stiftung auch in der Zuwendung zum Einzelnen verbessert. Ich möchte noch eine Bemerkung machen: Ich finde es schade, dass aus den Wohnheimen auf dem Gelände viele verteilte Wohnheime in Hamburg wurden, weil die Größe der Wohnheime immer noch zu groß ist, immer noch auffällig Wohnheimcharakter hat und nicht das beinhaltet, was man eigentlich so Wohnen im Quartier nennt. Das halte ich für wichtig, dass man da noch genauer guckt.

Schulz: Also das ist eine Herausforderung, da ist eine Aufgabe für die Zukunft. Vielen Dank für den Hinweis!

Rudolph: Ich denke, das müssen wir auch, wenn wir die Vergangenheit sehen, als Lernfeld betrachten.

Schulz: Ja, vielen Dank.