04 / 1991 – Interview mit Stefan Rehm

Teilnehmende

Stefan Rehm

Nico Kutzner

Hans-Walter Schmuhl

Reinhard Schulz

Transkription

Kutzner: Guten Tag, ich bin Nico Kutzner von 17motion. Wenn Sie sich doch bitte vorstellen könnten.

Rehm: Stefan Rehm, schönen guten Tag. Ich bin Vorstand im Diakonischen Werk Hamburg und dort übergeordnet zuständig für die Verbandsbereiche Altenpflege, Krankenhäuser und Eingliederungshilfe und für alles Interne.

Schulz: Mein Name ist Reinhard Schulz. Ich bin langjähriger Geschäftsführer bei alsterarbeit in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf gewesen und bin jetzt für das Projekt „Dokumentation der Entwicklung der Eingliederungshilfe in der Stiftung“ zuständig, welches ich koordiniere.

Schmuhl: Guten Tag. Mein Name ist Hans-Walter Schmuhl. Ich bin Historiker und gemeinsam mit meiner Kollegin Ulrike Winkler von der Evangelischen Stiftung Alsterdorf beauftragt, ein Buch über die Geschichte dieser Einrichtung von den Anfängen bis heute zu schreiben.

Kutzner: Was haben Sie mit der Evangelischen Stiftung Alsterdorf zu tun?

Rehm: Ich habe eine gewisse Geschichte mit der Stiftung. Vor circa 30 Jahren habe ich im Diakonischen Werk Hamburg als Pflegesatz-Sachbearbeiter angefangen und war für die Vergütungen zuständig, die für unsere Mitgliedseinrichtungen abgeschlossen wurden. Da war Alsterdorf eine der großen Einrichtungen, die ein bisschen besonders war. Und ansonsten ist Alsterdorf das größte Mitglied der Diakonie Hamburg mit Blick auf die Anzahl der Mitarbeitenden. Wir haben jetzt durch eine Fusion ein zweites großes Mitglied. Am 1. Januar 2019 fusionierten Albertinen und Immanuel [die Albertinen Diakonie e. V. mit Sitz in Hamburg und die Immanuel Diakonie mit Sitz in Berlin] zur Immanuel Albertinen Diakonie. Mit nunmehr 7.000 Mitarbeitenden in 87 Einrichtungen vorwiegend in Norddeutschland ist sie dadurch ein bisschen größer, aber geschichtlich ist Alsterdorf die größte Einrichtung, die wir bei uns im Verband als Mitglied haben.

Schmuhl: Seit wann sind Sie Vorstand des Diakonischen Werkes?

Rehm: Seit dem Jahr 2000.

Schmuhl: In den 1990er-Jahren gab es ja einige Turbulenzen – Stichwort „Sanierung der Evangelischen Stiftung Alsterdorf“. Nach meinem Kenntnisstand haben sowohl die Kirche hier in Hamburg als auch das DiakonischeWerk da eine Rolle gespielt. Das war nun vor Ihrer Zeit als Vorstand, aber die Nachbeben haben Sie sicherlich noch mitbekommen?

Rehm: Die wesentlichen Rollen haben, glaube ich, die Mitarbeitenden und die Gewerkschaft ver.di gespielt – ich weiß nicht, hießen die früher schon ver.di oder ÖTV?

Schmuhl: Die hießen damals noch ÖTV, dann ver.di.

Rehm: … also die Gewerkschaft und dann – über den Sanierungstarifvertrag – die Stadt und die Kirche, weil es von da Sanierungsunterstützung gab. Das DiakonischeWerk war nur am Rande einbezogen, eigentlich gar nicht, jedenfalls nach meiner Erinnerung.

Schmuhl: Wenn Sie über das Verhältnis Diakonisches Werk – Evangelische Stiftung Alsterdorf nachdenken, was sind die großen Themenbereiche, was sind die Schnittflächen?

Rehm: Das größte Themengebiet sind die Auswirkungen des SGB IX, des Bundesteilhabegesetzes. Dann haben wir gegenseitig Vertretungen in den Aufsichtsgremien, der Landespastor, Herr Pastor Ahrens, ist im Stiftungsrat und Frau Stiefvater ist seit Jahren bei uns im Aufsichtsrat. Im Krankenhausbereich haben wir kaum Kontakt. Das ist aber auch ein bisschen historisch bedingt, weil der Krankenhausbereich vom Verband freigemeinnütziger Krankenhäuser vertreten wird beziehungsweise von der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft. Das sind so die wesentlichen Schnittstellen. Und wir haben natürlich im Diakonischen Werk Organisationsformen, wie wir unsere Mitgliedseinrichtungen einbeziehen. Die geben uns im Prinzip den Takt vor. Da gibt es zum Beispiel die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Behindertenhilfe und dort ist die Evangelische Stiftung Alsterdorf mit den Assistenzen Ost/West und der alsterarbeit vertreten.

Schmuhl: Was wird in dieser Arbeitsgemeinschaft diskutiert?

Rehm: Da stimmen wir im Prinzip die Umsetzungsschritte ab, die wir mit der Stadt abstimmen. Dabei geht es wesentlich um die Umsetzung von Leistungsgesetzen, aber auch immer wieder um fachliche Themen, die da abgestimmt werden. Also das ist im Prinzip die politikgebende Institution im DiakonischenWerk, die uns sagt, was wir tun sollen. Das ist im Prinzip die Interessenvertretung der Mitgliedseinrichtungen.

Schmuhl: Im Bereich der Behindertenhilfe ist Alsterdorf ein absolutes Schwergewicht hier im Hamburger Raum. Wie macht sich das bemerkbar?

Rehm: Alsterdorf als absolut größte Einzeleinrichtung der Eingliederungshilfe ist im Prinzip taktvorgebend seit Jahrzehnten, ein bisschen schneller als die anderen, ein bisschen einfordernder und auch vielleicht manchmal ein bisschen stärker mit Ellbogen ausgestattet.

Schmuhl: Interessant. Können Sie das vielleicht an einem Beispiel etwas plastischer machen?

Rehm: Ja, da habe ich diverse im Kopf. Als ich Alsterdorf kennengelernt habe, hatte Alsterdorf bessere Stellenschlüssel als die anderen Einrichtungen. Das war Ende der 1990er-Jahre – bessere Stellenschlüssel meint die Stellenschlüsselbeschreibung, also das Verhältnis Betreute zu Personal; und diese besseren Stellenschlüssel – das habe ich aber nur vom Hörensagen – hat Alsterdorf in direktem Kontakt zum damaligen Senator verhandelt. Die Begründung: Alsterdorf hat kompliziertere Fälle und hat sich stärker spezialisiert auf einzelne Hilfeformen. Das war damals die Begründung. Und als das umgestellt werden sollte – BSHG93 und Einführung von Hilfebedarfsgruppen, sohießen diese ganz alten Konstrukte, also Einführung von Hilfebedarfsgruppen nach Metzler, sollte im Prinzip die Landschaft gleichgezogen werden, was die personelle Ausstattung anging. [Dr. Heidrun Metzlervon der Universität Tübingen entwickelte 1997 im Auftrag mehrerer Fachverbände der Behindertenhilfe zusammen mit einer Arbeitsgruppe ein Verfahren zur Ermittlung der Hilfebedarfe von Menschen mit Behinderung. Dies diente als Grundlage für die Erstellung von Leistungsgruppen.]

Das hatten wir auch alles besprochen mit dem damaligen Vorstand, Herrn Kraft, und als wir dann in der Behörde saßen, sagte Herr Kraft: Geht nicht! Und dann saßen wir bei der Amtsleitung und wir haben, als Verbandsvertreter, den Mund nicht wiederzubekommen, aber er hat das ganz einfach begründet: Wir können uns das wirtschaftlich nicht leisten! Das war nachvollziehbar aus der Sicht eines Vorstands einer großen Einrichtung, aber für die Landschaft war das schon ein gewisser Affront. [Wolfgang Kraftleitete als Vorstand zusammen mit Pastor Rolf Baumbach als dessen Stellvertreter von 1995 bis 2009 die Evangelische Stiftung Alsterdorf].

Schmuhl: Hatte diese Episode dann noch ein Nachspiel? Das ist doch bestimmt nicht kommentarlos hingenommen worden?

Rehm: Also das hat sicherlich nicht dazu beigetragen, dass das Vertrauen in der Landschaft gestärkt wurde. Wir als Diakonisches Werk mussten das natürlich auch verteidigen und ich als Vertreter des Diakonischen Werkes habe das rein ökonomisch verteidigt und gesagt: Es gibt da Sachzwänge und das kann die Stiftung nicht leisten. Ist auch nachvollziehbar. Die Stiftung geht vor. Das ist, denke ich, dann der Job vom jeweiligen Vorstand.

Schmuhl: Mich würde das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends interessieren. Da steht die Geschichte der Evangelischen Stiftung Alsterdorf noch einmal unter den Vorzeichen einer großen Umstrukturierung, also der Umbildung zu einer Holding, der Gründung von gGmbHs, der Gründung der Dienstleistungsgesellschaften – also noch mal ein großer Einschnitt in der Geschichte. Inwieweit haben Sie das vom Diakonischen Werk aus mitbekommen?

Rehm: Es war ein technischer Akt für uns. Also wir haben die Mitgliedschaft neu regeln müssen. Die einzelnen gGmbHs sind dann bei uns Mitglied geworden. Eingangs haben wir das so wahrgenommen, dass die Zuständigkeiten nicht ganz sauber abgegrenzt waren. Der Vorstand hatte weiter eine gewichtige Rolle und die Geschäftsführungen waren nicht so, wie gGmbH-Geschäftsführungen eigentlich sein sollten. Das war, glaube ich, auch ein Lernprozess, auch in der Stiftung. Das hat sich deutlich verbessert. Und ansonsten haben wir davon nicht so viel mitbekommen. Wir hatten andere Ansprechpartner. Das war nicht mehr der Flaschenhals-Vorstand.

Schulz: Die Stiftung mit ihrer Sanierung war dann schon eine etwas schwierige Einrichtung, denke ich, auch, als es dann weiterging nach der Sanierung – mit Blick auf die Episode, von der Sie gerade gesprochen haben. Eigentlich ist die Stiftung so groß, dass sie ein Verband sein könnte. Wie gehen Sie als Vertreter des Diakonischen Werkes mit diesem vielleicht herausfordernden Thema um, dass da so ein Träger auftritt, der eigentlich von der Größe her ein Verband sein könnte?

Rehm: − wohl wissend, dass es so sein könnte! Aber ein Verband als Träger hat eben etwas anderes zum Inhalt als eine Einrichtung. Und wir sind einer der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und sind auch entsprechend in den Gesetzen und Strukturen so abgebildet. Wir haben uns immer bemüht, die Interessen der Stiftung auch mitzuvertreten. Wir haben immer wieder Sonderkonstellationen gefunden, wir haben Jours fixes – es fing an mit der damaligen Vorständin, Frau Schulz, und jetzt mit Frau Stiefvater [Birgit Schulzbegann 1977 als Mitarbeitende der Evangelischen Stiftung Alsterdorf und war von 2008 bis 2015 im Unternehmen als Vorständin tätig. Ihr Schwerpunkt war die inklusive Quartiersentwicklung].

Das hat sich sehr positiv weiterentwickelt. Wir haben also exklusive Gesprächsrahmen gesucht. Das war so ein Punkt. Ja, es ist schon wissend, dass es da im Prinzip einen Player gibt, der die gesamte Landschaft dominiert – und damit muss man dann auch umgehen! Natürlich ist das manchmal ein bisschen schwierig.

Schulz: Wenn man die 1980er- und 1990er-Jahre anschaut, war die Stiftung in Bezug auf das Thema Eingliederungshilfe sehr stark mit sich selbst beschäftigt. Ich glaube, wenn man von außen auf die Stiftung schaute, konnte man nicht so genau sehen, was mit Begrifflichkeiten wie Normalisierung, Integration oder Selbstbestimmung passierte. Haben Sie aus dieser Zeit einen Eindruck, um welche Themen es da im Einzelnen ging? Also waren das Eingliederungshilfethemen, die man mit der Stiftung verbinden konnte in den 1980er-/1990er-Jahren?

Rehm: (Lange Pause) Ich kann ganz weit zurückdenken. Ich habe mal im Jahreszeiten-Verlag im Betriebssport Fußball gespielt und wir haben meistens auf dem Sportplatz der Stiftung Fußball gespielt. Wir hatten einen Schiedsrichter, der auch dort gewohnt hat, also Betreuter war. Auch in den Zeiten, in denen ich Konfirmand war, haben wir die Evangelische Stiftung besucht. Das war für mich für lange Zeit nicht das Bild von Behindertenhilfe, das ich heute habe. Das war eher so die Anstalt. Das habe ich damit verbunden. Das war ein Thema. Und dann habe ich am Rande mitbekommen, dass die Stiftung auch finanziell in großen Problemlagen war, die, glaube ich, auch sehr viel Augenmerk gekostet haben.

Schulz: Können Sie einen Zeitpunkt benennen, wo Sie als Außenbeobachtender den Eindruck hatten, dass die konzeptionelle Ausrichtung in der Eingliederungshilfe sich paradigmatisch vorbildhaft entwickelt hatte? War das so? Gab es diese Entwicklung in dem Sinne: Die Stiftung ist konzeptionell weit vorne? Und wenn, wann ist das umgeschwenkt? In den 1990ern war die Stiftung ja noch sehr stark mit der wirtschaftlichen Sanierung beschäftigt.

Rehm: Das war sicherlich der Moment, als die Stiftung die Anstaltsstrukturen aufgelöst hat. Also das hat bundesweit Beachtung gefunden, als die Schlagbäume und Zäune weg waren, dass da plötzlich Edeka und Aldi auf dem Stiftungsgelände waren, dass da ein Marktplatz war und dass im Prinzip keine Anstalt und keine Einrichtung mehr zu sehen waren, sondern schon in der Anfangszeit ein relativ normaler Stadtteil. Das war, meiner Ansicht nach, der große Schritt, den die Stiftung da gemacht hat.

Schmuhl: Wie waren, Ihrer Wahrnehmung nach, diese Pläne konzeptionell eingebettet? Spielte da der Inklusionsgedanke schon eine große Rolle oder fand das eher noch so unter dem Paradigma der Normalisierung statt?

Rehm: Normalisierung und wirtschaftliche Notwendigkeit – das waren, meines Erachtens, die beiden Treiber.

Schmuhl: Das finde ich interessant! Und wie würden Sie das Verhältnis zwischen diesen beiden Treibern sehen? Also einmal gibt es die konzeptionelle Weiterentwicklung, aber es gibt natürlich immer auch Sachzwänge, die Reformprozesse behindern oder auch vorantreiben können.

Rehm: Es liegt immer an den Menschen, die das machen. Und ich habe den damaligen Vorstand, Herrn Kraft, als sehr ökonomisch orientiert, aber auch sehr gestaltend wahrgenommen. Der damalige Vorstandsvorsitzende, Pastor Baumbach, hatte eher Interesse, auch Architektur so abzubilden, dass es wirklich keine Anstalt mehr war. Und das war dann mehr Normalisierung. Das waren zwei Pole. Das ist ja auch gut, wenn Vorstände so aufgebaut sind, dass es unterschiedliche Ansätze und Professionen gibt. Und die haben sich, glaube ich, von außen betrachtet, in der Zeit ganz gut ergänzt.

Schmuhl: Wie muss ich mir allgemein den Austausch zwischen dem Diakonischen Werk und der EvangelischenStiftungAlsterdorf vorstellen? Wie sind diese Dinge kommuniziert worden? Hat es da auch in dieser besonderen Sache so etwas wie einen inhaltlichen Austausch gegeben oder haben Sie das dann nur in der Form wahrgenommen, dass Alsterdorf dieses und jenes macht, und dann darüber nachgedacht, was es vielleicht für Konsequenzen aus Ihrer Perspektive haben könnte?

Rehm: Ich erinnere mich an keinen geordneten inhaltlichen Austausch. In der Zeit, als das alles beschlossen wurde, war unser damaliger Landespastor im Stiftungsrat – ich vermute, da ist ein bisschen mehr gelaufen – und hat sicherlich auch bei uns im Haus berichtet. Aber ich erinnere mich nicht an strukturierte Austauschplattformen.

Schmuhl: Wie ist das, Ihrer Wahrnehmung nach, mit anderen Trägern im Bereich des Diakonischen Werkes gelaufen? Hat es da Verbindungen beziehungsweise Abstimmungen gegeben zwischen Alsterdorf und den anderen oder hat Alsterdorf so in Splendid Isolation sein Ding gemacht?

Rehm: Ja, Alsterdorf hat lange Zeit ziemlich sein Ding gemacht. Das hat sich erst in den letzten 15 Jahren, würde ich vielleicht sagen, deutlich verändert, so, dass Alsterdorf sich in unsere Gremien eingebracht und auch nicht nur diakonische Träger, sondern auch andere Träger eingeladen hat, Konzeptionen vorgestellt und Fachtage veranstaltet hat, sodass dann auch konzeptionell viel für die Landschaft getan wurde. Das war ein guter Prozess, den die Stiftung da gegangen ist.

Kutzner: Was hat sich im Gegensatz zu früher verändert in der Stiftung?

Rehm: Ich habe das eben schon mal gesagt, das hängt auch immer mit Personen zusammen. Das ist die Entscheidung, dass man sich nicht einfach gegen alle Positionen durchsetzt, sondern dass man die Landschaft mitnimmt. Das hat sich verändert. Das „Wir“ ist ein bisschen mit ins Denken gekommen. Das würde ich sagen. Das ist nicht mehr so einrichtungsegoistisch, sondern es gibt da gute Netzwerke. Es gibt die sogenannte Budgetvereinbarung. Das sind vier große Träger, jetzt fünf, die sich gefunden und konzeptionell etwas weiterentwickelt haben. Das muss erst mal so passieren, dass es diese Gespräche zwischen den Trägern gibt, und das haben wir dann auch ausgeweitet auf die Landschaft hier bei uns im Diakonischen Werk – es war ein bisschen holperig, hat auch etwas Stirnrunzeln verursacht bei einigen. Das ist jetzt relativ geglättet – noch nicht ganz, es gibt natürlich immer noch leichte Vorbehalte.

Schulz: Genau, das ist ja so ein bisschen ein Hamburger Sonderweg, den Sie gerade ansprechen, mit dem Thema trägerübergreifende Budgets, die nach meiner Erfahrung vor allem in der Stiftung entwickelt und dann auch mit der Behörde verabredet wurden. Inzwischen ist das breiter angelegt: Mehrere Träger nutzen die trägerübergreifende Budgetvereinbarung. Das entspricht nicht so dem Leistungsgeschehen und der Refinanzierungsabsicht, wie sie im Gesetz steht. Wie gehen Sie als Diakonisches Werk damit um – auch in Abgrenzung oder in Zusammenarbeit mit anderen diakonischen Werken bundesweit?

Rehm: Ja, das ist so, dass die Budgets zunächst mit einer Laufzeit von fünf Jahren vereinbart wurden und jetzt noch mal verlängert wurden – so war es, glaube ich, oder?

Schulz: Ja, für fünf Jahre.

Rehm: Und zunächst gab es da auch den Einbezug unserer Fachebene. Der Fachbereichsleiter war einbezogen in die Entwicklung dieser Budgets, Modell war ja letztendlich der Werkstättenbereich – aus dem Bereich kommt das ja. Dieser Einbezug hat sich aber irgendwann aufgelöst, weil es an die Fragen ging, die die gesamte Landschaft gestellt hat: Wie kann der Einzelne seinen Leistungsanspruch realisieren, gibt es überhaupt noch ein klares Wahlrecht und wie ist das mit Rosinenpickerei? Werden die Fälle besonders gesteuert? Das waren die anfänglichen, kritischen Rückfragen. Es gab aber ganz klar die Ansage, dass alles, was in Hamburg vereinbart wird, Stichwort Umsetzung BTHG zum Beispiel, dass das auch für die Budgetnehmer, also die Budgeteinrichtungen, gilt, aber dann eben darunter umgesetzt wird. Das war schon mal ein klares Bekenntnis. Aber es war auch eine juristische Notwendigkeit, die sich da abbildete. Und sonst mussten wir versuchen, in unserer Mitgliedschaft Transparenz über das, was da passierte, herzustellen. Das war nicht einfach für uns als Verband, denn der damalige Sozialsenator Scheele hatte mal das Wort Marktbereinigung fallen lassen. Also es gäbe dann vier oder jetzt fünf große Träger und der Rest – das Wort habe ich auch in meinen Mund genommen und bin dafür sehr stark von Mitgliedseinrichtungen kritisiert worden – der Rest, also die kleineren Einrichtungen, die nicht im Budget waren, würden quasi verdrängt werden. Das war die große Befürchtung. Und da mussten wir als Diakonie aufpassen, dass die weiter im Augenmerk blieben, dass die weiter gute Rahmenbedingungen hatten – teilweise waren es Spezialeinrichtungen, aber auch vollkommen normale Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Für die mussten wir sorgen und das ging nur über kontinuierliche Gespräche, Vernetzung und Transparenz. Darüber haben wir mit der Stiftung immer wieder gesprochen und das ist mit der Zeit dann auch passiert – nicht, dass da ein Schalter umgelegt wurde, das war ein Prozess.

Schmuhl: Sie haben jetzt mehrmals betont, dass es auch immer wieder sehr von personellen Konstellationen abhängt, wie das Klima ist und die Kommunikation verläuft. Es hat noch einmal in den 2000er-Jahren eine Umbildung des Vorstandes der Evangelischen Stiftung Alsterdorf gegeben. Wie haben Sie die erlebt?

Rehm: Es war erst einmal eine Spezialisierung, aber das waren auch ganz andere Führungspersönlichkeiten, die da installiert oder berufen wurden. Und das war natürlich ein Modernisierungsschub. Die Persönlichkeiten waren fast alle aus den eigenen Reihen: Im Krankenhaus, Herr Scheibel, der war, glaube ich, mal Zivi und Controller und Frau Schulz war von der Pike auf in der Eingliederungshilfe tätig gewesen. Das hatte erst mal eine andere Fundierung, eine andere Akzeptanz in der Stiftung, aber es waren beziehungsweise sind auch offenere Persönlichkeiten. Das ist, glaube ich, wichtig gewesen, dass das passiert ist.

Schulz: Gerade auf der Vorstandsebene geht es ja auch um Managementprozesse. Wenn Sie von außen auf die Frage schauen, wie professionell da gearbeitet wurde, nehmen Sie da eine Veränderung wahr? War das immer hochprofessionell oder ist es das erst geworden? Gab es andere, neue Konzepte, Managementkonzepte, die auch in der Sozialwirtschaft jetzt durchschlagen?

Rehm: In der Stiftung?

Schulz: Ja, denn Sie sprachen von Persönlichkeiten, die das prägen, die sind ja dann auch entsprechend professionalisiert. Hat sich da etwas verändert in der Frage der Professionalisierung, der Durchdringung zum Thema Betriebswirtschaft, Managementprozesse?

Rehm: (längere Pause) Ja, das wird sicherlich so sein.

Schulz: Haben Sie als Vertreter des Diakonischen Werkes etwas wahrgenommen?

Rehm: Es ist ja einfach dadurch bedingt, dass es jetzt vier Vorstände sind, damals waren es zwei, ein Pastor und ein Jurist. Und jetzt haben wir mehrere Betriebswirte oder Diplom-Kaufleute und einen Theologen. Das sagt ja alles im Prinzip. Ich weiß nicht, ob Herr …

Schulz: Ja, es gibt jetzt einen jungen Juristen, das ist Herr von Trott, Herr Scheibel ist Diplom-Kaufmann.

Rehm: Ich wusste nicht, welche Profession Herr von Trott hat, mit dem Bereich habe ich nichts zu tun, nur freundlich grüßend. Herr von Trott vertritt unter anderem den Schulbereich. Von daher ist das sicherlich etwas anderes. Und dann muss man natürlich auch sagen: Alles hat seine Zeit. Und ich glaube, wenn man die Menschen nebeneinanderstellt, dann sieht man das auch, dass sie unterschiedlich sind, und das wird sich in der Führung einer Organisation auch fortsetzen. Die Schaffung der Holdingstrukturen hat natürlich auch operative Verantwortung anders organisiert und das war sicherlich eine Professionalisierung. Das ist ein wichtiger Schritt gewesen.

Kutzner: Wie stehen Sie mittlerweile zur EvangelischenStiftung Alsterdorf?

Rehm: Ich war nie ein großer Kritiker (lacht). Das ist vielleicht eben ein bisschen anders rübergekommen. Die Stiftung war eine Zeit lang ein schwieriges Mitglied. Es war schwierig, den Kontakt zu halten, auch unsere Rolle zu finden als Verband. Das hat sich deutlich gebessert. Und sonst, finde ich, macht die Stiftung gute Arbeit und wir haben im Moment, glaube ich, sehr gute Kontakte zur Stiftung.

Schmuhl: Ein ganz groß angelegtes Projekt ist ja die Umwandlung des Stiftungsgeländes in ein Stadtquartier. Sie haben schon das Stichwort AlsterdorferMarkt genannt mit Edeka und Aldi und so weiter. Das ist ja doch irgendwie ein Leuchtturmprojekt, das ausstrahlt, wie ich finde, und große Bedeutung über Hamburg hinaus hat. Wie begleiten Sie das vom Diakonischen Werk? Was gibt es für Rückkopplungsprozesse?

Rehm: Der gesamte Abbau der Anstaltsstrukturen war, denke ich, die wesentliche Voraussetzung dafür, dass wir in Hamburg sehr weit ambulantisiert sind. Das war also im Prinzip ein Zeichen, dass es geht. Für die Stiftung war das, glaube ich, dieVorbereitung. Sonst wäre das nicht so gut gelaufen in Hamburg, wie es gelaufen ist. Insgesamt war Ambulantisierung seitens des Sozialhilfeträgers eher so eingestielt, dass Geld gespart werden sollte. Die Stiftung hat es aber zu einem Veränderungsprozess gemacht und das ist der Punkt, das große Ausstrahlungsmoment. Hamburg insgesamt hat da eine bestimmte Ausstrahlung. Wir haben ja sehr stark ambulantisiert. Neben den großen Trägern, für die wir die Einzelvereinbarungen zur Ambulantisierung abgeschlossen hatten, hatten wir als Diakonie und der Paritätische, glaube ich, noch andere Vereinbarungen für unsere kleineren Träger abgeschlossen. Das ging meiner Ansicht nach ganz gut Seite an Seite.

Schulz: Die Stiftung ist ja ein diakonischer, großer Träger. Wie viel Diakonie ist da eigentlich drin auf einer Skala von eins bis zehn?

Rehm: Das sind ja Fragen! Das ist von Bereich zu Bereich sicherlich unterschiedlich. Nein, das ist eine diakonische Einrichtung, vollkommen klar. Ich nehme das so wahr. Die Stiftung tut viel für ihr Profil, hat einen Theologen als Vorstandsvorsitzenden, kümmert sich auch sehr verantwortlich um Vergangenheitsthemen. Es ist für mich eindeutig sichtbar, dass es ein diakonischer Träger ist.

Schulz: Da ist die nächste Frage: Mit welchen Aspekten würden Sie das konnotieren, also, wo zeigt sich das Thema Diakonie? Vermutlich in der Aufarbeitung der Geschichte, in dem jetzigen neuen Projekt Straße der Inklusion? Was sind das für Punkte, die da eine Rolle spielen, aus der Perspektive des Diakonischen Werkes? Also dass der Vorstandsvorsitzende regelmäßig Morgenandachten macht, ist natürlich auch wichtig.

Rehm: Das ist auch wichtig! Ich habe mal in irgendeinem Zeitungsinterview die Frage gestellt bekommen, woran man denn überhaupt ein diakonisches Krankenhaus erkennt? Das ist natürlich erst mal eine sehr schwierige Frage. Da hab ich gesagt: Ja, da hängt am Eingang ein Kreuz. Aber auch so etwas gehört dazu! Wir haben als Diakonie, weil wir beobachtet haben, dass zunehmend Mitgliedseinrichtungen von uns immer diakonie- oder kirchenferner werden, einen christlichen Unternehmensberater eingestellt, einen Theologen, der unsere Mitgliedseinrichtungen berät, wie sie überhaupt ihr Profil abbilden können. Und zum Profil gehören Andachten, nicht nur im Radio, sondern auch in der Einrichtung, und gehören Angebote für Mitarbeitende, dass sie christlichen Glauben in ihrer Einrichtung leben können. Das ist ein Punkt für Profil und dann haben wir natürlich die große Klammer der Wohlfahrtspflege, dass wir gemeinnützig sind. Das ist ein riesiger Unterschied.

Schulz: Es gibt in diesem Zusammenhang noch einen interessanten Aspekt: Die Stiftung hat sich ja in der Frage der Zwangsmitgliedschaft in einer christlichen Kirche – was Mitarbeiter angeht, um einen Arbeitsvertrag zu kriegen – wegbewegt von dieser Setzung hin zu einer Öffnung. Wie wird das wahrgenommen auf Verbandsseite, wie wird das bewertet, wie wird das diskutiert?

Rehm: Das gilt ja jetzt für die gesamte Diakonie und Kirche.

Schulz: Also war die Stiftung da Vorreiter?

Rehm: Da war die Stiftung, wie sie immer so ist – das habe ich ja eingangs schon gesagt –, sehr schnell und ist ein bisschen vorgeprescht, ja.

Schulz: Aber wenn Sie das heute betrachten, ist das eine Situation, die …

Rehm: … bildet sich ähnlich ab wie in der gesamten Kirche. Den Unterschied gibt es da nicht mehr so. Das war damals eine große Diskussion. Wir haben uns als Diakonisches Werk selbst – wir sind ja auch Arbeitgeber und haben über 300 Mitarbeitende in unserem Haus – auch sehr früh und bewusst geöffnet mit entsprechenden IKÖ-Prozessen, also Prozessen interkultureller Öffnung. Da sind wir nicht so weit voneinander entfernt aus meiner Sicht. Die Kirchenmitgliedschaft macht nicht den wesentlichen Unterschied aus.

Schulz: Richtig.

Schmuhl: Welche Foren und Kommunikationskanäle haben Sie in Ihrer Struktur, dass Ihre Mitglieder über solche Fragen diskutieren können, über Kirchenmitgliedschaft der Mitarbeitenden oder überhaupt ganz allgemein darüber, was das Diakonische an Ihrer Arbeit ist?

Rehm: Das Thema muss man sehr stark treiben, sonst wird es nicht angenommen. Das ist erst mal eine frühe Erfahrung. Unser Unternehmensberater, das ist ein Theologe – ich nenne den mal christlichen Unternehmensberater –, wird gut nachgefragt. Das ist erst mal eine praktische operative Ebene und wir haben jetzt eine Evangelische Arbeitsgemeinschaft gegründet – AG Profil oder so ähnlich heißt die. Da sind alle Profiltreiber drin – Alsterdorf hat da auch extra eine Stelle, Frau Seiler macht das.

Schulz: Genau.

Rehm: Die großen Einrichtungen haben da Beauftragte, die sind dort zusammen mit anderen Vertretern und bearbeiten dieses Thema und wollen das auch weiterentwickeln. Das ist die Institution, die wir dafür geschaffen haben, sodass sich das auch weiterbewegt. So in etwa. Ich bin da nicht ganz so nah dran, wie Sie merken, aber es hat schon eine gewisse Struktur bei uns im Verband bekommen.

Schmuhl: Bei der Beschäftigung mit der Geschichte der Diakonie habe ich gelernt, dass das Verhältnis zwischen Diakonie und Verfasster Kirche ein großes Thema ist und dass dieses gar nicht so spannungsfrei ist im zeitlichen Längsschnitt. Wie erleben Sie das? Und wie wird das diskutiert beziehungsweise verhandelt in der heutigen Zeit?

Rehm: Das weiß ich nicht genau. Ich habe das damals ein bisschen mitbekommen, die Geschichte mit diesem Darlehen, als die Stiftung in wirtschaftlicher Not war. Es gab ein Darlehen seitens der Kirche, das wurde irgendwie nicht richtig zurückgezahlt. Bei der juristischen Bewertung des Sachverhalts, glaube ich, gab es ein bisschen Stirnrunzeln. Und es gab sicherlich auch andere Einrichtungen, die mal in Not geraten waren und die keine Unterstützung von der Kirche bekommen hatten. Da hatte es vielleicht eine gewisse Beschädigung gegeben. Also das Alma-Sieveking-Krankenhaus war damals auch in wirtschaftlicher Not. Die hatten sich auch an die Kirche gewandt, aber keine finanzielle Unterstützung bekommen.

Schmuhl: Okay.

Schulz: Die haben aber jetzt das Albertinen.

Rehm: Jetzt. Ja, eine freikirchliche Stiftung. Die Rettung vor der Insolvenz war knapp.

Schulz: Haben Sie als Vertreter des Diakonischen Werkes wahrgenommen, dass es in verschiedenen Zeiten in der Stiftung verschiedene Einwirkungs- oder auch Mitgestaltungswünsche der Kirche gab – als Hinweis: Es war zum Beispiel mal interimsmäßig Bischof Kohlwage Vorstandsvorsitzender für kurze Zeit [Karl Ludwig Kohlwage(1933*), lutherischer Theologe und ehemaliger Bischof für den Sprengel Schleswig-Lübeck, leitete 1982 bis 1983 interimistisch die Evangelische Stiftung Alsterdorf. Er war unter anderem Vorsitzender des Diakonischen Rates der EKD, der Evangelischen Kirche Deutschlands, und bekam 2004 das Große Bundesverdienstkreuz]. Also ist es möglicherweise so, dass gerade dann, wenn Krisen da sind, diese Lösung durchschlägt, dass dann die Kirche Verantwortung übernimmt für so eine Einrichtung bis dahin, dass sie wie in diesem Fall Geld gibt?

Rehm: Also die Verantwortung bildet sich immer noch darin ab, dass Bischöfin Fehrs im Stiftungsrat ist …

Schulz: Ja.

Rehm: … und Landespastor Ahrens auch. Da zeigt die Kirche schon Flagge. Das kann man auch mal in guten Zeiten machen.

Schulz: Aber da sind ja ganz eindeutige Schnittstellen, mit Herrn Landespastor Ahrens und Frau Fehrs. Ganz eindeutig.

Schmuhl: Kirche denkt ja auch darüber nach, wie sie sich in Zukunft fortentwickeln kann und soll. Ich frage mich, ob wahrgenommen wird, was jetzt hier im Bereich der Eingliederungshilfe läuft, dass wirklich eine konsequente Ambulantisierung stattfindet, dass Diakonie – überspitzt gesagt – aus ihrem Ghetto rauskommt, in die Stadt geht und Teil der Stadt wird. Ich finde eigentlich, das ist ein Prozess, der von der Kirche aufgegriffen werden könnte, auch in den Überlegungen, wie sie sich selber weiterentwickeln will und die alten, gemeindlichen Strukturen vielleicht ergänzen will. Also, nehmen Sie da was wahr oder sind das völlig getrennte Felder?

Rehm: Also, es gibt ja Verknüpfungen. Q8 – im Jahr 2011 startet die Evangelische Stiftung Alsterdorf in Partnerschaft mit Aktion Mensch und der Nordmetall Stiftung ihre Initiative zur Quartiersentwicklung, die den acht Lebensbereichen entsprechen sollten und hat ja, speziell auch in der ersten Phase, die Verknüpfung zu Gemeinden bearbeitet. Da gab’s ja eher Themenschwerpunkte. Das war, wenn ich das richtig verstanden habe, ja auch ein bisschen modellhaft für die Weiterentwicklung allgemein. Da gab’s Kontakte und auch Gespräche nach meinem Kenntnisstand. Und es hat sich auch fortgesetzt. Ich sehe schon, dass die Kirche sich auch mit Themen wie Inklusion beschäftigt. Ob das bis in die Gemeinden durchträgt, das weiß ich aber nicht und ich bin auch ein bisschen skeptisch, ob das klappt.

Schmuhl: Für Außenstehende noch einmal: Q8?

Schulz: Quartiersentwicklung Q8 mit den sogenannten acht Lebensbereichen, die quartiersbezogen entwickelt sein müssten, damit man dort gut leben kann.

Rehm: Das war im Prinzip eine konzeptionelle Vorarbeit für das, was jetzt passiert, so habe ich das verstanden.

Schulz: Genau. Den Sozialraum und die Quartiere sozusagen zu bespielen und zu entwickeln, das ist ja das Thema.

Schmuhl: Mich würde noch mal interessieren: Ganz am Anfang ist ja schon das Stichwort Bundesteilhabegesetz gefallen. Das ist eine ganz spannende, hochaktuelle Entwicklung. Vielleicht können Sie dazu noch etwas sagen, wie sich da die Dinge entwickeln.

Rehm: Corona lässt alles ein bisschen stehen im Moment. Wir kommen nicht weiter. Wir sind in Hamburg sehr pragmatisch vorgegangen und haben als erstes Land einen Landesrahmenvertrag abschließen können. Das war ein pragmatischer Schritt, weil wir uns mit der Stadt und mit unseren Trägern auf einen gemeinsamen Weg einigen konnten. Und jetzt kommen, glaube ich, die großen Themen wie Assistenzdefinieren und da kommt’s dann richtig zum Schwur. Durch den Einstieg haben wir erst mal die Finanzierungstrukturen so angepasst, dass es wirklich auch selbstbestimmte Entscheidungen geben kann. Aber das muss jetzt erst mal so ein bisschen einsickern ins System. Das ist ein Riesenprozess, aber wir sind da in Hamburg auf einem guten Weg. Wir wären sicherlich schneller gewesen, wenn jetzt nicht die Coronazeit gekommen wäre. Die hat uns ein bisschen gelähmt. Es gab auch in der Behörde viele Umstellungen. Da klappt das nicht so ganz mit Bewilligungen und so weiter. Das lähmt die Landschaft im Moment konzeptionell sehr, glaube ich, weil es darum geht, nachzuarbeiten, dass Systeme erst mal funktionieren.

Schmuhl: Welche Rolle spielt das Diakonische Werk dabei?

Rehm: Wir sind in laufenden Telefonkonferenzen, haben diverse Arbeitsgruppen, kümmern uns letztendlich darum, auch in der Form, dass wir einen Jour fixe mit der Staatsrätin haben, dass wir die Beschwer [Der Begriff Beschwer beschreibt einen Nachteil, mit dem man „beschwert“ ist. Es handelt sich also um einen rechtlichen Umstand, Betroffener einer negativen Entscheidung zu sein] unserer Mitgliedseinrichtungen nicht ganz unten begleiten müssen, sondern dass es auch einen Zugriff von oben gibt, also sehr hoch in der Hierarchie der Behörde. Und da machen wir, glaube ich, ganz gute Arbeit, weil wir eine sehr aufgeschlossene Staatsrätin im Moment haben. Das ist so meine Bewertung.

Schulz: Der Staat gibt im Augenblick unglaublich viel Geld aus für das Thema BekämpfungderPandemieundihreAuswirkungen. Wenn Sie eine Prognose abgeben müssten: Wie, denken Sie, wird es wirtschaftlich in der Leistungsausstattung der Eingliederungshilfe aus Ihrer Perspektive weitergehen? Werden wir genug Mittel haben, um diese Individualansprüche weiter gut entwickeln zu können, oder wird es da Restriktionen geben?

Rehm: Das Thema diskutieren wir auch bei uns im Verband. Ich bin da ziemlich optimistisch, dass es keine radikalen Einschnitte gibt, weil die BTHG-Umsetzung so ein Riesenthema ist, und schließlich handelt es sich um Rechtsansprüche der Menschen mit Behinderung. Das kann man jetzt nicht mit knapper werdenden Ressourcen einfach zurückdrehen. Ich kann’s mir, ich möchte es mir gar nicht vorstellen – obwohl, es gibt erste Anzeichen: Finanzsenator Dressel hat ja schon von „härteren Jahren“ gesprochen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es da Kürzungen direkt im Leistungsgeschehen gibt. Ich glaub’s nicht.

Schulz: Gut.

Rehm: Ich bin da vielleicht jetzt ein bisschen ins Gelingen verliebt.

Schulz: Wir hoffen mal, dass Sie recht haben, und sagen vielen Dank.

Kutzner: Vielen Dank.

Rehm: Gerne.