03 / 2016 – Interview mit Thies Straehler-Pohl

Teilnehmende

Straehler-Pohl

Monika Bödewadt

Evelin Klemenz

Transkription

Bödewadt: Ich begrüße Sie zum Interview. Mein Name ist Monika Bödewadt. Wenn Sie sich einmal vorstellen möchten, bitte.

Straehler-Pohl: Gerne, mein Name ist Thies Straehler-Pohl. Ich arbeite seit 2012 für die Evangelische Stiftung Alsterdorf und bin seit 2014 für die inklusive Entwicklung des Sengelmann-Quartiers zuständig, also sprich des Stiftungsgeländes und für alles, was außen um den Alsterdorfer Markt herum ist.

Klemenz: Mein Name ist Evelin Klemenz. Ich bin seit über 20 Jahren in der Stiftung in verschiedenen Funktionen und jetzt Mitarbeiterin im Dokumentationsprojekt „Die Entwicklung der Eingliederungshilfe der ESA in den letzten 40 Jahren“. Ich freue mich, dass ich dieses Interview zusammen mit Frau Bödewadt führen darf.

Dann starten wir mal. Architektur hat im Umwandlungsprozess der Alsterdorf Anstalten in die Evangelische Stiftung Alsterdorf eine ganz besondere Rolle gespielt. Herr Baumbach, der das damals zusammen mit Herrn Kraft betrieben hat, hat mal gesagt: In der Architektur materialisiert sich, um was es eigentlich geht. Damals war der Community-Care-Gedanke groß, also die Teilhabe der Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben, die Öffnung des Geländes usw. Architektur hat in Alsterdorf auch immer einen tiefen symbolischen Charakter.

Die Geländeentwicklung hat 1998 angefangen und ging dann weiter. Es entstanden 2002 die Appartement-Häuser, dann kam 2003 die Öffnung des Alsterdorfer Marktes und 2007 wurde das Carl-Koops-Haus abgerissen. Mit diesem Abriss und mit eben der Neugestaltung des Carl-Koops-Quartiers geht die Entwicklung weiter. Sie sind ganz neu und auch von einer anderen Generation dazu gestoßen, mögen Sie erst mal sagen, was für Gedanken ihnen durch den Kopf gingen, als Sie zum ersten Mal das Alsterdorfer Gelände betraten?

Strahler-Pohl: Was ich vorhin noch gar nicht erzählt habe, also von der Ausbildung her ich bin Stadtplaner. Ich habe hier in Hamburg an der TU [Technische Universität] angefangen zu studieren, und an der HCU [Hafen City Universität] aufgehört. Im Rahmen einer Fahrrad-Exkursion irgendwann in der Mitte des Studiums, habe ich den Alsterdorf Markt zum ersten Mal kennengelernt. Alsterdorf ist für den Durchschnittsstudenten, der nach Hamburg kommt, nicht unbedingt das Gebiet, wo er sich dann aufhält. Also da war ich das erste Mal dort und habe durch meinen Professor schon ein bisschen erfahren, um was es da geht.

Das hat sich mir wirklich eingeprägt, weil dieses Thema Konversion, also die Umwandlung von Arealen, die früher mal etwas anderes waren, in irgendwas anderes, z.B. Kasernen, wo früher die Soldaten waren, und alles zu Wohnungen oder zum Einzelhandel usw. umgebaut wird. Auch die Öffnung des Alsterdorfer Geländes war eine Art Konversionsprozess und deswegen war das für mich als Stadtplaner total spannend.

Ich weiß nicht mehr genau, wie ich es fand, aber ich hatte es auf jeden Fall positiv in Erinnerung. Und deshalb kam es dann – das war mein erster richtiger Job nach dem Studium –, dass ich hier in Alsterdorf anfing. Das hat sich gut und richtig angefühlt, also ich bin mit einem positiven Gefühl hergekommen. Was ich ein bisschen schade finde, ist – ich bin ja schon 10 Jahre dabei –, dass ich manchmal nicht mehr so den externen Blick habe, weil ich das jetzt alles schon so gut kenne. Dann freue ich mich aber über Dinge wie dieses Erlebnis: Da saß vor kurzen, vor ein paar Tagen, ein relativ junger Mann neben mir auf den Treppen der Kulturküche, als ich gerade mittags eine kleine Pause gemacht hatte, und erzählte Jemandem am Telefon, wie schön das hier ist, wie schön er das Grün außenherum findet. Da dachte ich mir: Ja, super, das interessiert mich auch. Wie nehmen das eigentlich Leute war, die gar nicht wissen, was das hier eigentlich einmal war?

Klemenz: Also der Besuch damals hat Sie so sehr stimuliert, dass Sie gesagt haben: Da bewerbe ich mich, wenn ich fertig bin mit dem Studium?

Straehler-Pohl: Da gab es ein paar Umwege. Dass es dann die Stiftung Alsterdorf geworden ist, war letztlich ein Zufall, aber, als sich dann diese Möglichkeit ergeben hatte, habe ich sofort gesagt: Ja, gerne! Das war damals bei Q8; ich habe als Projektassistenz von Armin Oertel angefangen, dem Leiter von Q8 und fand das erst mal total spannend, auch wenn ich in dem Moment noch überhaupt nicht so richtig verstand, was Q8 genau macht, außer dass es eben diesen Quartiersentwicklungsbezug gibt, den ich auch in meinem Studium schon seit einiger Zeit als einen Schwerpunkt und ein Spezialisierungsgebiet gesehen hatte.

Klemenz: Projektassistenz waren Sie. Was waren da Ihre Aufgaben?

Straehler-Pohl: Das Klassische: Termine koordinieren, eine Homepage in leichter Sprache zu erstellen, das war damals ein Projekt, was wir gemacht haben, viel Zuarbeit eben. Aber das Tolle war, dass mir Herr Oertel damals schon die Freiräume gelassen hat, dass ich auch in die Quartiersarbeit von Kolleg*innen reingucken und teilweise auch schon ein bisschen am Rande mit einsteigen konnte, weil er wusste, dass ich Stadtplaner bin und dass das im Grunde ein Gebiet von mir ist.

Klemenz: Und dann sind Sie zum Alsterdorfer Markt gekommen und hatten da Ihre erste Aufgabe.

Straehler-Pohl: Ich war die ganze Zeit am Alsterdorfer Markt, weil, das Hauptquartier von Q8 ist der Alsterdorfer Markt. Da sitzt Herr Oertel, da sitzt jetzt auch die Leiterin Karen Haubenreisser, also da war ich die ganze Zeit, aber es war so, dass – damals noch unter Frau Schulz – der Vorstand entschieden hatte, dass sie Jemanden haben wollten, der so einen Gesamtblick auf die Entwicklung hat, die es auf dem Stiftungsgelände gibt, mit dem Ziel: Wir wollen ein inklusives Modell-Quartier werden und wir brauchen jemanden, der alles im Blick hat, was passiert und eben auch mit gestalten kann. Da wurde erstmalig diese Stelle ausgeschrieben und darauf habe ich mich beworben und bin bis heute sehr glücklich, dass ich das machen durfte und darf.

Bödewadt: Gab es Vorbilder für den Alsterdorfer Markt, haben Sie sich da irgendwie an Vorbildern orientiert oder kamen die Ideen von Ihnen aus oder von wem kam die?

Straehler-Pohl: Als ich anfing, war dieser ganz große Wurf schon passiert und auch absehbar größtenteils gelungen, also diese Öffnung 2003, der Bau des Alsterdorfer Marktes. Damit hatte ich nichts zu tun. Da habe ich immer gedacht: Wow, wirklich toll! Gerne wäre ich dabei gewesen! Ich war aber nicht dabei.

Als ich anfing, habe ich nicht so richtige Vorbilder dafür gefunden, sondern ich habe viel rumgeguckt, im Internet recherchiert und war auch mal bei anderen Projekten zu Gast. Und ich würde auch sagen, dass es so etwas nicht noch mal gibt, so was in dieser Art und mit dem Erfolg, dass da wirklich ein neues Stadtteilzentrum entstanden ist. Das wüsste ich jetzt nicht, wo das noch mal so gut gelungen wäre.

Und deswegen war das schon ein Sprung ins kalte Wasser. Ich musste viel herumgucken, viel überlegen, mich viel austauschen mit ganz unterschiedlichen Leuten. In der Stiftung, also auch gerade in Alsterdorf als Herzstück, sind wahnsinnig viele Leute aus unterschiedlichen Bereichen, die alle ihre Zuständigkeiten haben und viel gestalten. Da musste ich erst mal richtig reinkommen und teilweise überhaupt mal die Sprache verstehen lernen. Ich weiß noch bei alsterarbeit, da kannte ich viele Begriffe einfach gar nicht, um die es da ging.

Klemenz: Welche zum Beispiel?

Straehler-Pohl: Werkstätten, da blitzte bei mir eher so, was weiß ich, ein Heimwerkerkeller oder irgendwie so eine Tischlerwerkstatt auf. Das war das, was ich unter Werkstatt verstand! Daneben gab es noch andere Begriffe, die mir heute recht geläufig sind – ich weiß gar nicht mehr, welche das waren. Aber ich merkte: Oh, oh, oh, besser, ich frag hier noch mal genauer nach, ich weiß gar nicht, worum es inhaltlich geht.

Klemenz: Jetzt haben Sie angefangen, den Alsterdorfer Markt zu verändern. Was haben Sie als Erstes verändert? Kam die Idee Da muss noch nachgebessert werden von Ihnenoder kam das von der Vielzahl der Akteure, die rund um den Alsterdorfer Markt sitzen?

Straehler-Pohl: Der Auftakt zu meiner neuen Stelle war erst mal eine Bestandsanalyse. Also ich habe mit wahnsinnig vielen Leute geredet und habe die nachher durchgezählt. Es waren 60 Personen, die ich interviewt hatte, um überhaupt erst mal ein Gefühl dafür zu bekommen, was für Themen die Menschen hier bewegen, und wo habe ich überhaupt Einflussmöglichkeiten habe. Vieles ist dann doch so Tagesgeschäft und das ist überhaupt nicht das, wo ich mitreden kann und sollte, sondern ich musste erst mal gucken, wo meine Hebel, wo Schnittstellen sind, an denen ich aktiv werden kann. Ich hatte aber großes Glück, dass wir damals, also wir, die Stiftung, von einer Firma recht viel Geld bekommen hatten dafür, dass wir gesagt hatten: Wir wollen ein Leitsystem entwickeln, um die Orientierung auf dem Gelände zu erleichtern, weil, es kam auch in der Bestandsaufnahme heraus, dass niemand sich bei uns zurechtfindet, und der Marktplatz war ein Thema, so wie ich das verstanden habe, das es seit der Eröffnung gab. Damals schon war die Kritik gerade auch von Menschen im Rollstuhl groß, die sagten: Warum macht ihr da jetzt für viel Geld so ein Kleinsteinpflaster hin, was zwar schick aussieht, aber was für uns total blöd zum Fahren ist! Auch bei Menschen mit Spastiken, die da durchgerüttelt werden, kann das Krämpfe auslösen. Für Kinderwagen ist das schlecht und für Rollatoren ist es nicht gut. Das war wirklich schon ganz lange ein Thema.

Aber was ich dann auch immer mehr gelernt habe, ist, sobald einmal etwas gebaut ist, wird Veränderung immer superteuer. Und nun hatten wir das Geld bekommen! Dafür war ich einfach total dankbar, weil, mir war klar, wenn ich jetzt einen Prozess steuere, durch den danach der Marktplatz barrierefreier ist, kann dabei nicht so viel schiefgehen. Dann haben wir ein Büro beauftragt, ein Freiraum-Planungsbüro. Ich hatte ab da eine enge Zusammenarbeit mit unserer Bauabteilung, der IBT der Stiftung, weil, das sind die Baufachleute, also auch eine Zusammenarbeit, die seitdem super funktioniert, die auch immer enger geworden ist. Und dann ging es darum, die Anlieger zu beteiligen, Menschen mit Behinderung zu beteiligen. Irgendwann stand dann der Plan, dass da einfach ein Wegesystem aus einer ebenen Pflasterung drüber gezogen wird, so dass es letztlich jetzt für alle Menschen, die irgendwie mit Rollen, oder auch blinde Menschen, die mit einem Langstock unterwegs sind, Anhaltspunkte gibt, um sich auf dem Markt zurechtzufinden, also wirklich ein Paradebeispiel dafür, wie Barrierefreiheit allen etwas nutzt. Das war so mein Auftakt.

Bödewadt: Was ich fragen wollte: Ist eigentlich auch so ein Art Mehrgenerationenhaus geplant, wo Menschen mit Behinderung auch im Alter hinziehen können, aber dann nicht nur unter ihresgleichen sind, also mit Menschen mit Behinderung, sondern gemischt sind mit gesunden Menschen, Familien mit Kindern? Ist so etwas auch mal geplant?

Straehler-Pohl: Ja, auf jeden Fall. Das Koops-Quartier, was jetzt gerade in einer sehr fortgeschrittenen Planung ist, wird auf dem Areal des ehemaligen Carl-Koops-Hauses, das hatten Sie ja schon erwähnt, entstehen, also vor der Sporthalle, also geöffnet in Richtung Quartierspark. Das war genau der Ansatz, dass wir dort ein inklusives Wohnen entwickeln wollen, was gemischt ist, jung mit alt, mit und ohne Behinderung, unterschiedliche kulturelle Hintergründe, und Familien und ältere Menschen, die dorthin ziehen sollen. Was es dort nicht geben wird, sind stationäre Angebote. Wenn Mensch so alt werden, dass sie wirklich einen hohen Pflegebedarf haben, gibt es das dann da nicht. Das hatten wir bisher im Quartier auch nicht so. Aber diese Idee, dass unterschiedlichste Menschen dort zusammenleben unter dem Leitbild Inklusive Nachbarschaft, das ist das, was wir erreichen wollen, wie das dann nachher funktioniert, ist dann das Spannende, weil, Konflikte gehören natürlich auch immer dazu.

Bödewadt: Was mich noch interessieren würde: Ist es auch klar, wann das ungefähr bezugsfertig ist?

Straehler-Pohl: Ich muss jetzt etwas grinsen. Vor einem Jahr hätte ich Ihnen eine Jahreszahl gesagt, die jetzt schon wieder völlig überholt gewesen wäre. Im Moment gehen wir davon aus, dass es Mitte bis Ende 2023 fertig sein wird.

Bödewadt: Relativ früh schon

Straehler-Pohl: Genau, die Baugenehmigung liegt vor. In diesem Jahr wird es hoffentlich schon mit dem Ausheben der Baugrube losgehen.

Bödewadt: Wie kommt man an diese Wohnungen ran? Muss man sich da rechtzeitig anmelden? Braucht man da Voraussetzungen, irgendwelche Bescheinigungen.

Straehler-Pohl: Ja, teilweise. Das wird so sein, dass ein Großteil der Wohnungen geförderter Wohnungsbau ist und, um da einziehen zu dürfen, muss man eben diesen Paragraph-5-Schein haben. Für den anderen Teil, der frei finanziert ist, gibt es erst mal keine formalen Voraussetzungen. Es kann sich jeder darauf bewerben. Wir sind gerade dabei, in einem Gremium, das heißt Begleitgremium „Koops-Quartier“ – da kann ich gerne auch gleich noch etwas zu erzählen – ein Belegungsmanagement zu entwickeln, das heißt ein Verfahren, wie wir eine gewisse Auswahl von Nachbarinnen und Nachbarn treffen können, wo wir zumindest hoffen, dass dort mehr Gemeinschaft entsteht als in einer herkömmlichen Nachbarschaft in Hamburg.

Bödewadt: Ist auch raus, wieviel Wohnungen geplant sind, also konkrete Zahlen?

Straehler-Pohl: Ja, es werden 90 Wohnungen gebaut, 60 davon sind nach jetzigem Stand gefördert, 30 sind frei finanziert. Und die Größen sind ganz unterschiedlich. Also, wir haben ein paar Fünf-Zimmer-Wohnungen drin, weil wir gesagt haben, es ist uns auch wichtig, für Familien etwas anzubieten, gerade im geförderten Wohnungsbau, die es ja sonst in Hamburg immer superschwer haben, etwas zu finden. Fast alle Wohnungen werden auch in einem barrierefreien Standard gebaut, das war uns auch wichtig, das ist auch überhaupt nicht gewöhnlich, dass das so passiert, also im normalen Hamburger Wohnungsbau. Auch die Außenanlagen sind so gestaltet, dass sie barrierefrei sind, also gerade mit den Steigungen und allem. Und es werden auch fünf rollstuhlgerecht-barrierefreie Wohnungen darin sein, die dann noch mal breitere Türen und breitere Flure usw. haben.

Bödewadt: Was ich auch sehr schön finden würde – ich bin ja stellvertretende Frauenbeauftragte, ist, wenn es vielleicht für die Frauen speziell noch ein kleines Angebot geben würde, vielleicht eine Art Frauencafé oder etwas, das speziell Frauen guttun würde, also Frauen mit Behinderung natürlich.

Straehler-Pohl: Speziell so ein Angebot wird es dort nicht geben. Es wird dort nur Wohnungen geben. Wir hatten am Anfang überlegt: Macht es nicht Sinn, im Erdgeschoß z.B. Flächen für genau so etwas wie eine Art von Café anzubieten? Aber das wäre in einer direkten Nachbarschaft zum Alsterdorfer Markt ist – man muss ja nur dreimal hinfallen und dann ist man da. Daher haben wir jetzt nicht noch ein Café mitgeplant.

Klemenz: Dann übernehme ich mal wieder. Mir ist gerade so ein Gedanke gekommen: Sie hatten so viel erzählt über die Kommunikation, die Sie zu führen hatten, als es um den Alsterdorfer Markt ging und wo es da noch etwas zu verändern gibt. Jetzt sind in der Entwicklung des Carl-Koops-Quartiers ganz verschiedene Akteure beteiligt. Wer sind diese Akteure und wie hat sich die Zusammenarbeit gestaltet, wie haben Sie das erlebt, war das eher schwierig, hat sich das entwickelt, was gab es für Ideen?

Straehler-Pohl: Ich hatte ja schon kurz von dem Begleitgremium erzählt, das ist ein Gremium aus Fachkolleg*innen der Stiftung; da sitzt eine Kollegin von der alsterdorf assistenz ost, ein Kollege von der alsterdorfer assistenz west, Jemand aus dem Epilepsie-Projekt des EKA – es wird auch Epilepsie-gerecht eingerichtete Wohnungen im Koops-Quartier geben –, und die Kollegen aus der Bauabteilung mit drin. Dieses Gremium hat von Anfang an das Konzept dafür mitentwickelt; das wurde dann immer noch mal abgestimmt mit einem anderen Gremium, in dem auch Frau Stiefvater und Herr Scheibel drinsaßen; das wurde alles eng verzahnt und abgestimmt. Und am Anfang haben wir uns erst mal zusammengesetzt wie vor einem weißen Blatt Papier und überlegt, in was für eine Richtung es gehen soll. Das war gar nicht so einfach, weil da so viele Ideen rumschwirrten. Erst im Verlauf des Prozesses hat sich herauskristallisiert, wo es dann hingehen soll und auch welche Sachen vielleicht toll wären, die wir aber nicht machen können, weil es einfach eine Überfrachtung gewesen wäre.

Klemenz: Was wären das für Themen?

Straehler-Pohl: Also, das Thema Wohnpflege-Gemeinschaft zum Beispiel. Das ist so ein spezielles Konstrukt, was es in Hamburg relativ häufig gibt. Das ist eben kein Heim für Menschen mit dementieller Erkrankung, sondern die haben dort ihre eigenen Zimmer, die haben einen Gemeinschaftsbereich, da sind die Angehörigen viel mit eingebunden. Die Frage war, ob so etwas nicht auch mit dazugehören könnte, weil so ein Angebot haben wir noch nicht im Quartier, und gleichzeitig ist es natürlich etwas Wichtiges. Aber, als wir dann geguckt haben, wie viele Wohnungen gibt es und wie so eine inklusive Mischung eigentlich aussehen könnte, haben wir gemerkt: Wir müssen auch ein bisschen gucken, dass wir nicht zu viele Sachen dort mit reinnehmen, weil letztlich soll das eine funktionierende Nachbarschaft sein, wo auch viele Menschen wohnen, die Lust haben, etwas mit einzubringen, Engagement mitbringen, dass dort wirklich so ein Miteinander und eine Inklusion im Alltag entstehen kann, gerade dadurch, dass viele Menschen miteinander zusammenwohnen, sich im Hof treffen, sich vielleicht beim Einkaufen helfen.

Klemenz: Das muss ja auch gelernt werden. Ich glaube, als Gesellschaft sind wir noch lange nicht so weit, dass wir uns wie ein Fisch in einem inklusiven Denken und Handeln bewegen.

Straehler-Pohl: Nein, also das glaube ich auch ganz bestimmt nicht. Es ist ja, auf das gesamte Quartier geschaut, immer die Frage: Dieses Ziel, inklusives Modellquartier, wie weit sind wir da eigentlich? Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Wir haben uns natürlich sehr gefreut, als wir 2017 vom Hamburger Senat den Preis „Wegbereiter der Inklusion“ für den Alsterdorfer Markt und den ganzen Prozess bekommen haben. Das war also auch wirklich schon von 2003 an – mit meinem Blick auf all das, was passiert ist –, würde ich sagen, wirklich ein einmaliger Ort. Der hat die Auszeichnung verdient, aber es ist wirklich auch ein Wegbereiter. Man ist auf dem Weg dahin und da kann noch sehr viel mehr passieren, um wirklich von einem inklusiven Umgang miteinander zu sprechen.

Klemenz: Das erinnert mich an einen Ausspruch, den Herr Baumbach mal getan hat. Er hat vom Alsterdorfer Markt gesagt, wenn ich das richtig erinnere: Ich will nicht, dass das das ein fertiger Ort ist, sondern ich möchte, dass es ein Ort in Bewegung bleibt. Und, ich denke, das heißt eben auch immer, nicht perfekt zu sein, sondern schrittweise zu planen.

Straehler-Pohl: Das finde ich ganz spannend, weil, ich mache quasi nebenberuflich – das gehört auch zum meinem Aufgabenfeld dazu, jetzt vor Corona zumindest – viele Besucherführungen über das Gelände, oder auch, wenn die neuen Mitarbeitenden anfangen, dass ich dann eben mit denen Touren mache, erzähle, wie es früher war, wie ist es jetzt, was es für Pläne für die Zukunft gibt, und das wird halt ganz schnell zu einer Überwältigungs-Show. Wenn ich erzähle, was ich ja auch nur von Leuten gehört habe, die dort eben früher gearbeitet oder gewohnt haben, was für ein schlimmer Ort das mal war, auch vor 40 Jahren noch, und dann eben zeige, was sich seitdem verändert hat, wie jetzt vieles anders und vieles besser geworden ist, dann ist das natürlich erst mal wirklich super beeindruckend.

Wichtig finde ich dann auch den Weg dahin darzustellen, der ja überhaupt nicht ohne Stolpersteine war, oder zu sagen, dass Sachen mal nicht gut oder schief gelaufen sind. Genauso sind wir eben noch lange nicht fertig damit. Das ist manchmal ein bisschen schwierig, weil nicht so viel Raum bleibt, mit den Leuten in ’s Gespräch zu kommen. Die finden es erst mal toll, was hier passiert ist, aber es sollte eigentlich auch darum gehen, in Austausch zu kommen: Was könnte denn noch alles passieren?

Bödewadt: Also bei mir steht noch einmal eine Frage an was diese Aufarbeitungen von den Anfängen angeht, als es in der Stiftung noch so schlimme Zustände gab: Es gibt ja so Kurse von alsterarbeit, dass man sich über die Geschichte informieren kann. Ich weiß jetzt nicht, ob es so etwas gibt wie vielleicht so einen Ort – irgendwie muss es nur ein kleiner Ort, ein Raum der Stille oder ein kleines Museum mit so ein paar Räumen oder so, wo so ein bisschen die Aufarbeitung passiert, also dass das auch auf dem Gelände mit drauf ist.

Ich weiß nicht, ob es jetzt so besonders sensibel den Menschen mit Behinderung gegenüber ist, weil, wenn die das immer sehen, was mal schlimm da war, ob die sich dann auch wohl fühlen würden, das weiß ich jetzt natürlich nicht, ob das sinnvoll wäre. Also eigentlich sollte es auch einen Ort geben, wo Aufarbeitung passiert.

Straehler-Pohl: Ja, das finde ich eine total gute Anregung. Es gibt ja auch recht viel Aufarbeitung der Stiftung, die beispielswiese im Rahmen des Kirchenprozesses auch stattgefunden hat oder immer zum 08. Mai. Aber ich finde das trotzdem eine richtig gute Anregung, da auch noch mal weiter drüber nachzudenken. Da sind wir auch gerade so ein bisschen dran, im Rahmen der Straße der Inklusion zu überlegen, wie man eigentlich mit Besucherinnen und Besuchern, Mitarbeitenden oder auch Klienten und Klientinnen, mit denen man so über das Gelände geht, wirklich gemeinsam daran arbeiten kann an genau dem: Was ist hier in der Vergangenheit passiert, was gab es für eine Entwicklung und wo stehen wir heute? Und was bedeutet das eigentlich? Ist das jetzt schon inklusiv? Wo ist es das noch nicht? Und ja, wie können Besucher, die von woanders herkommen, wirklich etwas mitnehmen von uns, und nicht nur mitnehmen Es ist alles ganz toll gelaufen – das stimmt ja größtenteils, finde ich –, sondern noch mal einen eigenen Bezug herstellen zu dem, wo sie arbeiten, oder wo sie sind und sich da dann vielleicht über Inklusion Gedanken machen.

Bödewadt: Ohne Herkunft, keine Zukunft, so praktisch.

Straehler-Pohl: Ja.

Klemenz: Ich weiß aus unseren Vorgesprächen, dass Sie ja auch diesen etwas lockeren Kreis Inklusion leiten

Straehler-Pohl: Netzwerk Inklusion.

Klemenz: Netzwerk Inklusion, das eigentlich nicht so sehr mit bautechnischen Fragen zu tun hat, sondern einfach ein Austauschgremium oder eine Austauschplattform ist, wenn man so will, die hilft, als Architekt mehr einzusteigen in den Alsterdorfer Gedanken, sag ich mal, in den Gedanken der Eingliederungshilfe und in den Entwicklungsprozess, sich in diesen Entwicklungsprozess als Architekt oder als Städteplaner noch mehr hinein zu fühlen.

Straehler-Pohl: Genau, da muss ich direkt mal zu sagen, falls das Architekten sehen, nicht dass die dann entgeistert sind, dass ich kein Architekt, sondern Stadtplaner bin, d.h. ich kann gar kein Gebäude entwerfen, sondern kann nur so tun als ob. Stadtplaner ist noch mal so ein breiter aufgestelltes Berufsfeld, wo es einfach wirklich um alles geht, was irgendwie mit Stadt zu tun hat, ob es Soziologie ist, Bauentwicklung, Stadtgeschichte, Quartiers-Entwicklung und so weiter.

Dieses Netzwerk Inklusion, das Sie ansprachen, ist ein Gremium, dass es seit recht vielen Jahren schon gibt, was sich so ungefähr alle zwei Monate trifft, und in dem Kolleginnen und Kollegen der Stiftung aus den unterschiedlichsten Bereichen, Ost, West, Kirche, Öffentlichkeitsarbeit, Alsterarbeit, sind, und wo es einfach darum geht, sich auszutauschen: Was mach ich eigentlich gerade, was macht ihr eigentlich gerade und gibt es Bereiche, wo wir vielleicht mal zusammen kommen können – gar nicht so groß, irgendwelche Projekt durchplanen, sondern eher ganz praktisch?

Gute Beispiel sind, finde ich, einmal das Jugendhaus, das den Schwerpunkt Jugendliche aus der Umgebung und ein offenes Jugendangebot hat, und dann Service-Wohnen an der Alsterdorfer Straße, die ambulant betreutes Wohnen für Familien mit behinderten Kindern anbieten. Die beiden arbeiten jetzt in der Hausaufgabenhilfe zusammen; das ist eine Kleinigkeit, bietet sich aber total an und ist eigentlich erst durch dieses Netzwerk Inklusion möglich geworden, weil man sich da überhaupt erst mal regelmäßig begegnet, ein Vertrauensverhältnis entsteht, man Gesichter zu den verschiedenen Bereichen hat und dann das Aufeinander-Zugehen leichter fällt. Das ist auch der Wert von so einem Gremium bei einem Unternehmen wie der Stiftung, das sehr dezentral aufgestellt ist und in den Tochtergesellschaften teilweise auch sehr autonom organisiert ist– das hat ja auch alles seine Geschichte.

Und was ich auch von vielen Kolleginnen und Kollegen höre ist, dass dieser Austausch untereinander oft gar nicht da ist, und das wird als schade empfunden. Da ist das Gremium so ein Ort, wo der Austausch mal stattfinden kann. Und für mich ist das natürlich auch immer spannend, mitzubekommen, was passiert eigentlich gerade wo, weil, das, wie gesagt, ist ja meine Aufgabe, zumindest im Groben zu wissen, was an den unterschiedlichen Stellen rundum den Alsterdorfer Markt eigentlich passiert .

Klemenz: Auf welchen Wegen nehmen Sie eigentlich Anregungen oder auch Unzufriedenheit seitens der Bewohner wahr rund um den Alsterdorfer Markt, besonders der Menschen mit Behinderung, die da wohnen?

Strahler-Pohl: Das nehme ich vor allem dadurch war, indem ich in direktem Kontakt bin. Das ist letztlich durch so ein anderes kleines Netzwerk an Kontakten entstanden, das sich durch diese Geschichte Umbau Alsterdorfer Markt/Leitsystem aufgebaut hat. Vor Corona war ich regelmäßig im Wohnbeirat zu Gast.

Klemenz: Im wo?

Straehler-Pohl: Wohnbeirat. Und jetzt seit Mitte 2019 leite ich ein Aktion Mensch-gefördertes Projekt, das heißt BiQ, Beteiligung im Quartier, wo es darum geht, inklusive Beteiligungsstrukturen aufzubauen und eben dabei zu unterstützen, dass Menschen mit Behinderung an der Planung von Angeboten und Prozessen beteiligt sind, oder auch, wenn wir neue Projekt machen, dass wir das von Anfang an wirklich in einem inklusiven Planungsgremium machen.

Das ist das, wo wir, glaube ich, in der Stiftung noch viel Luft nach oben haben. Also, das gibt es an einigen Stellen wirklich, diese Perlen der Beteiligung, so wie ich zumindest Barner16 kennengelernt habe in meinen relativ wenigen Berührungspunkten oder auch das, was Herr Grützner mit dem Kurzfilm-Festival „Klappe auf“ macht, und bestimmt an vielen anderen Orten auch noch, aber an vielen anderen Orten eben auch einfach nicht. Da werden Menschen mit Behinderungen eben eher nicht oder sehr spät, wenn überhaupt einbezogen. Das merke ich auch für meiner eigene Arbeit, dass ich da immer darauf achten muss und auch wirklich dazu gelernt habe, indem ich mir im Nachhinein gedacht habe: Mensch, Alter, das hättest du besser machen können! Dafür ist dieses BiQ-Projekt wirklich wahnsinnig toll, weil wir uns dadurch nochmal ein wirklich größeres Netzwerk an Ansprechpersonen aufgebaut haben, an die wir uns wenden können, wenn es um irgendwelche Themen geht, und wo man auch sehr engagiert und sehr bereit ist, mitzuarbeiten und jeweils mit seiner Expertise zu unterstützen.

Klemenz: Unsere Zeit ist vorbei, bekomme ich gerade schon gesagt. Ich gucke noch mal gerade auf meinen Zettel. Eigentlich haben wir das Wichtige schon benannt. Fällt Ihnen noch eine schöne Abschlussfrage ein?

Bödewadt: Ja. Wie machen Sie das ganz konkret, dass Sie Leute an Sachen beteiligen wie z.B. die, die ich schon vorgeschlagen hatte, Frauenzentraum, Raum der Stille, Aufarbeitung der Geschichte und auch die Wünsche der behinderten Menschen? Wie machen Sie das ganz konkret, also außer sie anzusprechen. Wie machen Sie das konkret?

Straehler-Pohl: Also wirklich systematisch machen wir das im Beteiligungsprojekt so, dass wir gucken, nehmen wir das Beispiel Politik-AG – das gibt es jetzt seit vor der letzten Bürgerschaftswahl, da hatten wir so eine Wahlinfo-Veranstaltung organisiert zusammen mit unserem Event-Bereich – , dass wir eine Truppe aus Klient*innen und Mitarbeitenden der Stiftung zusammentrommeln und wir uns mit denen regelmäßig treffen und immer besprechen: Wie soll es weitergehen, was sind nächste Schritte?

Bödewadt: Können wir Frauenbeauftragten da auch dran teilnehmen von der alsterarbeit?

Straehler-Pohl: Super, super gerne. Es ist tatsächlich so, dass es jetzt während Corona, wo wir alles auf digital umgestellt haben und uns immer per skype getroffen haben, langsam ganz schön schwierig geworden ist, weil die Leute dann doch teilweise einfach keinen Bock mehr darauf haben, was ich auch verstehen kann.

Wir bereiten jetzt gerade noch die Bundestagswahl und eine Wahlstraße vor, wo das Wählen für Briefwahl und für Wahlkabinenwahl geübt werden kann. Da kann man jetzt noch einsteigen. Aber das Spannende wird sein, wir nehmen wahr, dass das Thema Politische Bildung in der Stiftung eine relativ große Leerstelle bis jetzt ist. Da gibt es echt nicht viel! Wir haben schon eine Truppe zusammen, aber die ist zu klein. Wir sind echt auf der Suche nach Leuten, die Bock haben, sich einzubringen, und zwar mit den Themen, die sie interessieren und wenn das Frauenbeauftragte sind, sind die total willkommen, weil, wir wollen das so aufstellen – unser Projekt läuft Mitte nächsten Jahres aus, bis dahin wollen wir eigentlich eine Gruppe und eine Struktur zusammenhaben –, dass das Beteiligungsprojekt weiterlaufen kann. Sonst wäre es echt schade; dann geht das wieder ein und das Thema ist wieder in der Versenkung verschwunden.

Bödewadt: Also November sind wieder Neuwahlen, und bis Oktober hätte ich Interesse, da mal reinzuschauen.

Straehler-Pohl: Ja, sehr gerne, dann gebe ich Ihnen meine Kontaktdaten und dann machen wir das sehr gerne so.

Bödewadt: Super, dann komme ich mal!

Klemenz: Wunderbar, da haben sich zwei gefunden! Besser kann es nicht laufen!

Vielen Dank und viel Kraft und weiter so ein Engagement wie das hier spürbar war, kann man, glaube ich, sagen! Alles Gute dann für die nächsten Schritte und für das Carl-Koops-Quartier.

Bödewadt: Ich sag auch noch mal vielen Dank fürs Mitmachen.

Straehler-Pohl: Vielen Dank, dass ich eingeladen wurde. Das hat mir großen Spaß gemacht!

Bödewadt: Gleichfalls.

Klemenz: Gleichfalls.